Mit seinem Nebenprojekt Alcoa kombiniert Defeater-Sänger Derek Archambault im JuHa West traurige Lyrics mit verspielt-schönen Melodien. Und wundert sich, dass trotz ausdrücklicher Aufforderung niemand den Raum verlässt.

Stuttgart - Es ist immer gut, wenn Musiker sich selbst nicht so ernst nehmen. Einem abgehobenen Schnösel mag schließlich niemand zuhören. Bei Derek Archambault alias Alcoa sind derartige Allüren nicht zu befürchten, im Gegenteil: Der Defeater-Sänger kann in Stuttgart kaum glauben, dass man wirklich wegen ihm da ist.

 

Eigentlich ist es so eine Art Mini-Akustik-Festival, was am Dienstagabend im JuHa West über die Bühne geht. Matze Rossi, ehemals Sänger von Tagtraum, eröffnet an diesem Abend und gibt verträumte, nachdenkliche Songs zum Besten. Danach übernimmt Matt Davies das Mikro. Der ist eigentlich Sänger der walisischen Post-Hardcore-Band Funeral for a Friend. Vor Jahren hat er mal unter dem Namen The Secret Show ein paar Songs aufgenommen, die er nun live spielt.

Groß angelegt war das Nebenprojekt des Briten damals nicht; er hat nun nicht mal CDs, die er in Stuttgart verkaufen kann. Auf der Bühne sinniert er darüber, wie das Publikum trotzdem seine Lieder zuhause hören kann: „You can probably illegally download the album“, sagt er und meint es ernst, das sei doch eine gute Idee. Und überhaupt: „Maybe I should illegally download it, so I can sell it to you“. Wert wären es seine gefühlvollen, aber nicht pathetischen Songs allemal, geschrieben in der "inneren Haltung eines Cowboys", wie Davies augenzwinkernd verrät. Wenn man Cowboy-Songs schreibe, müsse man schließlich auch denken wie einer. Er habe da ein Setting wie bei "Der mit dem Wolf tanzt" gedacht, frotzelt der Sänger.

Hardcore goes Akustik

Nachdem sowohl Matze Rossi als auch Matt Davies verhältnismäßig lange Sets gespielt haben, ist dann der Hauptact des Abends an der Reihe. Alcoa ist das Nebenprojekt von Defeater-Sänger Derek Archambault. Überhaupt ist es ja gerade ziemlicher Trend: Wer in einer Hardcore-Band singt, ist im Moment meist auch solo unterwegs, und dann eben: folkig, akustisch, ruhiger als gewohnt.

So ist es auch bei Alcoa. Der Fairness halber muss aber gesagt werden, dass Archambault selbst sagt, dass es Alcoa schon länger gebe als Defeater. Und auch bei Defeater gibt es Songs in der Akustik-Marnier von Alcoa; die beiden grandiosen letzten Tracks vom Album „Empty Days and Sleepless Nights“ etwa, „I Don’t Mind“ und „Headstone“.

Dass traurige Menschen oft ziemlich schöne Musik machen, ist nun längst bekannt - Elliott Smith, Bright Eyes und der frühe Ryan Adams sind nur einige Belege für diese Theorie. Wenn die Texte von Archambault auch nur einen Hauch der Authentizität haben, dann gehört auch Alcoa in diese Riege. Auf dem bislang einzigen Album "Bone and Marrow" dreht sich inhaltlich alles um nagende Selbstzweifel, den Hang zum Alkohol, das Gefühl, nicht gut genug zu sein.

Im JuHa West gibt sich Archambault sehr zurückhaltend. Anfangs hat es einen depressiven Beigeschmack, wie der hagere Amerikaner auf dem roten Barstuhl zusammengesunken vor dem Mikrofon hockt, die Schultern hochgezogen, die Augen fest geschlossen. Er blickt nicht auf, und reden mag er eigentlich auch nicht. Es dauert dann bis vielleicht zur Hälfte seines Sets, bis er endlich ein wenig auftaut, ein paar Witzchen macht, ja: die Augen öffnet.

Die Erklärung, warum er sie vorher geschlossen hatte, liefert der Sänger dann auch selbst: er sei halt einfach echt nervös. Muss er bei Songs wie „Cab Rides and Cigarettes“ und „I Don’t Feel Welcome Here Or Anywhere“ ja nun eigentlich wirklich nicht sein. Aber sei es drum, zur Musik passt diese eher verhaltene Grundstimmung ja irgendwie auch doch. Auch sie ist zurückgenommen, lebt von den kleinen Höhepunkten, drängt sich dem Hörer nicht auf - und ist doch traurig-schön.

Archambault will keine Last sein

Derek Archambault hat am Dienstag Angst, eine Last für die 30, 40 Zuhörer in Stuttgart zu sein. Einmal bedankt er sich beim Publikum dafür, dass es eben da sei – und betont, wie wenig selbstverständlich das sei. „I mean, there’s better things to do on a Tuesday night. Literally anything – walking your dog, watching TV, playing video games.“ Das könnte ein Witz sein, klingt aus Archambaults Mund aber nicht wirklich ironisch.

Dann befürchtet er, seine Zuhörer seien nur aus Höflichkeit noch da, weil niemand der erste sein wolle, der mitten im Set den Raum verlässt. Er gibt den Leuten dann auch allen Ernstes die Chance, zu gehen. Was natürlich keiner macht und Archambault zu der fast erleichterten Aussage verleitet: „Sick! No one left!“

Das muss man sich mal vorstellen: Der Hauptact eines Konzerts denkt, wegen ihm ist eigentlich keiner da. Man möchte dem hageren Archambault auf der Bühne zurufen: Hey Mann, du machst doch tolle Musik! Nur ob er's glauben würde? So steht er sich im JuHa West ein wenig selbst im Weg.

Musikalisch ist das, was er abliefert, jedenfalls erste Sahne. Im Juni kommen Defeater nach Stuttgart, ebenfalls ins JuHa West. Das dürfte ein Fest werden: Live-Videos nach zu urteilen hat Archambault mit der Verstärkung seiner Band im Rücken nämlich so gar keine Berührungsängste mehr.