Der Widerspruch der „Alternativen“, Volkstribune und Volkshochschullehrer gleichzeitig sein zu wollen, scheint auch in Brüssel auf. Der Ökonom Starbatty etwa hat sich Ärger mit der Basis eingehandelt, weil er für das EU-Freihandelsabkommen mit den USA und die darin enthaltene Klagemöglichkeit für Konzerne wirbt. Lucke hielt sich auffallend zurück, als der neue EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill zu seiner Lobbyvergangenheit befragt wurde. Hill gehört den für Freihandel und Deregulierung werbenden Torys an – Luckes Fraktionskollegen. Hier scheint ein Richtungsstreit angelegt. Dass sich die AfD darüber zerlegen könnte, glaubt aber niemand. Die Zukunft der AfD werde sich nicht im EU-Parlament entscheiden, meint der CDU-Abgeordnete Werner Langen, „sondern bei der Bundestagswahl 2017“.

 

Die Konkurrenz kann sich noch nicht entscheiden, ob sie die AfD ignorieren oder attackieren soll. Am ehesten setzen sich die Grünen mit der neuen Kraft auseinander; die Abgeordneten unterhalten einen AfD-Blog, der etwa rügt, dass „Beatrix von Storch, bekannt durch homophobe und nationalistische Ausfälle, Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter“ geworden ist. Den Abgeordneten Giegold ärgern „unpassende Geschäftsordnungsanträge“ und „der Nerv-Stil“ der AfD.

Die Christdemokraten dagegen reden sie klein. „Die fallen überhaupt nicht auf, ihr Einfluss ist marginal“, sagt Langen, „und wenn wir politische Deals mit ihrer Fraktion machen, dann mit den britischen Torys, nicht mit der AfD.“ Sein Parteifreund Peter Liese wundert sich, dass die AfD-Leute „doch immer so tun, als ob sie die wahren Vertreter der christlichen Werte seien, dann aber den Oberliberalisierer Henkel in den Ausschuss stecken, der für die Stammzellforschung zuständig ist“.

Die Verweigerung mancher schwächt das Parlament

Auch Ingeborg Gräßle sind ihre neuen Kollegen im politischen Alltagsbetrieb noch nicht wirklich aufgefallen – gesteht ihnen jedoch noch eine Einarbeitungsphase zu. „Man braucht viel Erfahrung, die Berge an Dokumenten gründlich durcharbeiten zu können und zu unterscheiden, was wichtig und was weniger wichtig ist“, sagt die Europaparlamentarierin aus Baden-Württemberg. Der CDU-Frau bereitet eine andere Entwicklung Sorgen, die sich mit dem Erfolg der AfD fortsetze. „Es sitzt inzwischen ein Drittel Anti-Europäer in Straßburg“, erklärt Gräßle, „ich muss feststellen, dass viele dieser Kollegen im Parlament wenig oder sogar nichts arbeiten.“ Diese Verweigerung hemme die Entscheidungsfindung ungemein. Sie befürchtet, dass sich dadurch der Einfluss des Parlamentes innerhalb der EU verringern könnte, da sich immer mehr Arbeit auf immer weniger Parlamentarier verteile. Da bleibe kaum noch Zeit für konstruktive politische Debatten. „Wir müssen inzwischen viele Dinge den EU-Beamten überlassen“, bedauert Gräßle.

Einer, der sich jedenfalls viel vorgenommen hat, ist Bernd Kölmel. Mit großer Begeisterung erzählt der AfD-Politiker von den spannenden ersten Wochen als Abgeordneter. „Wir hatten überhaupt keine Infrastruktur und haben uns zur Arbeit manchmal auf dem Gang in eine Sitzgruppe setzen müssen“, erzählt der Neu-Abgeordnete aus Baden-Württemberg. Sein Ehrgeiz sei es, „im Parlament in ein oder zwei Bereichen eine gewisse Wirkung zu hinterlassen“. Offensichtlich ist, dass bei ihm die „hohe Taktrate der Arbeitsabläufe“ Eindruck hinterlassen hat. Das Aktenfressen und die unzähligen Ausschusssitzungen kennt Kölmel allerdings. Die vergangenen 20 Jahre war er beim Landesrechnungshof in Baden-Württemberg unter anderem für Haushaltsfragen zuständig.

