Der Ärztemangel auf dem Land wird zu einem drängenden Problem Die Bundesregierung schafft Anreize für junge Mediziner – und die Krankenkasse tourt mit Medizinstudenten übers Land.

Stuttgart - Kann man einem angehenden Mediziner von Gesetzes wegen verordnen, Hausarzt im ländlichen Raum zu werden? Nein, aber mit dem „Versorgungsstärkungsgesetz“ versucht die große Koalition in Berlin Hürden zu senken und Anreize zu steigern, dass Ärzte den Schritt in die eigene Allgemeinpraxis wagen.

 

Arztpraxen im Überfluss gibt es schon lange nicht mehr. Aber allmählich werden die Warnrufe aus dem Gesundheitssektor schriller, und die Ideen, dem Problem zu begegnen, werden bunter. So tourt zum Beispiel die Techniker Krankenkasse (TK) vom 27. bis zum 31. Juli mit zwölf Medizinstudenten durch Baden-Württemberg. „Raus aufs Land, rein ins Leben“ ist das Motto. In zwei Touren sind jeweils sechs Studierende im Kleinbus unterwegs, um mit erfahrenen Hausärzten zu sprechen, sich über Gründung und Finanzierung einer Hausarztpraxis informieren zu lassen oder nach Ärzten für ihre Gemeinde suchende Bürgermeister zu treffen.

Bei Studierenden seien viele falsche Vorstellungen verbreitet. „Der Hausarzt als schlecht bezahlter Einzelkämpfer ohne Freizeit und mit geringem Ansehen in der medizinischen Fachwelt – dieses Bild stimmt längst nicht mehr,“ sagt Andreas Vogt, der Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg. „Der Hausarzt ist der Zehnkämpfer“, sagt Johannes Fechner, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Ein Hausarzt muss mehr Felder kennen und hat mehr Verantwortung, weil er alleine entscheidet. Ist es das, warum von den ausgebildeten Medizinern aktuell nur zehn Prozent Hausarzt oder hausärztliche Internisten werden?

Die Suche nach Praxisnachfolgern ist ohnehin schwierig

Die Zahlen sprechen für sich. Von den rund 7100 Hausärzten im Land sind nur 28 Prozent jünger als 50 Jahre, 34 Prozent hingegen älter als 60. Dabei wird die Suche nach einem Praxisnachfolger nicht nur auf dem flachen Land schwierig. Planerisch ist das Land in 67 Bereiche aufgeteilt, für die man die hausärztliche Versorgung ermittelt. Von diesen 67 sind nur 38 optimal versorgt. So könnten Allgemeinmediziner auch in Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen, Böblingen, Leonberg, Waiblingen und und und leicht eine Praxis eröffnen.

Der Gesetzgeber hat einiges unternommen, um dem Problem entgegenzuwirken. So können seit einiger Zeit Ärzte andere Ärzte auch anstellen. Diese Möglichkeit wird immer öfter genutzt. Inzwischen sind bereits acht Prozent der Hausärzte im Land bei einer Praxis angestellt. Johannes Fechner erklärt das damit, dass der Beruf des Hausarztes immer weiblicher wird. 65 Prozent der jetzt in Ausbildung befindlichen Mediziner seien Frauen. Ihnen kämen Teilzeit-Arbeitsmodelle in Anstellung entgegen, weil sie familienfreundlicher sind.

Auch die Kommunalpolitiker sind gefragt

Das bringt auch für Kommunalpolitiker neue Herausforderungen. Sie müssen die Ärztinnen mit einer guten Kinderbetreuung in ihre Gemeinde locken. Hilfreich wären auch attraktive Arbeitgeber für ihre Partner. Ein verbilligter Bauplatz bringt nicht viele Pluspunkte, berichtet Fechner, denn der Zwang, flexibel sein zu müssen, lasse Immobilität nicht zu. „Es wird schwieriger werden, in Zukunft den einen Arzt zu haben“, sagt Andreas Vogt. Es werde einen größeren Wechsel in den Praxen geben, als man das bis jetzt gewohnt ist.

Andere Erleichterungen, etwa die Aufgabe einer Residenzpflicht für Hausärzte oder eine stark verfeinerte Bedarfsplanung oder eine Reform des Notfalldienstes, sind noch nicht alt. Doch zum 1. August treten weitere Neuerungen in Kraft, um weitere Anreize zu schaffen, sich als Arzt niederzulassen; ein „Strukturfonds“ zum Beispiel. Kassenärzte und Kassen zahlen jeweils einen Teil ein. In Baden-Württemberg kommen so 5,4 Millionen Euro zusammen. Das Geld soll genutzt werden, um in Gebieten der Unterversorgung die Niederlassung neuer Mediziner mit bis zu 60 000 Euro zu bezuschussen und ihnen höhere Vergütungen zukommen zu lassen.

In der Diskussion: Telemedizin

Ginge es nach Andreas Vogt, würden Mittel aus dem Strukturfonds auch genutzt, um die Telemedizin auszubauen – „nicht zum Ersatz des Hausarztes, sondern zu seiner Unterstützung“. Vogt fragt sich, ob das Fernbehandlungsverbot noch ins digitale Zeitalter passt – es besagt, dass ein Arzt einem Patienten ein Rezept nur ausstellen darf, wenn er ihn wenigstens einmal vor sich gesehen hat. „Wir müssen die knappe Ressource Arzt gezielter einsetzen“, sagt Vogt. Um in zehn Jahren neue Lösungen zu haben, „müssen wir jetzt die Diskussion darüber beginnen“.

Das neue Gesetz ist nicht unumstritten. Es fordert die Einrichtung einer Terminservicestelle. Wer nicht innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt erhält, soll sich im vom Hausarzt bestätigten dringenden Fall an diese Servicestelle der KV wenden können, die einen Termin organisiert. Laut Fechner bekommen schon jetzt 93 Prozent der Patienten spätestens innerhalb von vier Wochen einen Termin. „Dann machen wir das eben für die sieben Prozent.“ Vogt hält das Problem für größer, er sieht die Kassenpatienten gegenüber den privat Versicherten bei den Ärzten im Nachteil. Da könne die Vorschrift abhelfen. Die Servicestelle wird aber ohnehin frühestens im Februar aktiv werden.

Frei werdende Praxen nicht immer nachbesetzen?

Das andere Reizthema ist die Aufkaufpflicht. In einem überversorgten Gebiet solle eine frei werdende Praxis nur dann nachbesetzt werden, wenn das für die Versorgung auch sinnvoll ist. Andernfalls fällt der Sitz weg, ein Interessent müsste sich nach einer Alternative umtun – idealerweise in einem unterversorgten Gebiet. Sowohl der Ärztevertreter Fechner als auch der Kassenmann Vogt erwarten, dass dieses Instrument allenfalls in Ausnahmefällen wird angewandt werden müssen.

„Ich sehe nicht, wo die Versorgung gestärkt wird“, ist denn auch das kritische Fazit von Johannes Fechner. Andreas Vogt ist optimistischer, er hält es mit der Kanzlerin: „Die Vorteile überwiegen die Nachteile.“