Kaum jemand weiß, wie umfassend die Ansprüche der Bürger auf Umweltinformationen sind. Mit der Akteneinsicht zu Stuttgart 21 könnte sich das ändern. Ein Fall zum Polizeieinsatz im Schlossgarten am „Schwarzen Donnerstag“.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es dürfte wenige Menschen in Baden-Württemberg geben, die ihre Auskunftsrechte so gut kennen wie Gert Meisel aus Bruchsal. Vor zehn Jahren erzwang der promovierte Physiker und Grünen-Stadtrat bei den Behörden erstmals Transparenz: Weil er sich über den örtlichen Fallschirmspringerklub ärgerte, dessen Maschinen immer am Wochenende von einem Bundeswehr-Flugplatz abhoben, beantragte er unter Berufung auf die EU-Richtlinie zur Umweltinformation Einsicht in den Mitbenutzungsvertrag. Das aktenführende Regierungspräsidium verwehrte sie ihm, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe wurde seine Klage abgewiesen. Doch bei der Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht hatte Meisel Erfolg: die Unterlagen mussten ihm zugänglich gemacht werden.

 

Der Sieg kostete den damals 65-Jährigen zwar eine stattliche Summe an Anwaltsgebühren, hat ihn aber enorm beflügelt. Immer wieder nutzte er seither die EU-Richtlinie und die darauf basierenden Umweltinformationsgesetze (UIG) von Bund und Ländern, um den Behörden in die Karten zu schauen. „Es geht um Machtwissen“, sagt der Pensionär, der das erstrittene „bisschen Macht“ für den Umwelt- und Naturschutz einsetzt. Mit den Jahren wurde Meisel zum Experten für die wenig bekannten Informationsrechte. Regelmäßig machte er als Stadtrat davon Gebrauch, etwa um zweifelhafte Baugenehmigungen im Außenbereich zu hinterfragen. Zugleich wurde er mit seiner Erfahrung zum gefragten Ratgeber von Bürgerinitiativen, auch bei Stuttgart 21.

Die Anträge wurden „immer verwegener“

Seine Anträge, sagt Meisel, seien im Lauf der Zeit „immer verwegener“ geworden. Jeder Erfolg ermutigte ihn, die Grenzen der Auskunftspflicht weiter auszuloten. Der bisher verwegenste Vorstoß ist jener, den er zusammen mit dem pensionierten Richter Dieter Reicherter unternahm: Bei der Staatskanzlei in Stuttgart in Stuttgart forderten die beiden Einsicht in alle Dokumente rund um den Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Schlossgarten. Dessen Anlass waren die geplanten Baumfällungen, womit es sich eindeutig um ein Umweltthema handelte. Ihr Hauptziel, Kopien von Mails des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus zu bekommen, erreichten die zwei Pensionäre zwar (noch) nicht. Doch in der Regierungszentrale bekamen sie Hunderte von Aktenseiten zu sehen, die aufschlussreiche Einblicke in die Zeit um den „schwarzen Donnerstag“ boten (siehe StZ vom 1. März).

Aufschlussreich war der Antrag auch für das Staatsministerium. Mit dem UIG, bekannten die zuständigen Beamten, habe man bisher wenig zu tun gehabt; sie mussten sich erst einmal kundig machen. Tatsächlich werden die Auskunftsrechte nur sehr sparsam genutzt. Die Öffentlichkeit nehme das Instrument „eher verhalten an“, berichteten Behördenvertreter unlängst bei einem Fachkongress des Umweltministeriums; derartige Anträge spielten eine „vernachlässigenswerte Rolle“. Meist kämen sie von Umweltverbänden, Bürgerinitiativen oder Kommunalpolitikern. Eine Statistik über die Initiativen führt das Ministerium nicht, weder über Zahl noch über Inhalte; die Themenfelder Klimaschutz und Erneuerbare Energien stünden aber besonders im Fokus. Generell sei man bestrebt, möglichst viele Daten von sich aus elektronisch bereitzustellen – etwa auf den Online-Seiten des Umweltinformationssystems, die pro Jahr von 500 000 Besuchern mehr als 3,5 Millionen Mal aufgerufen würden. Das mindere auch den Rechercheaufwand in den Behörden, der „in Einzelfällen erheblich“ sei.

Gerichte bremsen zu enge Auslegung

Die Resonanz könnte auch deshalb eher gering sein, weil wenig bekannt ist, wie umfassend die Auskunftsrechte sind. Frühere Tendenzen, den Begriff „Umweltinformationen“ möglichst eng auszulegen, wurden von den Gerichten einhellig zurückgewiesen. Heute bedarf es guter Gründe, die Einsicht zu verweigern – etwa zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder von interner Korrespondenz. Ein wichtiger Beitrag zur Transparenz sei die Klagemöglichkeit gegen Behörden, die noch „dem traditionellen Verständnis des Aktengeheimnisses“ verhaftet seien, bilanzierte der Stuttgarter Verwaltungsrichter Richard Rudisile bei dem Ministeriumskongress. Die Abwägung der Interessen müsse so einer „vollen Überprüfung“ standhalten.

Auch der Antrag der Pensionäre Meisel und Reicherter könnte noch die Gerichte beschäftigen. Gegen die Ablehnung in mehreren Punkten haben sie beim Staatsministerium umgehend Widerspruch eingelegt und wollen notfalls klagen. Auf sechs eng beschriebenen Seiten erläutern sie den Ministerialen, wo überall diese einen „beklagenswerten Mangel an Kenntnissen zum Umweltinformationsrecht“ offenbarten. So könnten die Protokolle nicht öffentlicher Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum Polizeieinsatz nicht mit der Begründung verweigert werden, die „Verfügungshoheit“ darüber habe der Landtag; nach dem Gesetz komme es alleine auf das „Vorhandensein“ der Dokumente an.

Auskunft zu Kommunikationsstrategie verweigert

Auch das Kommunikationskonzept der Agentur CNC zu Stuttgart 21 könne nicht einfach unter Verweis auf den Stempel „streng vertraulich“ zurückgehalten werden. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch zu erfahren, „welcher Art von Propaganda und Indoktrination sie ausgesetzt werden soll“. Irrtümlich unterstelle die Regierungszentrale auch ein Vetorecht von Mappus gegen die Herausgabe seiner Mails: Da diese von einem Arbeitsplatzrechner stammten, sei „im Sinne der Unschuldsvermutung“ vielmehr anzunehmen, dass er diesen „nicht für seine privaten Angelegenheiten missbraucht hat“.

Der Verweis auf das laufende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe, in dem Mappus die Löschung seiner Mails erzwingen will, überzeugt die Pensionäre ebenfalls nicht. Inzwischen haben sie beantragt, zu dem Prozess beigeladen zu werden. Die Entscheidung steht noch aus.