Hugo Chávez gehörte zu den schillerndsten Politikern Lateinamerikas. Von seinen Anhängern vergöttert, von seinen Gegner verteufelt, hinterließ er Venezuela als Land der Hoffnungslosigkeit. Alberto Barrera Tyszka hat darüber den brillanten Roman „Die letzten Tage des Comandante“ geschrieben.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Struttgart - Zu den Ländern, an die man nur mit dem größten Bedauern denken kann, gehört ohne Zweifel Venezuela. Überreich an Naturschönheit und Bodenschätzen, versinkt es seit Jahren immer tiefer in einem Sumpf aus Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Viele sehen die Schuld für diesen Niedergang in der Person des früheren Oberstleutnants Hugo Chávez, der das Land von 1999 bis zu seinem Tod 2013 regierte.

 

Vor allem im Westen ist der Comandante mit seiner Nähe zum Maxímo Lider Fidel Castro und seiner „Bolívarischen Revolution“ immer kritisch beäugt worden. Im Land selber hingegen genoss er bis zuletzt großen Rückhalt in weiten Kreisen der Bevölkerung. Warum das so ist, zeigt Alberto Barrera Tyszka in seinem Roman „Die letzten Tage des Comandante“.

Der venezolanische Autor schildert die Krise einer Gesellschaft in all ihren Facetten. Beispielhaft porträtiert er Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten: Angehörige der Intelligenzija, einfache Leute, Chávez-Anhänger und seine als „lausig“ verschrieenen Gegner, nicht zuletzt prototypisch zwei sich selbst erziehende Kinder, deren Zukunft so ungewiss ist wie die ihres Landes.

Das ganze Buch dreht sich um die Agonie des Mannes, der „über zehn Jahre den Staat und das Land umstrukturiert hatte, zu einem System, das nur funktionierte, wenn es ihn umkreiste und seinen Namen sagte“. So sind denn alle Figuren nur Teil eines Spiels, das sie nicht beeinflussen können: der apolitische Arzt, sein Chávez fanatisch verehrender Bruder, das Waisenkind María, die aus dem Ausland zurückgekehrte Mittelschichtlerin, die sich mit der von ihr verhassten Unterschicht verbündet, um wieder an ihre Wohnung zu kommen . . .

So sehr das Buch an einigen wenigen Stellen an einer blumigen Sprache krankt („Ein Vokal, der sich in der Dunkelheit reckte“, „Die Luft, die ihr ein Bein stellte“, eine Kugel, „die den Gaumen durchrüttelt“), so beeindruckend ist es mit seiner empathischen Bestandsaufnahme eines Landes, das nach dem Tod des Comandante so hoffnungslos ist wie davor. Wer sich auch nur ein bisschen für Venezuela interessiert, sollte unbedingt diesen Roman des 56-jährigen Literaturprofessors lesen.

Alberto Barrera Tyszka: Die letzten Tage des Comandante. Roman, übersetzt von Matthias Strobel,

256 Seiten, Nagel & Kimche, 22 Euro, auch als E-Book.