Und warum die ganzen gesundheitlichen Probleme, die seelischen Nöte, die Verzweiflung? Christine Rapp beschließt fast sieben Jahre nach Entfernung der Klammer, das Ganze nicht auf sich beruhen zu lassen. Der Fall soll vor Gericht aufgearbeitet werden.

 

Nachdem außergerichtliche Vergleichsversuche lange Jahre zu keinem Ergebnis geführt haben, klagt sie seit November 2009 auf Schmerzensgeld und Kostenerstattung gegen die Wangener Klinik, gegen den Röntgenarzt Alojzije M., der das erste Röntgenbild erst drei Tage nach ihrer Einlieferung angeschaut und nicht reagiert hat, und gegen Prof. Andreas G., den Chefarzt der Wangener Gynäkologie.

2000 Euro Schadenersatz

Das Verfahren ist ein Tummelplatz von Gutachtern. 40.000 Euro hat Christine Rapp bereits investiert. Für den von ihr beauftragten Sachverständigen, den Münchener Florian Eitel, ist die Lage eindeutig. Die Behandlung in Wangen entsprach nicht dem ärztlichen Standard, der gravierende Eingriff eine Woche nach Einlieferung mit dem Verlust von Gebärmutter, Eierstöcken und Blinddarm wäre nach Ansicht des Professors für Chirurgie und Unfallchirurgie "sehr wahrscheinlich vermeidbar gewesen", hätte man gleich die richtige Diagnose gestellt und die Büroklammer entfernt.

Klingt gut für Christine Rapp. Doch die Wangener Ärzte wehren sich, das Landgericht beauftragt vier weitere Gutachter. Ein Gynäkologe, ein Radiologe, ein Chirurg und ein Gastroenterologe werden zur Beurteilung gebeten. In einem Schreiben der Anwälte der Klinik an das Landgericht Ravensburg räumen die Beklagten im März 2010 zwar ein, die Klammer übersehen zu haben und bieten 2000 Euro Schadenersatz an, sie bestreiten aber, dass dies einen Einfluss auf die Behandlung gehabt hätte. Zudem wird bestritten, dass Frau Rapp die Klammer, ohne es zu bemerken, verschluckt haben könnte. Sie hätte also die Ärzte bei ihrer ersten Einlieferung über den Fremdkörper unterrichten müssen. Die Argumente der beklagten Klinik sind auch heute noch laut dem Sprecher Winfried Leiprecht "unverändert sachlich richtig". Mehr könne er zu einem schwebenden Verfahren nicht sagen.

Die Ärzte drehen sich im Kreis

Dafür klagt die Oberschwäbin weiter über heftige Schmerzen. Nach einer Bauchspiegelung fließt tagelang neben dem Drainageschlauch ein grüner Brei über ihren Bauch, die Schmerzen nehmen zu. In Rapps Erinnerung sagt der Chef der Gynäkologie damals zu ihr: "Wir drehen uns im Kreis, wissen keinen Rat mehr." Erst als Rapp sich in ihrer Verzweiflung nach Ravensburg verlegen lassen will, geht alles ganz schnell. Notoperation, eine Woche nach ihrer Einlieferung. Sie hat fünfzehn Minuten Zeit, sich zu entscheiden. In ihrer Not unterschreibt sie die Einwilligung. "Um was es genau geht, hat mir aber niemand erklärt."

Als Christine Rapp aufwacht, fehlen ihr die Gebärmutter und beide Eierstöcke, der Blinddarm ist ihr auch gleich entfernt worden. Der Chefarzt erklärt ihr, dass auch ihr Darm an verschiedenen Stellen perforiert gewesen sei, und fragt, ob sie dafür eine Erklärung habe. Hat sie nicht, dafür weitere Schmerzen, und die Operationswunden wollen einfach nicht heilen.

Ihr Chef nimmt sie nicht ernst

Ende September werden neue Röntgenbilder gemacht. Wieder ist der Fremdkörper deutlich zu sehen, wieder interessiert sich keiner dafür. Jahre später wird ein vom Landgericht Ravensburg beauftragter Gutachter zu dem Schluss kommen: "Nach dem Facharztstandard in der Radiologie hätte spätestens am 18.09.2002 der Fremdkörper durch den Radiologen erkannt und beschrieben werden müssen."

