In Äthiopien leben Stämme, die ihre Körper durch Bemalung, kunstvolle Narben und üppigen Schmuck selbst zum Kunstwerk erheben. Doch ihre Kultur ist in Gefahr.

Jinka - Mit dem Tal des Omo haben die unterirdischen Feuer ihr Meisterwerk geschaffen, erzählen die alten Schamanen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Wissenschaftler und Studienreisende aus aller Welt in dem verschlafenen Provinznest Jinka ein Stelldichein geben. Sogar das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung aus Halle an der Saale und die japanische Universität Kyoto haben hier, in diesem Kaff aus Bretterbuden, ein gemeinsames Institut gegründet, das South Omo Research Center. Warum? Sie ergründen von hier aus die rätselhaft anmutenden Stämme der Umgebung mit ihren archaischen Ritualen. Nirgendwo auf der Welt leben mehr Ethnien auf vergleichbarem Raum als im South Omo Valley.

 

Jinka gilt als das Tor in dieses geheimnisvolle Tal vor unserer Zeit. Im ersten Morgengrauen setzt sich ein Treck aus acht Geländefahrzeugen in Bewegung. Nach zwei Stunden Fahrt durch das brütend heiß werdende Tal erklimmen die klimatisierten Autos gut 700 Höhenmeter. Das satte Grün aus Palmen und Bananenstauden findet sich jetzt nur noch in den mit Rinnsalen durchzogenen Bergtälern. Die trockenen Hanglagen sind dagegen mit steppenartigem Gestrüpp bewachsen. Immer wieder laufen Menschen die endlose Straße hinauf oder hinab, denn hier werden auch große Entfernungen fast ausschließlich zu Fuß bewältigt. Busse gibt es im Stammesgebiet der Dorze, einer ethnischen Gruppe mit rund 28 000 Mitgliedern, nicht.

Meist sind es Frauen und Kinder. Sie tragen schwere Lasten auf dem Kopf. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Dorf auf. Es gleicht einer frühmittelalterlichen Festung.Es ist von einem Palisadenzaun umgeben. Die Bewohner bitten die Fremden herein. Innen steht eine Hütte neben der anderen. Diese sind bis zu zehn Meter hoch, fensterlos und sehen aus wie überdimensionale Bienenkörbe. In ihrem Inneren kochen Frauen auf offenem Feuer, das die hohen Räume gespenstisch flackernd ausleuchtet. Der nächste Tag führt ins Reich der Konso. Die Konso sind Meister des Terrassenbaus und trotzen so der oft kargen Natur erträgliche Ernten ab. Hin und wieder taucht unversehens ein Waka auf.

Die Frauen der Tsemay tragen auffallend viele Muschelketten

Die hölzernen Totempfähle stellen Menschen dar und wirken schon etwas gruslig. Sie bewachen die Seelen der höhergestellten Persönlichkeiten, die zu ihren Füßen beerdigt liegen. Mit Tieropfern werden die Waka gütig gestimmt. Gelegentlich sind ein paar junge Frauen beim Ackerbau zu sehen - schöne Menschen mit einem stolzen Antlitz. Sie tragen lediglich Röcke und auffallend viel Schmuck am Hals. Wie sieht eigentlich ein Multikulti-Markt im Süden Äthiopiens aus? Auf jeden Fall sehr bunt. Im Örtchen Key Afer unten im Tal treiben gleich drei Stämme regen Handel untereinander: Die Ari, die Tsemay und die Banna. Sie unterscheiden sich mehr durch ihren Körperschmuck als durch ihre Physiognomie. So tragen die Frauen der Tsemay auffallend viele Muschelketten, die Bannafrauen krönen ihre Häupter mit Aluminiumplatten, die sie geschickt auf dem Haar drapieren, welches wiederum mit Lehm und Butter kunstvoll in Form gebracht wird. Gehandelt wird vom Knopf über die Yaamwurzel bis hin zum Esel einfach alles, was man benötigt im Tal des Omo.

Den wohl schönsten Menschen begegnet man fünf Autostunden weiter auf dem flachen und ausgedörrten Land. Renommierte Fotografen aus aller Welt widmeten ihnen schon opulente Bildbände. Es sind die groß gewachsenen Hamer mit ihren ausdrucksstarken Gesichtern. Der Bullensprung machte ihre Kultur über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Ein Initiationsritual. Mit dem Lauf über die Rücken aggressiver Bullen müssen Jünglinge beweisen, dass sie mutige Männer und damit reif für die Ehe geworden sind. Ähnlich wie die Banna tragen auch die Hamer-Frauen roten Lehm und Butter im Haar. In ihren groben Röcken aus ledernden Häuten wirkt das Volk recht archaisch.

