Die-Nerven-Sänger Max Rieger bringt unter dem Namen "All diese Gewalt!" sein erstes Album heraus. Der düstere Electronica-Pop klingt ganz anders als das, was Rieger mit seiner Band macht - und fügt sich doch in eine gute Stuttgarter Tradition ein.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Was zeichnet gute Musik aus? Dass sie gleich beim ersten Hören ins Ohr geht? Oder dass sie sich erst nach dem zweiten, dritten, vierten Hören im Gehörgang festsetzt - dafür aber umso nachhaltiger?

 

Fest steht, dass das Album von All diese Gewalt! - also dem Soloprojekt vom Die-Nerven-Sänger Max Rieger - der zweiten Kategorie zuzurechnen ist. Es ist die zweite Veröffentlichung des Stuttgarter Labels Treibender Teppich; zuvor kam dort das Album "Dizzy Height" des Psychedelic-Pop-Solisten Levin goes lightly heraus

Die musikalische Richtung, in die es für Max Rieger angesichts seines Labelkollegen geht, ist also eine andere als für seine Hauptband Die Nerven. Und tatsächlich: Anders als die Musik seiner Hauptband setzt dieses Album nicht auf schreiende Gitarrensounds. Stattdessen, wie schon auf der 2013 selbst veröffentlichten digitalen EP: düstere Synthesizeratmo à la Moderat, ein übersteuert gemischtes, aber zurückgenommenes Schlagzeug, Rhythmusgitarre und ab und an stampfende Bassriffs.

Rieger hat im wesentlichen alles selbst gemacht: die Songs geschrieben, die Instrumente eingespielt, die Platte produziert. Gemastert wurde das Album bei Ralv Milberg, der schon das aktuelle Nerven-Album "Fun" produziert hat. Es wundert daher nicht, dass Max Riegers Gesang sehr präsent ist: drängend, kratzig, herausgepresst aus dieser Enge, die man manchmal in der Lunge fühlt, rund ums Herz, in der Magengegend. Dazu Texte wie: "Das hier ist einfach nicht mehr das / Was es noch nie gewesen ist".

Ja, das weckt ähnliche Assoziationen wie die Musik auf dem aktuellen Album der Nerven: kaputte Welt, Leiden daran und Wut darauf, auch aus einem Rest Unschuld heraus. Weil Rieger in diesem Fall aber nicht Noise, sondern Pop macht, ist das klangliche Spektrum wesentlich breiter, gibt es mehr Möglichkeiten, den Hörer zu überraschen.  

Eine Art Männerchor

Die von Riegers Die-Nerven-Bandkollege Julian Knoth gespielte Trompete  in "Tag ohne Regen" zum Beispiel könnte so unvermittelt auch bei Morrissey auftauchen. Danach: eine Art Männerchor, der skandiert: "Everybody wants to be loved". Irgendwann sekundieren drei Oktaven höher Frauen- und Falsettstimmen auf demselben Text. Zitternde Hi-Hats. Dann endlich die Bassdrum im Vier-Viertel-Takt. Klangschichten. Und schließlich, als klärte der Himmel plötzlich auf: der finale, einsame Gitarrenakkord. 

Ja, in den Songs auf diesem Album passiert etwas. Sie folgen ihrem ganz eigenen Schema, das sicher nichts mit Strophe-Refrain-Strophe-Refrain zu tun hat. Da muss man genau hinhören oder beim Nebenher-Laufenlassen zumindest offen sein, sich nicht irritieren lassen. 

Und dann, wenn "Kein Punkt wird mehr fixiert" zum wiederholten Mal im Player liegt, denkt man: Ja, genau so muss das klingen. So und nicht anders. Als hätte es nie eine andere von Popmusik gegeben. 

All diese Gewalt!, "Kein Punkt wird mehr fixiert". Erscheint am 19. April bei Treibender Teppich Records ausschließlich auf Vinyl. Am 18. April findet in der Bar Rakete (im Theater Rampe) die Release-Party statt. Das Album ist bei Second Hand Records erhältlich.