Es ist viel Klein-Klein, trotz eines stärkeren euroskeptischen Lagers ist das Lager derer, die nicht an erster Stelle das nationale, sondern das gesamteuropäische Interesse vertreten möchten, übermächtig. Lucke erzählt zum Beispiel, wie er per Änderungsantrag in einem wirtschaftspolitischen Parlamentsbericht unterbringen wollte, dass sich auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau mehrere Ökonomen gegen den Euro gestellt haben – erfolglos. Lucke ist „enttäuscht“, dass ihm die anderen Fraktionen nicht gefolgt sind.

Henkel kann dem EU-Parlament nichts abgewinnen

Hans-Olaf Henkel hält von vielen Kollegen nicht viel. Foto: dpa

Das signalisiert, dass die AfD grundsätzlich Interesse an der Parlamentsarbeit zu haben scheint, während andere EU- oder Eurogegner das Parlament nur als Bühne für ihre Parolen nutzen. Doch auch innerhalb der Siebenergruppe wird das Parlament und die eigene Rolle darin durchaus unterschiedlich gesehen. Der Tübinger Professor Joachim Starbatty etwa ist ganz angetan, was dort für „kluge, fleißige Leute“ tätig sind, lobt ihr „Engagement“, wenn sie auch tendenziell auf ein enger miteinander verbundenes Europa zuarbeiteten. Fraktionskollege Bernd Kölmel lobt nach einem Treffen mit der künftigen Haushaltskommissarin Kristalina Georgieva die Bulgarin in den höchsten Tönen. Dagegen scheint Hans-Olaf Henkel, der frühere Wirtschaftslenker, der Arbeit in Europas Zentrale kaum etwas abgewinnen und die Kollegen nicht wirklich ernst nehmen zu können, wie der Fraktionsvize bei einem Presseempfang seiner Fraktion erzählt: „Die drehen sich alle nur um sich selbst.“

Im Chef spiegeln sich beide diese Seiten: Er schwärmt einerseits von den „hervorragend organisierten parlamentarischen Prozessen“ und der „hohen Qualität der Vorlagen“, bemängelt aber andererseits, dass es mit der Effizienz übertrieben werde: Es bliebe kaum Zeit, all das zu lesen, was die „Tendenz zum Abnicken“ erhöhe.

Der Richtungsstreit wird noch kommen

Der Widerspruch der „Alternativen“, Volkstribune und Volkshochschullehrer gleichzeitig sein zu wollen, scheint auch in Brüssel auf. Der Ökonom Starbatty etwa hat sich Ärger mit der Basis eingehandelt, weil er für das EU-Freihandelsabkommen mit den USA und die darin enthaltene Klagemöglichkeit für Konzerne wirbt. Lucke hielt sich auffallend zurück, als der neue EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill zu seiner Lobbyvergangenheit befragt wurde. Hill gehört den für Freihandel und Deregulierung werbenden Torys an – Luckes Fraktionskollegen. Hier scheint ein Richtungsstreit angelegt. Dass sich die AfD darüber zerlegen könnte, glaubt aber niemand. Die Zukunft der AfD werde sich nicht im EU-Parlament entscheiden, meint der CDU-Abgeordnete Werner Langen, „sondern bei der Bundestagswahl 2017“.

Die Konkurrenz kann sich noch nicht entscheiden, ob sie die AfD ignorieren oder attackieren soll. Am ehesten setzen sich die Grünen mit der neuen Kraft auseinander; die Abgeordneten unterhalten einen AfD-Blog, der etwa rügt, dass „Beatrix von Storch, bekannt durch homophobe und nationalistische Ausfälle, Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter“ geworden ist. Den Abgeordneten Giegold ärgern „unpassende Geschäftsordnungsanträge“ und „der Nerv-Stil“ der AfD.

Die Christdemokraten dagegen reden sie klein. „Die fallen überhaupt nicht auf, ihr Einfluss ist marginal“, sagt Langen, „und wenn wir politische Deals mit ihrer Fraktion machen, dann mit den britischen Torys, nicht mit der AfD.“ Sein Parteifreund Peter Liese wundert sich, dass die AfD-Leute „doch immer so tun, als ob sie die wahren Vertreter der christlichen Werte seien, dann aber den Oberliberalisierer Henkel in den Ausschuss stecken, der für die Stammzellforschung zuständig ist“.

