Das neue Heisskalt-Album „Vom Wissen und Wollen“ fühlt sich an wie das Ende einer Reise. Ist es auch das letzte der famosen Band aus Sindelfingen?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wer das Vergnügen gehabt hat, bei einem der ersten Auftritte von Heisskalt dabei zu sein, der merkte gleich: Diese Band will es wissen. Damals, im Sommer 2011, hatte das Sindelfinger Quartett nicht mehr als eine Demo-CD im Pappschuber sowie Unterhemden mit Bandlogo im Angebot – und sehr, sehr laute Konzerte. Die Gitarrenwände entfalteten auf der kleinen Bühne eine selten zu hörende Wucht. Die unfassbare Lautstärke, gepaart mit Klangtüfteleien und technischer Versiertheit, ist bis heute das Markenzeichen von Heisskalt.

 

Nach den ersten Auftritten vor wenig Publikum eroberte Heisskalt 2013, dank des Erfolgs beim Bandwettbewerb Play Live, auch die große Bühne des Southside-Festivals. Eine fast zwei Jahre dauernde Ochsentour durch die Clubs der Republik schloss sich an, in Stuttgart sorgte die Band zuletzt für ein ausverkauftes LKA. Zwischendurch erschien noch das Album „Vom Stehen und Fallen“ bei Chimperator Department samt Vertriebsdeal mit Sony. Das Album war ein über weite Strecken überzeugendes Stück Gitarrenmusik, ein Leuchtturm im derzeit so weiten wie kraftlosen Feld namens Rockmusik.

Stuttgarter Gitarrengewitter

Am Freitag ist nun bei dem mittlerweile von Chimperator losgelösten Berliner Label Department Musik der Nachfolger erschienen: „Vom Wissen und Wollen“, erhältlich als CD und Doppel-LP. Man versteht diese Platte am besten, wenn man sich noch einmal anhört, was Heisskalt zum Beginn der Karriere gemacht hat. Im Internet findet sich ein Mitschnitt ihres Songs „Hallo“, aufgezeichnet im Stuttgarter Universum. Man sieht Konzertbesucher beim Mitklatschen und vier verschwitzte junge Männer, die auf der Bühne mit knallig gespielten, aber auch simplen Riffs reichlich Radau machen. Erst die ohne Gesang auskommende Coda am Ende des Stücks deutet an, welche Gitarrengewitter die Band schon damals im Kopf hatte.

„Wir waren auf der Suche“, sagt der Heisskalt-Sänger Mathias Bloech, wenn er sich an diese Phase der Bandgeschichte erinnert – was ja nicht heißt, dass die Jungs etwas falsch gemacht hätten: Mit eingängigen Songs haben sie ein großes Publikum gewonnen, dem sie jetzt jene Musik vorspielen, die sie schon immer machen wollten. Pures Kalkül? „Auch wenn es so wirken könnte: Wir haben die Leute nicht mit Zucker angefüttert, um ihnen jetzt die bittere Medizin zu geben“, beteuert Bloech.

Wobei das Bild mit der bitteren Medizin schon passt: Das Subjekt in Bloechs Texten leidet an der Welt und umschreibt dieses Leiden als Gegenentwurf zum letztlich hohlen Immer-gut-drauf im Konsumkapitalismus („Lied über Nichts“). Dazu prügelt Marius Bornmann sein Drumset und die Gitarrensounds von Philipp Koch sind scharf wie Rasierklingen, mit denen sich depressive Teenager die Arme aufritzen. Darunter legt Lucas Mayer einen treibenden Bass oder schlicht einen tiefen Ton. Außerdem ist das neue Album angenehm luftig und atmosphärisch aufgenommen worden. „In den Songs passiert extrem viel, es geht ständig auf und ab“, findet Mathias Bloech, „in Sachen Komplexität sind wir am Ende der Fahnenstange angelangt.“

