Sprachspuren sollen in Bad Boll die Vielfalt im Ort aufzeigen. Das Projekt erhält als eines von landesweit fünf einen Zuschuss der Baden-Württemberg-Stiftung.

Bad Boll - Die Ideen sprudeln nur so. Ein neuer Arbeitskreis Vielfalt in Bad Boll schickt sich an, das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit ungewöhnlichen Methoden zu verbessern. Eine Idee: das ganze Dorf soll eine Zeit lang zu einem interaktiven Wörterbuch werden. In der Praxis sieht das so aus, dass Wörter in den verschiedenen Sprachen im Ortsbild auftauchen. So kann auf einem Gehweg die englische Vokabel „pavement“, die arabische Übersetzung „rasif“ oder das aus dem Französischen entlehnte Wort „Trottoir“ stehen. Für die Umsetzung ihrer Ideen dürfen die Bad Boller mit einem Zuschuss in Höhe von maximal 28 000 Euro rechnen. Das Projekt wurde als eines von landesweit fünf in das Programm „Vielfalt gefällt! Orte des Miteinanders“ aufgenommen. Bewerber gab es 20. Begleitet wird das Projekt von dem Künstler Bruno Nagel, der jüngst als Stadtschreiber in Göppingen unterwegs war .

 

Briefkasten für Geschichten von Flüchtlingen

Ein erster Workshop hat schon stattgefunden. Fast 30 Menschen aus allen Ecken der Welt mit Lebensmittelpunkt Bad Boll haben erste Projekte in Angriff genommen, indem sie etwa ihre Vornamen und ihren Geburtsort auf den Kirchplatz schrieben. Ein Ziel sei dabei schon erreicht worden, sagt Jobst Kraus. Der ehemalige Studienleiter an der Evangelischen Akademie ist der Vorsitzende des Arbeitskreises. Obwohl die Verständigung oft nur mit Händen und Füßen möglich gewesen sei, hätten sich bei dem „kreativen Tun“ erste Anknüpfungspunkte und Diskussionen ergeben. Beschäftigt haben sich die Teilnehmer auch mit dem Wort Vielfalt. „Wir haben versucht, ein gemeinsames Verständnis dieses Begriffes zu entwickeln.“

Schon im Dezember ist ein weiterer Workshop geplant. Bis Juli 2017 bleibt Zeit, die Ideen zu verwirklichen. Geplant sind unter anderem ein Wegweiser zu den Orten, aus denen die Menschen stammen, die nun in Bad Boll leben, und eine Weltkarte, auf der jeder, sei er aus Bad Boll, von der Alb oder aus Syrien, mit Filzstift seinen Geburtsort eintragen kann. Ferner soll in der Ortsmitte ein Briefkasten aufgestellt werden, in den Geschichten von Flucht und Vertreibung eingeworfen werden können. „Das können auch Geschichten von Heimatvertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg sein“, sagt Kraus, der bei Bürgermeister Hans-Rudi Bührle vorstellig werden will, um zu fragen, wo ein solcher Briefkasten platziert werden könnte, ohne zum Ärgernis zu werden.

52 Sprachen gibt es in Bad Boll

Ärger zu vermeiden, das ist den Akteuren wichtig. Schließlich soll das Projekt die Neugier und die Bereitschaft zum Mitmachen wecken. Es gehe nicht darum, dass alle Arabisch lernen müssten, stellt Kraus klar. Vielmehr richte sich der Fokus auf die Vielfalt der Sprachen. Im 5200-Einwohner-Ort Bad Boll seien 52 Sprachen vertreten, von Holländisch über Russisch und Französisch bis hin zu Arabisch und Farsi. Natürlich sei es für einen Syrer oder Afghanen schön, Wörter in seiner Muttersprache an öffentlichen Plätzen zu entdecken und sich auf diese Weise willkommen zu fühlen. Doch willkommen zu sein, heiße nicht unbedingt akzeptiert und anerkannt zu werden. An diesem Punkt setze der Arbeitskreis an. Die Texte, die in den Workshops gemeinsam entwickelt werden sollen, drehten sich vor allem auch um das Ankommen und Aufgenommen werden.

Mit ins Boot holen will der Arbeitskreis auch die Schule. Dort soll eine Hörstation aufgebaut werden, an der Kinder den gleichen Text in verschiedenen Sprachen hören können. Ferner sind die Akteure auf der Suche nach einer Wand in der Ortsmitte, auf die sie ein syrisches Gedicht schreiben dürfen. Die Wörter und Texte sollen nicht für die Ewigkeit sein. Es sei beabsichtigt, dass sie verblassen und irgendwann wieder ganz verschwinden.

Wichtig ist Kraus, dass der Fokus auf alle Menschen im Ort gerichtet wird und nicht nur auf Flüchtlinge. Mit dieser Absicht, wirklich alle anzusprechen, haben der Arbeitskreis und die Gemeinde die Baden-Württemberg-Stiftung überzeugt, die in Zusammenarbeit mit der Allianz für Beteiligung das Programm „Vielfalt gefällt! Orte des Miteinanders“ aufgelegt hat, um vor dem Hintergrund einer wachsenden Vielfalt der Gesellschaft zu klären, wer wir sind und wie wir zusammenleben wollen.