Die Verweigerung mancher schwächt das Parlament

Auch Ingeborg Gräßle sind ihre neuen Kollegen im politischen Alltagsbetrieb noch nicht wirklich aufgefallen – gesteht ihnen jedoch noch eine Einarbeitungsphase zu. „Man braucht viel Erfahrung, die Berge an Dokumenten gründlich durcharbeiten zu können und zu unterscheiden, was wichtig und was weniger wichtig ist“, sagt die Europaparlamentarierin aus Baden-Württemberg. Der CDU-Frau bereitet eine andere Entwicklung Sorgen, die sich mit dem Erfolg der AfD fortsetze. „Es sitzt inzwischen ein Drittel Anti-Europäer in Straßburg“, erklärt Gräßle, „ich muss feststellen, dass viele dieser Kollegen im Parlament wenig oder sogar nichts arbeiten.“ Diese Verweigerung hemme die Entscheidungsfindung ungemein. Sie befürchtet, dass sich dadurch der Einfluss des Parlamentes innerhalb der EU verringern könnte, da sich immer mehr Arbeit auf immer weniger Parlamentarier verteile. Da bleibe kaum noch Zeit für konstruktive politische Debatten. „Wir müssen inzwischen viele Dinge den EU-Beamten überlassen“, bedauert Gräßle.

Einer, der sich jedenfalls viel vorgenommen hat, ist Bernd Kölmel. Mit großer Begeisterung erzählt der AfD-Politiker von den spannenden ersten Wochen als Abgeordneter. „Wir hatten überhaupt keine Infrastruktur und haben uns zur Arbeit manchmal auf dem Gang in eine Sitzgruppe setzen müssen“, erzählt der Neu-Abgeordnete aus Baden-Württemberg. Sein Ehrgeiz sei es, „im Parlament in ein oder zwei Bereichen eine gewisse Wirkung zu hinterlassen“. Offensichtlich ist, dass bei ihm die „hohe Taktrate der Arbeitsabläufe“ Eindruck hinterlassen hat. Das Aktenfressen und die unzähligen Ausschusssitzungen kennt Kölmel allerdings. Die vergangenen 20 Jahre war er beim Landesrechnungshof in Baden-Württemberg unter anderem für Haushaltsfragen zuständig.

Aber auch er beherrscht die Politikersprache, die nicht differenziert und auf Attacke ausgerichtet ist – wenn sie aus seinem Munde auch etwas ungelenk wirkt. „Eigentlich sind wir die wirklichen Freunde der EU“, sagt Kölmel, und er freut sich sichtlich auf die kleine Pointe, „denn ein Freund darf auch einmal ein kritisches und offenes Wort sagen.“

Lucke fühlt sich in Brüssel freundlich aufgenommen

Im Vordergrund steht bei der Einschätzung eines Kollegen bei den meisten EU-Abgeordneten die Bewertung der Sachkompetenz. „Der Herr Kölmel ist ein angenehmer Typ“, sagt denn auch FDP-Mann Michael Theurer, „zudem kommt er vom Rechnungshof, da muss er mit Zahlen umgehen können.“ Und Theurer lässt durchblicken, dass er auf einer pragmatischen, fachlichen Ebene mit so ziemlich jedem Politikerkollegen auskommen kann, solange dieser fleißig mitarbeitet und sich dabei konstruktiv mit Europa auseinandersetzt.

In Brüssel pflegen die Parlamentarier generell einen sachlicheren Politikstil als in Berlin – weswegen die Attacken weniger heftig ausfallen. „Wir sind sehr freundlich aufgenommen worden“, sagt Bernd Lucke, der jüngst von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angegangen worden war, indem er die AfD als „Schande für Deutschland“ bezeichnete. „Solche Attacken“, so Lucke, vor dessen Büro die Kisten für den monatlichen Umzug nach Straßburg stehen, „gibt es hier nicht.“ Vielleicht macht die AfD ja noch ihren Frieden mit Europa.