Albert Raff kennt Degerloch, als wäre er hier geboren. Dabei kam er vor ziemlich genau 70 Jahren wo ganz anders zur Welt. Doch in Degerloch hat er sein Zuhause gefunden. Seit Jahren sammelt er historische Bilder.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Degerloch - Er ist Degerlochs Gedächtnis. Albert Raff weiß zum Beispiel, wo einst überall Tankstellen Sprit verzapft haben, er weiß, warum das Gasthaus Ritter als einziges altes Haus zwischen Betonklötzen die Bauwut der Siebziger überlebt hat, und Albert Raff weiß vor allem, wie es früher im Flecken ausgesehen hat. Er ist so etwas wie das Fotoalbum Degerlochs. Seit Jahren sammelt er besondere Postkarten und Bilder aus der Vergangenheit. Am Dienstag, 1. April, wird Albert Raff 70.

 

Albert Raff rechnet mit 60 Gästen

Wenn Albert Raff 70 wird, muss gefeiert werden. „Man kommt nicht drum rum“, sagt er, zuckt mit den Achseln und lächelt. Er sitzt am Esstisch, an der Wand dekoriert ein alter Kochherd das Wohnzimmer, auf ihm steht das Kästchen mit den Tischkärtchen fürs Geburtstagsfest. Albert Raff rechnet mit etwa 60 Gästen, angestoßen wird in der Alten Scheuer. Unter historischem Gebälk und im Herzen Degerlochs – kein Ort würde sich besser eignen.

Dabei ist Albert Raff gar nicht in Degerloch geboren. 1944 kommt er in Pommern zur Welt. Dort hat sein Vater, ein Degerlocher, ein landwirtschaftliches Gut gekauft. Degerloch ist zu der Zeit kein guter Ort für Bauern, sie leben von der Hand in den Mund. Seine Eltern haben sich in Pommern kennengelernt, seine Mutter ist gebürtige Stettinerin.

Das Gut von damals gibt es heute noch

Die Geschichte nimmt eine tragische Wendung: Als Albert Raff ein Jahr alt ist, flieht er mit seiner Mutter, seiner Großmutter und seinen beiden Geschwistern nach Degerloch. Sein Vater wird auf dem Hof von den anrückenden Russen erschossen. Das Gut, das sein Ursprung ist, gibt es heute noch. Albert Raff war schon dort. Und er hat natürlich ein Bild davon. Es hängt draußen im Flur an der Wand.

„Es war der Wunsch meiner Mutter, dass der kleine Albert Lehrer wird“, erzählt er. Sie selbst kam aus einer Lehrerfamilie. Doch Albert Raff bastelte als Gymnasiast lieber an Modellflugzeugen, als zu pauken. Deshalb wurde es erst mal nichts mit dem Abitur, dafür aber mit einer Lehre zum Buchdrucker. „Das habe ich auch durchgezogen“, sagt er. „Aber es war nichts für mich, es war mir zu langweilig.“ Also hat er sich dahintergeklemmt, doch noch das Abi gemacht – und ist Lehrer geworden. „Man konnte es reparieren“, sagt er. Mehr als das: 1979 wurde er Schulleiter an der Fasanenhofschule, 1989 wechselte er als Rektor an die Lerchenrainschule.

Ein Schulleiter mit Nebenjob

Abgesehen von der Lehrerkarriere hat Albert Raff schon seit 40 Jahren einen Nebenjob: die Recherche in der Vergangenheit. Sein Fachgebiet sind Münzen und Medaillen in Württemberg. In Büchern hat er sie erfasst, beschrieben und notiert, was er über sie und ihre Zeit herausgefunden hat. Sieben Bände hat er bereits geschafft – in Zusammenarbeit mit dem Leiter des Münzkabinetts am Landesmuseum Württemberg. Darauf ist er stolz.

Wie viel Stunden hat er wohl schon blätternd in den Hauptstaatsarchiven Stuttgart und Ludwigsburg verbracht? Er zählt sie nicht. „Es geht klar übers Hobby raus.“ Er war sechs Jahre der Präsident der deutschen Numismatiker, das sind Münzkundler. Albert Raff hat immer eher das Wissen gesammelt, weniger die Münzen selbst. Was er sammelt, sind Schulmedaillen.

Die Leute liebten seine Bilder

Und Postkarten und Bilder von Degerloch. „Die haben sich so allmählich angehäuft“, sagt er. Irgendwann hatte er genügend für eine Ausstellung zusammen. Die Leute liebten seine Bilder, „da kam die Buchidee, und dann beschäftigt man sich ernsthafter damit“. Im Herbst soll sein zweites Degerloch-Bilderbuch erscheinen. Die Quellen versiegen irgendwie nicht.

Das Foto von Albert Schweitzer zum Beispiel. Es zeigt die berühmte Persönlichkeit vor der Michaelskirche. Albert Raff kann sich noch daran erinnern, wie seine Mutter damals zu ihm gesagt hat: „Komm, wir gehen in die Kirche, da spielt der Albert Schweitzer Orgel.“ Im Archiv hat er Bilder und Papier gewälzt. Dann hat er das Foto gefunden. Es gehört ihm zwar noch nicht, aber er weiß: Es wird ein Hingucker. „Ach das mit Degerloch“, sagt er, „das macht mir einfach Spaß“.