Erst ab 1,6 Promille muss ein Trunkenheitsfahrer zur medizinisch psychologischen Untersuchung (MPU) – zu spät, meinen Fachleute.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Die Promilleregeln für Alkohol am Steuer sind, gelinde gesagt, kompliziert und schwer verständlich. Einfach ist die Sache nur bei Fahranfängern. Die dürfen gar nicht getrunken haben, wenn sie sich ans Steuer setzen. Bei allen anderen sind 0,5 Promille Blutalkohol die gestattete Grenze - einerseits. Andererseits kommt schon mit dem Gesetz in Konflikt, wer sich mit 0,3 Promille im Straßenverkehr auffällig verhält.

 

Mit 1,1 Promille gilt man als absolut fahruntauglich und hat eine Straftat begangen. Doch erst, wer es auf 1,6 Promille bringt, sieht seinen Führerschein in jedem Fall ohne eine medizinisch psychologische Untersuchung (MPU, im Volksmund irreführenderweise: Idiotentest) nicht wieder. Experten schütteln darüber freilich ihren Kopf. "Die 1,6 Promille entsprechen nicht mehr dem Stand der Wissenschaft", sagt Wolfgang Schubert.

Verkehrssicherheitsrat fordert Alkoholverbot am Steuer

Der Professor macht sich im Namen der Gesellschaft für Verkehrspsychologie für eine Absenkung stark. Bereits 1,1 Promille sollten für eine MPU-Anordnung reichen. "Wir appellieren an den Bundesverkehrsminister, den Wert herabzusetzen", sagt Schubert, denn bei einem solchen Rausch sei das Unfallrisiko schon zehnmal so hoch wie bei einem Nüchternen. Selbst leicht unterhalb dieser Grenze "ist bereits alles vorbei, um sicher ein Auto zu lenken", formuliert der Hochschullehrer etwas salopp. Mit einem derartigen Suff könne man nämlich nicht mehr rasch reagieren, die Umwelt nur eingeschränkt wahrnehmen, und auch die Aufmerksamkeit lasse nach.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat geht sogar noch weiter. Er fordert mittlerweile ein Alkoholverbot am Steuer. Das ist eine klare Regelung. Die Verkehrspsychologen wollen gefährliches Verhalten zudem durch eine stärkere Aufklärung und auf ein früheres Ansprechen von vermeintlichen Delinquenten vermindern. "Strafen allein hilft nicht", sagt Schubert. Wenn in Flensburg ein Punktestand von sieben erreicht sei, solle bereits ein Beratungsseminar offeriert und gefordert werden, meint Schubert. Heute geschehe dies erst bei 14 Punkten. Auch die Einführung von Alkolocks, die die Politik diskutiert, könne sinnvoll sein. Diese Geräte geben die Zündung eines Autos erst frei, wenn der Fahrer einen Atemalkoholtest bestanden hat. Zudem solle die MPU effektiver eingesetzt werden. Der Ruf dieser Untersuchung ist freilich schlecht. Wer dazu verdonnert wird, fürchtet oft den Spott seiner Umgebung und hat Angst vor dem Scheitern. Etwas mehr als 100.000 Personen, also rund 0,2 Prozent aller Führerscheinbesitzer im Land, müssen sich jedes Jahr der Prozedur stellen, die meisten wegen Alkohol, immer mehr aber wegen Fahren unter Drogen- und Medikamenteneinfluss. Bei einem zu hohen Punktestand kann ebenfalls eine MPU verlangt werden. "Der Test ist eine Chance", sagt Schubert. Und er kann dies belegen. Nur rund ein Drittel fällt durch. Die anderen bestehen glatt oder müssen etwas nachsitzen und erhalten dann ihren Führerschein zurück. "Die Zahlen werden seit Jahren besser, weil die Menschen besser präpariert sind", berichtet Schubert.

Im Bereich der Verkehrstherapie boomt der Markt

Dass es bei dieser Vorbereitung keineswegs darum geht, die Gutachter schlicht auszutricksen, macht Katrin Aydeniz deutlich. Der jeweilige Fahrer müsse sein Verhalten grundlegend ändern, gegebenenfalls einen Entzug machen, einen Abstinenznachweis beibringen, ein Rehaprogramm absolvieren, erzählt die Diplompsychologin. Sie kommt von der Impuls GmbH, einer früheren Tüv-Tochter, die solche Kurse anbietet und damit gut Geld verdient. "Im Bereich der Verkehrstherapie boomt der Markt", sagt Aydeniz. Dieser Trend hat aber seine Schattenseiten: Unseriöse Anbieter treten auf den Plan, offerieren im Internet einen MPU-Crashkurs oder geben eine "Bestehensgarantie". "Verhaltensweisen, die sich über Jahre ausgebildet haben, lassen sich aber nicht an einem halben Tag wegtherapieren", sagt Aydeniz. Sie warnt damit davor, auf solche Versprechungen hereinzufallen. Eine fundierte Einstimmung auf die MPU dauert ihrer Einschätzung nach mindestens ein halbes Jahr und kostet 1500 bis 2500 Euro.

Die Expertin verlangt ebenfalls eine Reform durch den Gesetzgeber. Der Staat solle für die Seriosität der Anbieter solcher Vorbereitungskurse sorgen. Sie müssten künftig ähnlich streng kontrolliert werden wie die MPU-Stellen selbst. Denn solche für den Verkehrssünder wichtigen Gutachten darf nur erstellen, wer ein amtliches Zulassungsverfahren durchlaufen hat.