Je größer der Teller, desto schöner die Frau

So treten sie leider auch auf, wenn sie Geld fürs Fotografieren einfordern. In dieser Beziehung werden sie nur noch von den Mursi getoppt. Die sogenannten Tellerlippen machten das kriegerische Volk mit weniger als 10 000 Angehörigen weltberühmt. Erwachsene Frauen tragen sie - und je größer der Teller, desto schöner die Frau. In der Pubertät wird die Unterlippe aufgeschnitten und eine kleine Tonscheibe in den Schnitt gesetzt. Die Mädchen müssen die Lippenteller, auch „dhebi“ genannt, selbst töpfern und brennen. Da die unteren Schneidezähne stören, werden sie kurzerhand herausgebrochen. Um die Lippe kontinuierlich zu dehnen, tauscht man die Scheibe über die Jahre durch jeweils größere aus. Hart im Nehmen sind die Mursi auch bei der Skarifikation. Indem sie sich unzählige Narben beibringen, stilisieren sie ihre Körper zu einem lebenden Kunstwerk.

Die kulturelle Einzigartigkeit dieser Völker stellt nun aber auch deren Überleben infrage. Denn kaum waren die Touristen aus Europa und Amerika da, begriffen sie schnell, dass sich als Foto-Objekt schneller und leichter Geld verdienen lässt denn als Ackerbauer oder Rinderzüchter. Spätestens seit die Einnahmen aus dem Fotogeschäft die der Landwirtschaft übersteigen, lassen viele Dorfgemeinschaften Mais- und Hirsefelder einfach brachliegen und stellen auch die Rinderzucht ein. Ja selbst die Lippenteller stammen heute zunehmend aus chinesischer Produktion. Von dem Foto-Geld werden bevorzugt Kalaschnikows und Schnaps gekauft - mit Nebenwirkungen.

So können Reisegruppen heute ein Mursi-Dorf nur noch mit Begleitschutz der Armee gefahrlos besuchen. Einige Studienveranstalter haben sich daher entschieden, die Mursi-Dörfer aus dem Programm zu nehmen. Es liegt also auch in der Verantwortung der Urlauber, die Begegnung mit den Stämmen verantwortungsbewusst und sensibel zu gestalten. Dann wird die weltweit einzigartige ethnische Vielfalt der Konso, Hamer, Banna und Dorze auch nachfolgende Generationen faszinieren.

So wird das Wetter für die Weltreise

Infos zu Äthiopien

Anreise
Ab Stuttgart mit Lufthansa ( www.lufthansa.com ) über Frankfurt oder mit Turkish Airlines ( www.thy.com ) via Istanbul nach Addis Abeba. Preise ab 630 Euro hin und zurück.

Pauschalangebote
„Expedition zu den Völkern des Omo-Tals“: Ethnologische Rundreise zu den Mursi, Banna, Oromo, Tsemay, Dimma, Surma, Karo und Hamer. Flug, Unterkunft, Verpflegung, wissenschaftliche deutschsprachige Reiseleitung, 15 Tage ab 3170 Euro bei Orientaltours, Tel. 069 / 5 48 37 08, www.orientaltours.de .

„Lalibela“: 16-tägige Rundreise zu den Hamer, Borena und Konso im Süden und nach Gondar und Axum im Norden. Inklusive Flügen, Unterkunft, Verpflegung, Reiseleitung ab 3399 Euro bei Chamäleon in Berlin, Telefon 030 / 3 47 99 60, www.chamaeleon-reisen.de

Übernachtet wird in Hotels, Resorts oder Lodges, 4-Sterne-Landeskategorie in Addis Abeba, 3-Sterne unterwegs, bei Orientaltours außerdem 3 Nächte im komfortablen Zelt.

Was man tun und lassen sollte
Auf jeden Fall sich die Zeit nehmen, um an einer Kaffeezeremonie teilzunehmen. Dabei werden grüne Kaffeebohnen über einem Holzkohleofen geröstet, mit einem Stößel zermahlen und schließlich in einer Jebena, einer bauchigen Kaffeekanne aus Ton, aufgebrüht. Traditionell wird der Kaffee mit Salz abgeschmeckt, für Touristen immer öfter auch mit Zucker.

Auf keinen Fall die Einheimischen beim Fotografieren wie Objekte behandeln. Ein Blickkontakt und ein paar Worte im Vorfeld lockern die oft angespannte Situationen merklich auf.

Allgemeine Informationen
Äthiopische Botschaft, Boohstraße 20a, 12207 Berlin, Tel. 030 / 77 20 60, www.aethiopien-botschaft.de

Buchtipp
Katrin Hildemann, Martin Fitzenreite: „Äthiopien“, Reise Know-How Verlag, 23,90 Euro