Als Beispiele könnte der mehrfach gebrochene Dreivierteltakt in der Knallerballade „Nichts weh“ dienen oder der fast acht Minuten lange, letzte Song des Albums: „Papierlunge“ hat zwar einen Refrain, immerhin, aber die „Euphoria“, die schon im gleichnamigen ersten Song des Albums nicht echt ist, weicht hier einer tauben Erschöpfung. „Lausche dem Knistern der Flammen: Wir brennen von beiden Enden / Weiterer Widerstand wäre zwecklos / Atme den Rauch ein, stecknadelkopfgroße Pupillen“, textet Bloech. „Papierlunge“ endet mit einem minutenlangen Instrumentalpart, in dem zittrige Gitarren vergeblich Halt suchen, bevor sie in metallischer Verzerrung verglühen. Industrial hätte man solche Klangexkurse früher genannt.

Stuttgart ist ihm zu eng geworden

Ist die Band jetzt erwachsen? Vielleicht. Sie ist gewachsen, an sich selbst und ihrer Musik. Und Stuttgart ist dem Sänger Mathias Bloech zu eng geworden. Er hat seine drei Bandkollegen zurückgelassen, ist nach Leipzig gegangen und nur am Telefon zu sprechen. Klar, dass so ein Auseinandergehen die Band verändert. Der Schlagzeuger Marius Bornmann und der Bassist Lucas Mayer leugnen auch nicht ihre Unsicherheit ob der Zukunft von Heisskalt. Doch die Band hat gelernt, damit umzugehen.

Nach ihrem Stuttgarter Vierfach-Konzert im Herbst 2014 wurde Bloech krank, die Deutschland-Tour musste verschoben werden. Und vor einer Woche war man gerade auf dem Weg zu Rock am Ring, als der Tourmanager nachts um drei über die Absage des Festivals informiert wurde. Er sagte dem Busfahrer Bescheid – und die Band war reichlich verdutzt, als sie am Morgen nicht auf dem Festivalgelände, sondern vor ihrem Proberaum aufwachte.

Musik, die sich richtig anfühlt

Rückschläge aber haben die Musik von Heisskalt stets besser gemacht. Die bislang drei Heisskalt-Tonträger, die EP „Mit Liebe gebraut“ von 2013 eingerechnet, sind allesamt im selben nordhessischen Studio entstanden und wurden dort live eingespielt – jedes Mal hat sich die Band davor wochenlang zum Üben und Songschreiben auf eine einsame Hütte zurückgezogen. So kann man weiterarbeiten, auch wenn man nicht mehr jeden Abend gemeinsam im elterlichen Garten in Sindelfingen abhängt. Man ist ja auch kein Teenie mehr. An die Stelle schierer Energie mit überquellendem „Bewegungsdrang“, so heißt die erste Heisskalt-Single von 2011, ist über die Jahre eine gereifte Schilderung der Welt getreten, ein Zurückblicken, auch ein Zurücklassen: „Ich weiß genau, wo all die Jahre sind, zieh mir irgendwelche Gründe an den Haaren herbei. Nun da auch die letzten Türen aufgestoßen sind, sind wir frei“, heißt es in „Euphoria“, dem Eröffnungssong des Wissen-und-Wollen-Albums.

Die Band ist frei, die Musik zu spielen, die sich für sie richtig anfühlt, nach der sie gesucht hat. „Das Tolle ist, dass uns die Leute noch zuhören“, sagt Mathias Bloech. Angesichts der Schönheit, die der Sänger und seine Band in all dem Gitarrenlärm und einer durch und durch als kaputt wahrgenommenen Zeit finden, bleibt nur eine einzige Befürchtung: Dass dieses dritte Heisskalt-Album das Ende eines Wegs und das Ziel einer fünf Jahre dauernden Reise markiert. Wir wollen es nicht hoffen. Diese Welt und dieses Leben sind noch nicht auserzählt.

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