Um etwas gegen die Luftverschmutzung zu tun, plant China den Bau von Dutzenden neuer Atomkraftwerke. Die Nuklearenergie gilt dort als sicher und sauber.

Peking - Die chinesische Regierung plant den Bau von mehr als 80 neuen Kernreaktoren in nur 15 Jahren. China werde damit unter die weltweit größten Nutzer von Atomkraft aufsteigen, prognostiziert die Power Construction Corporation of China, ein staatlicher Kraftwerkshersteller. Die Wirtschaftsplaner des Landes halten die Errichtung neuer Atommeiler für nötig, um die Energieversorgung zu sichern. Wegen ehrgeiziger Ziele für die Verringerung der Luftverschmutzung verbietet sich der Bau neuer Kohlekraftwerke. In Entwürfen für Regierungspläne für die Energiewirtschaft sind deshalb 75 Milliarden Euro für den Atomausbau vorgesehen.

 

Auf der laufenden Klimakonferenz in Paris tritt China mit einem ehrgeizigen Ziel an: Die Kohlenstoffverbrennung pro Einheit der Wirtschaftsleistung soll um bis zu 65 Prozent sinken. Die Emissionen sollen ab 2030 insgesamt zurückgehen. Da die Wirtschaft des Landes weiter wachsen soll, ist ein zügiger Ausbau sämtlicher Energieträger vorgesehen, die die Luft nicht verpesten. Auch die erneuerbaren Energiequellen gehören zum Mix, aber deren Installation läuft bereits am Anschlag.

Der „strategische Aktionsplan für die Entwicklung der Energieversorgung”, ein älteres Papier, sieht bis 2020 bereits einen etwa zehnmal größeren Ausbau von Wasser-, Wind- und Solarenergie vor als Atomkraft. Die Kernenergie fällt nach chinesischer Sichtweise unter die sauberen und modernen Stromquellen.

Bis zum Jahr 2030 sollen 110 Reaktoren am Netz sein

Nun legt Peking noch eine Schippe drauf. Der nächste Fünfjahresplan für die Energiewirtschaft befindet sich derzeit im Entwurfsstadium. Im März soll ihn der Nationale Volkskongress, das chinesische Scheinparlament, absegnen. Die neuen Pläne sehen einen schnelleren Ausbau der Atomkapazität vor als geplant. Bisher war bekannt, dass die Leistung binnen fünf Jahren auf 58 Gigawatt steigen soll, nun sind 88 Gigawatt im Gespräch. Bis 2030 sollen 110 Reaktoren am Netz sein. Auch das ist erst der Anfang: Die Planer sehen in den nächsten Jahrzehnten den Bau von Hunderten weiterer Kraftwerke vor. Dazu kommen Wiederaufbereitungsanlagen und eine unterstützende Infrastruktur.

Auch in China gibt es Kritik an den ehrgeizigen Atomplänen. Der Physiker He Zuoxiu leitet mit statistischen Methoden ab, dass ein Atomunfall in China bis 2030 „sehr wahrscheinlich“ und bis 2050 fast unvermeidlich sei. He hat früher am chinesischen Kernwaffenprogramm mitgearbeitet und ist heute pensioniert. Inzwischen ist er der seriöseste Warner vor der Atomkraft.

Ein Experte warnt vor den immensen Risiken

He sieht vor allem ein Risiko in der geringen Erfahrung der Betreibermannschaften bei einem dermaßen raschen Ausbau der Anlagen. „Die Qualität der Mitarbeiter hinkt der anderer Länder hinterher“, sagt He. „Um Kosten zu sparen, machen die Betreiber zudem Abstriche bei der Sicherheit.“ Viele der neuen Reaktortypen seien brandneu, es fehlten Erfahrungen.

Der schnelle Ausbau erinnert He an den „Großen Sprung nach vorn“. Durch dieses wirtschaftspolitische Programm wollte China in den 50er Jahren blitzschnell auf das Niveau westlicher Länder aufschließen. Doch die Entwicklung ließ sich nicht erzwingen, das Ergebnis waren Hungersnöte. He hält vor allem den Bau von Atommeilern am Gelben Fluss und am Yangtse für gefährlich. Aus diesen Strömen trinken Millionen von Menschen, und sie dienen den fruchtbarsten Regionen Chinas zur Bewässerung. Während die Betreiber die radioaktive Suppe nach dem Unfall im japanischen Fukushima ins Meer pumpen konnten, droht in China eine vielfach größere Katastrophe. In den betreffenden Regionen gibt es ebenfalls Erdbeben.

Für die Regierung hat aber Priorität, die Luftverschmutzung und den Kohlehunger in den Griff zu bekommen. Gerade die Reaktoren der neuen Generation versprechen zudem erhöhte Sicherheit: intelligente Systeme gleichen menschliche Fehler aus, dicke Schutzbehälter sowie robuste Ersatzsysteme sollen helfen, Störfälle glimpflich ablaufen zu lassen. „Die dritte Generation der Reaktortechnik entspricht den höchsten Standards“, sagt Sun Qin, Chef der Nuklearfirma China National Nuclear Corporation. Die Meiler chinesischer Bauart eignen sich Sun zufolge daher auch bestens für den Export in andere Länder. China baut derzeit das erste Exemplar eines bisher ungetesteten eigenen Reaktortyps in Pakistan.