Passiert ist freilich nichts. Christine Rapp wird am 11. Oktober 2002 aus dem Krankenhaus entlassen. Sie wiegt nur noch 47 Kilo, die Wunde am Bauch ist noch nicht geschlossen. Die Verwaltungsleiterin des Zeppelinmuseums in Friedrichshafen würde zwar gerne wieder arbeiten, ist aber zu schwach. Damit beginnt die nächste Leidenszeit: Laut Rapp schenkt der damalige Museumsleiter ihren Schilderungen wenig Glauben. Sein Motto in ihrer Erinnerung: Stellen Sie sich nicht so an.

"Seien Sie froh, jetzt bekommen Sie keinen Gebärmutterkrebs."

Die Ärzte raten ihr, nicht zu schnell wieder anzufangen, und schreiben sie krank. Zudem sind die Schmerzen allenfalls gedämpft, sie leidet unter bleierner Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und hormonellen Problemen. Ihr "zerschnittener Bauch" belastet zudem ihre Psyche. Im Wangener Krankenhaus besteht die psychologische Betreuung darin, dass die Ärzte ihr erklären, eine Frau um die 50 brauche ohnehin keine Gebärmutter mehr. Rapp: "Und dann sagten sie noch: ,Seien Sie froh, jetzt haben Sie das Risiko eines Gebärmutterkrebses nicht mehr."'

All das ist damals kein Trost für die Mutter zweier Kinder, die sich "über die Zeit schleppt", ehe sie am 19. Januar 2003 während der ambulanten Reha wieder bohrende Schmerzen bekommt. Der Notarzt schickt sie abermals ins Krankenhaus, kurz darauf wird der Bauch, zum mittlerweile fünften Male, geröntgt. Und jetzt, fast vier Monate nach dem ersten Bild, fällt im Wangener Klinikum der "metallische Gegenstand" auf. Eine Computertomografie bestätigt, dass die Büroklammer mit ihren aufgebogenen Spitzen in der Darmwand steckt. Am 23. Januar 2003 wird der Fremdkörper schließlich entfernt.

Entweder ganz oder gar nicht arbeiten

Ende gut, doch noch alles gut? Nicht für Christine Rapp. Ihr geschundener Körper erholt sich nur langsam, die Psyche braucht Zeit. An Arbeit ist nicht zu denken, was den Museumsleiter Meighörner zusehends erzürnt habe, sagt Christine Rapp. Sie schlägt einen stufenweisen Wiedereinstieg vor, was der Vorgesetzte in ihrer Erinnerung mit den Worten kommentiert: "Ein bisschen schwanger geht nicht - entweder ganz oder gar nicht." Heute ist er Chef der Tiroler Landesmuseen in Innsbruck. Auf Anfrage teilt er mit, dass er wegen einer "nachvertraglichen Schweigepflicht" nichts zu den Vorwürfen sagen könne. Nur so viel: "Ich weiß weder heute, noch wusste ich damals, an welcher Krankheit Frau Rapp leidet respektive litt."

Mitte April 2003 kehrt Christine Rapp nach siebeneinhalb Monaten Krankenstand auf ihre Stelle zurück, ist aber alles andere als gesund. Immer wieder muss die Frau, die 2002 noch bis zu 100 Kilometer pro Woche gejoggt ist, wegen Schwächeanfällen in die Klinik. Christine Rapp fühlt sich massiv vom Chef gemobbt. Im Juli 2008 gibt sie auf und einigt sich mit dem Museum auf einen Auflösungsvertrag.

Nach sieben Jahren vor Gericht

Und warum die ganzen gesundheitlichen Probleme, die seelischen Nöte, die Verzweiflung? Christine Rapp beschließt fast sieben Jahre nach Entfernung der Klammer, das Ganze nicht auf sich beruhen zu lassen. Der Fall soll vor Gericht aufgearbeitet werden.

Nachdem außergerichtliche Vergleichsversuche lange Jahre zu keinem Ergebnis geführt haben, klagt sie seit November 2009 auf Schmerzensgeld und Kostenerstattung gegen die Wangener Klinik, gegen den Röntgenarzt Alojzije M., der das erste Röntgenbild erst drei Tage nach ihrer Einlieferung angeschaut und nicht reagiert hat, und gegen Prof. Andreas G., den Chefarzt der Wangener Gynäkologie.

