In einer Serie üben sich die Redaktionsmitglieder in längst aufgegebenen Hobbys. Diesmal ist Judith A. Sägesser an der Reihe, die sich für eine Stunde noch einmal an die Geige traut. Ein musikalisches Experiment mit Andreas Digel.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Mein Ziel ist der Hexenmambo. Den will ich nach einer Stunde können. Wer sich nun eine wild tanzende Journalistin vorstellt, sollte das Bild gleich wieder aus seinem Kopf verbannen. Darum geht es nicht. Ich will den Hexenmambo geigen. Möglichst fehlerfrei.

 

Als ich Andreas Digel mitteile, was ich vorhabe, muss ich innerlich hexenhaft kichern. Und ich warte eigentlich darauf, dass er die Augen verdreht oder mir schonend beibringt, dass das in so kurzer Zeit unmöglich zu schaffen ist. Aber er sagt „okay“ und läuft zum Geigenkasten.

Beide gespannt wie ein Flitzebogen

Andreas Digel ist an diesem Mittag mein Geigenlehrer – und er hat sich ganz offensichtlich eine Strategie für die Stunde mit mir zurechtgelegt. Während er bei den Kindern, die in seinen Unterricht kommen, viel Zeit hat, den Bogen, die Fingerhaltung, die Saiten und die Noten zu erklären, muss er die Theorie bei mir straff raffen. Auch er hat sich anscheinend ein Ziel gesetzt: dass ich nachher zufrieden die Treppe im Alten Rathaus in Plieningen hinabtänzele. Daher sind wir beide gespannt wie ein Flitzebogen, ob es gelingt.

„Noten zu lesen, ist ja kein Problem für Sie, oder?“, fragt Andreas Digel. „Na ja...“, den Rest schlucke ich lieber runter. Zu sehr befürchte ich, dass ich gleich meine Sachen packen darf, weil ich mir einfach zu viel vorgenommen habe. Notenlesen ist nämlich sehr wohl ein Problem für mich. Mein Lehrer redet von A-Saite, Intervall, Akkord, ich kenne die Wörter wohl, einzig ihre Bedeutung ist mir schleierhaft. Ich saß das letzte Mal vor 20 Jahren im Musikunterricht. Und meine Geigenstunden sind noch viel länger her.

Meine Geigenhistorie ist schneller erzählt, als Antonio Vivaldi den Frühling spielen konnte. Ich habe mich nie bewusst für dieses Instrument entschieden. Im Grundschulalter lag eines Tages dieser Zettel vor uns. Die Lehrerin wollte, dass wir drei Instrumente aufschreiben, die wir am tollsten finden. Ich glaube, bei mir stand Geige, Klavier und Flöte. Es war eine Fangfrage, denn sie hat die Weichen gestellt. Ich kann mich an wenig erinnern, aber ich erinnere mich an unsere Geigenlehrerin mit dem künstlichen blonden Haarkranz und daran, dass es zur Belohnung für besonderen Fleiß Flummis gab. Und ich erinnere mich, dass sich meine Mutter mein Gefiedel ein paar Jahre angehört und mich dann gebeten hat, entweder anständig zu üben oder die Geige für immer im Kasten zu lassen. Diesmal habe ich mich bewusst entschieden – gegen das Instrument.

Die Nichte hat die Augen verdreht

Und nun, etliche Jahre später, habe ich mich bewusst für die Geige entschieden. Deshalb stehe ich nun mit Andreas Digel von der Stuttgarter Musikschule im ehemaligen Bürgermeisterzimmer im Alten Rathaus in Plieningen, vor mir auf dem Notenständer der Hexenmambo. Ich habe das Notenheft von meiner achtjährigen Nichte geborgt. Sie hat übrigens die Augen verdreht, als ich ihr prophezeit habe, dass ich das Stück bald spielen kann.

Am liebsten würde ich sofort loslegen, ja keine Zeit verlieren. Aber ich muss zuerst zupfen üben, der Bogen kommt später. „Kennen Sie die Saiten?“, fragt mich mein Lehrer. A und E kann ich noch, die anderen sind G und D, lerne ich. G, D, A, E. „Geh du alter Esel“, sagt Andreas Digel. Da war doch was, diese Eselsbrücke habe ich schon mal gehört.

Die Geige drückt mir gegen das Kinn. Ich halte sie viel zu verkrampft. Zwischen der linken Hand und dem Geigenhals muss Luft sein, erfahre ich. Plötzlich dämmert mir wieder, dass ich früher als Kind eine Strickmaus in der Kuhle liegen hatte, damit sich meine Hand an die Position gewöhnt. Die Strickmausmethode kennt Andreas Digel nicht. „Ich sage zu den Kindern immer, sie sollen sich vorstellen, dass auf dem Handballen ein kleiner Zwerg sitzt, der nicht runterfallen darf.“

Schleifen und Pirouetten vor dem Gesicht

Für den Hexenmambo brauche ich nur die A-Saite, aber drei Finger, sie heißen Null, Eins, Zwei. „Mehr ist nicht dabei“, reimt Andreas Digel. Ich zupfe den Mambo. Es klingt etwas hölzern, und mein Arm verkrampft sich immer wieder, ich muss einfach an zu viel gleichzeitig denken. „Darf ich Ihnen das mal hinbiegen?“, fragt er und ist schon dabei. Mir wird klar, meine Haltung ist ähnlich wichtig wie der Bogen. Und der ist jetzt dran. Wenn auch zunächst ohne die Geige. Wir üben, wie ich ihn halten muss, und wir lockern mein Handgelenk, indem ich den Bogen in Schleifen und Pirouetten vor meinem Gesicht kreisen lasse.

Dann – endlich – darf ich. Und das, was der Bogen da aus den Saiten schrubbt, klingt tatsächlich nach einer Melodie. „Super“, sagt Andreas Digel. Ich glaube ihm, bin nicht mehr zu bremsen und will gleich noch mal. Mein Geigenlehrer setzt sich ans Klavier und begleitet mich. Am Ende der Stunde tänzele ich tatsächlich die Treppe im Alten Rathaus hinab. Und den Hexenmambo, der wird mich nun eine ganze Weile als Ohrwurm begleiten.