Mit Ain’t no grave und Gurr standen im Stuttgarter Jugendhaus West am Mittwoch die größtmöglichen Gegensätze auf der Bühne – vielleicht nicht musikalisch, aber gendermäßig.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Aufmerksame Beobachter der Stuttgarter Gitarrenmusikszene sind womöglich schon über die Band Ain’t no grave gestolpert. Das ist ein Duo aus Filderstadt, das unter anderem in der Band Tiger Movement zusammen gespielt hat – in verschwundenen Läden wie dem Beat Club oder im Zwölfzehn, als das noch eine erkennbare Livemusik-Linie fuhr.

 

Derzeit hat unter anderem das Goldmark’s diese Rolle übernommen (wo Ain’t no grave auch schon gespielt haben) – oder aber das Gasthaus Anker in Filderstadt, wo der Ain’t-no-grave-Sänger Dejan Zarkovic Herr über das Booking ist und tolle Künstler in den Stuttgarter Speckgürtel holt. Das Juha West, wo Ain’t no grave am Mittwoch aufgetreten sind, bringt ebenfalls ein konsistentes Programm auf die Bühne: Gitarrenmusik der meist härteren Sorte und ab und zu auch Rock’n’Roll. So zum Beispiel am Mittwoch, wo Ain’t no grave und die Konstanzer Band Bikini Beach gemeinsam mit der Berliner Gruppe Gurr aufgetreten sind.

Der Abend ist zum einen natürlich ein Fest der Do-it-yourself-Szene, wie ein Blick an den Merch-Stand (selbst gebrannte CDs, Kassetten) verrät. Zum anderen zeigt er, dass es sich lohnt, sich bei der Auswahl der Support-Bands viel Mühe zu geben. Bikini Beach sind der richtige Opener für ein Publikum, das sich gern überzeugen lässt. Ain’t no grave bereiten anschließend den Weg zur musikalisch daran anknüpfenden Hauptband Gurr – sind aber auch der perfekte Kontrast zu der Berliner Girlgroup.

Zu klein für diese Gitarre

Klar: Ain’t no grave haben die Größten – die größte Bassdrum (siehe Bilderstrecke) und die größte Gitarre, „eine Baritongitarre, deshalb sehe ich kleiner aus als ich bin“, betont Dejan Zarkovic. Mit seiner Baritongitarre ersetzt Zarkovic auch ein bisschen den Bassisten, auf den man bei einem Ain’t-no-grave-Gig ewig warten kann. Mit den Black Keys und den White Stripes hat das Duo aus Filderstadt prominente Vorbilder, wenigstens besetzungtechnisch. Obwohl: auch musikalisch.

Ain’t no grave spielen Rock’n’Roll in seiner rohesten, bluesigsten Form. Bo Diddley wird gecovert, The Sonics, und der namensgebende Gospel „Ain’t no grave“ – bekannt auch in der Johnny-Cash-trifft-Rick-Rubin-Version – wird zur stampfend-verzerrten Lo-Fi-Nummer direkt aus der Filderstädter Rock’n’Roll-Garage. Beeindruckend auch die physische Kraft dieser Musik: Frank Felfes Riesenbassdrum und auch die anderen Riesentrommeln sind das knallendste Drumset im Umkreis von mindestens 28 Kilometern.

Das knallt so sehr, dass es mit jedem Schlag ein Stückchen Richtung Bühnenrand rutscht – und am Ende das Bassdrum-Mikro von der Bühnenkante kippen lässt. Dabei kriegt das Trommelfell der Bassdrum einen tiefen, tiefen Riss ab. Das Publikum bemerkt das erst gar nicht – und vermutet dann hinter dem Riss im Fell volle Absicht. Kein Wunder, Ain’t no grave sind erkennbar Soundfetischisten mit Hang zu alten Gitarrenverstärkern, selbst gebauten Gesangsanlagen aus Uralt-Mikro samt Miniverstärker. Ja, das kann sich hören und sehen lassen, und erfreulicherweise verzichtet das Studio auf jegliches Rock’n’Roll-Theater. Das Duo will ja gerade nicht auf Ü 60-Partys die Rampensau geben, sondern seine Soundidee einem jungen Publikum präsentieren.

Die Mädchenvariante der Filderstädter Männermusik

Gurr sind in vielerlei Hinsicht die Mädchenvariante dieser Filderstädter Männermusik. Gurr ausgesprochen wie Grrr, was die Band phonetisch in die Nähe der Riot Grrrls rückt – jenen lauten Westküstenmädchen, die in den Neunzigern ein lautstarkes Gegenstück zur männlich dominierten Gitarrenmusikszene schufen. Gurr waren damals sicher noch nicht dabei, sind aber erkennbar von dieser Bewegung inspiriert. Der Wechselgesang zwischen der Sängerin Andreya Casablanca und der Schlagzeugerin Laura Lee Jenkins erinnert an die Riot-Grrrl-Gruppe Le Tigre; ansonsten spielt das Trio melodiösen Garagen-Rock, also rasch wechselnde Riffs zu einem geradeaus nach vorn gehenden Schlagzeug.

Jenseits dieser Anklänge einer „weiblichen“ Version von Gitarrenmusik vermeiden die drei Musikerinnen sowohl jegliche Art von Mädelsklischee als auch aufgesetzt feministische Gesten – sehr angenehm in Zeiten aufgeregter Wiederholungen von TV-Debatten zum Thema Gender. Allein bei der Größe der Bassdrum sticht der Kontrast ins Auge: wo Ain’t no grave sich hinter ihren Rieseninstrumenten kleiner fühlen als sie sind, wirken Gurr im Vergleich zu ihrer Minibassdrum ziemlich groß. Und das auch im musikalischen Sinne: völlig zu Recht sind die CDs, die sie dabeihaben, nach dem Konzert schnell ausverkauft.

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