2000 Euro Schadenersatz

Das Verfahren ist ein Tummelplatz von Gutachtern. 40.000 Euro hat Christine Rapp bereits investiert. Für den von ihr beauftragten Sachverständigen, den Münchener Florian Eitel, ist die Lage eindeutig. Die Behandlung in Wangen entsprach nicht dem ärztlichen Standard, der gravierende Eingriff eine Woche nach Einlieferung mit dem Verlust von Gebärmutter, Eierstöcken und Blinddarm wäre nach Ansicht des Professors für Chirurgie und Unfallchirurgie "sehr wahrscheinlich vermeidbar gewesen", hätte man gleich die richtige Diagnose gestellt und die Büroklammer entfernt.

Klingt gut für Christine Rapp. Doch die Wangener Ärzte wehren sich, das Landgericht beauftragt vier weitere Gutachter. Ein Gynäkologe, ein Radiologe, ein Chirurg und ein Gastroenterologe werden zur Beurteilung gebeten. In einem Schreiben der Anwälte der Klinik an das Landgericht Ravensburg räumen die Beklagten im März 2010 zwar ein, die Klammer übersehen zu haben und bieten 2000 Euro Schadenersatz an, sie bestreiten aber, dass dies einen Einfluss auf die Behandlung gehabt hätte. Zudem wird bestritten, dass Frau Rapp die Klammer, ohne es zu bemerken, verschluckt haben könnte. Sie hätte also die Ärzte bei ihrer ersten Einlieferung über den Fremdkörper unterrichten müssen. Die Argumente der beklagten Klinik sind auch heute noch laut dem Sprecher Winfried Leiprecht "unverändert sachlich richtig". Mehr könne er zu einem schwebenden Verfahren nicht sagen.

Entzündete Gebärmutter wegen Sex?

In der Klinik soll laut Rapp zudem spekuliert worden sein, ob sich die Gebärmutter der damals frisch geschiedenen Frau nicht auch durch das entzündet haben könnte, was man im Amtsdeutsch HwG (Häufig wechselnde Geschlechtspartner) nennt. "Es gab Ärzte, die haben mich am Krankenbett nach 'unhygienischem Sex' gefragt."

Wie die Klammer in ihren Bauch gekommen ist, weiß Christine Rapp bis heute nicht. Der Internist in Wangen, der dann doch noch die richtige Diagnose gestellt hatte, erklärte ihr, es könne durchaus sein, dass die Klammer durch den Magen in den Darm gekommen sei und sich auf dem Weg dorthin aufgebogen habe. Das Ding hätte etwa in einer Getränkedose gewesen sein können. Es sei denkbar, dass Christine Rapp die Klammer beim Trinken unbemerkt verschluckt habe. Darüber fetzen sich jetzt die Gutachter.

Büroklammer nicht Schuld an Entzündung

Der aktuelle Stand: das monatelange Übersehen der Klammer streiten die Beklagten zwar nicht ab - wohl aber, dass dies, abgesehen von der letzten Operation im Januar 2003, irgendetwas geändert hätte. Tenor: die Büroklammer hatte mit den Entzündungsprozessen in Eierstock und Gebärmutter nichts zu tun gehabt.

Das zieht der Betriebswirtin vollends den Boden weg. Sie hatte bis 2002 nie gynäkologische Probleme und war auch regelmäßig beim Frauenarzt zur Vorsorge. Und auch ihr Gutachter Florian Eitel sagt als Fazit: Bei korrekter Diagnose und sofortiger Entfernung der Klammer "wäre die Unterbauchperitonitis sehr wahrscheinlich vermeidbar gewesen". Aber darüber wird auch nach neun Jahren immer noch gestritten. Wenn das letzte Gutachten des Gynäkologen gewürdigt ist, soll weiterverhandelt werden. Einen Termin gibt es noch nicht. Der Mediziner hat sich die Frist für das Gutachten immer wieder verlängern lassen.

Christine Rapp musste Geduld lernen. Nach 90 erfolglosen Bewerbungen hat sich die mittlerweile 58-Jährige im Bereich Beratung selbstständig gemacht. Eine sichere Existenz sieht anders aus. Was ihr bleibt, sind Narben, eine 30-prozentige Schwerbehinderung und die seelischen Wunden. "Auch als klar war, dass da was schiefgelaufen ist, hat sich nie jemand entschuldigt", sagt sie. Um zu verstehen, wie mies sich das anfühlt, braucht man kein Röntgenbild.