Ein Leben im postfaktischen Zeitalter ist möglich – zumindest im Kreis Ludwigsburg. Vorausgesetzt man reagiert nicht allergisch auf Unlogisches ober Abstruses.

Schlemmerlogik - Fakten, Fakten, Fakten! Erinnert sich noch jemand an den Werbespruch, womit der „Focus“-Boss Helmut Markwort vor vielen Jahren telegen für sein Magazin warb? Heute würde er das nicht mehr tun. Laut der britischen Buchreihe Oxford Dictionaries ist „postfaktisch“ das internationale Wort des Jahres. Wie das bei globalen Trends nun mal so ist: Das betrifft sogar den Kreis Ludwigsburg! Logik, Sinngehalt, Widerspruchsfreiheit? Auch hier Tugenden von vorgestern!

 

Die kaugummizähe Debatte über eine Stadtbahn von Remseck über Ludwigsburg bis Möglingen und Markgröningen wird mittlerweile auch von postfaktischem Störfunk verzerrt. Der Landrat Rainer Haas – und wenn er ehrlich ist: auch der Ludwigsburger Baubürgermeister Michael Ilk – will Tempo machen für das schweineteure Projekt. Nur wenn bald der Antrag beim Bund gestellt werde, könne man hoffen, bei der Verteilung der Fördermittel gleich als einer der Ersten dranzukommen. Fördermittel, so seine altmodische Prämisse, sind nämlich nicht unendlich verfügbar.

Man kann sich auch hinten anstellen

Doch in Ludwigsburg (wir behaupten explizit nicht, dass der Oberbürgermeister Werner Spec dahintersteckt!) machte sich schnell eine postfaktische Lesart breit. Denn als der Bund mitteilte, dass auch nach 2019 noch Fördergeld beantragt werden könne, war im Gemeinderat plötzlich die Luft raus. Das lässt vor unserem geistigen, postfaktisch geschulten Auge eine Gulaschkanone erscheinen. Ganz vorne will sich ein Herr einen Teller nehmen; er hat Hunger, will sichergehen, dass er eine schöne Portion abbekommt. Da ruft einer von hinten ihm zu: „Du kannst dich auch hinten anstellen. Essensausgabe bis 18 Uhr!“ Was tut der Herr mit dem Teller? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, was Ludwigsburg tut: Die Debatte ist vertagt.

In der Disziplin der postfaktischen Selbstüberlistung ist der Landrat Haas derweil selbst geübt. FDP und Freie Wähler im Kreistag hatten beantragt, dass das Gremium strikt Nein sagt zur Ablagerung von Atommeiler-Schutt auf hiesigen Deponien. Ruck, zuck und wahrscheinlich schneller, als die Antragsteller es erhofft hatten, ließ Rainer Haas das Thema auf die Tagesordnung im Technischen Ausschuss nehmen. Als es dort allerdings angekommen war, entfaltete das Thema seinen ganzen postfaktischen Schrecken.

Rauf auf die Tagesordnung, runter von der Tagesordnung!

Haas fiel auf (oder ein?), dass er selbst (besser gesagt: die Kreis-Abfallverwertung AVL) einen Gutachter damit beauftragt hatte, die Strahlenbelastung auf den Deponien zu messen. Aber hoppla! Die Messungen sind erst für Anfang Dezember geplant. Deshalb hätte der Landrat das Thema dann am liebsten gleich wieder von just jener Tagesordnung genommen, auf die er es selbst setzen ließ.

Wie nennt man dieses Phänomen? Postfaktisches Bedauern? Präfaktisches Selbst-Rechtsüberholen? Früher sagte man: Wer Visionen hat, muss zum Arzt! Heute heißt es: Lass mich mit Fakten in Ruhe. Ich muss zur Post!