In der Langen Straße reihte sich einst Lokal an Lokal. Im Ex-Café Schatzele wird nun wieder Kaffee serviert. Von vielen Wirtshäusern bleben nur noch Erinnerungen.

Waiblingen - Das Ehepaar Bechtold wäre wohl begeistert, wenn es seine ehemalige Bäckerei mit Kaffee-Stube in Waiblingen heute sehen könnte: Mit viel Aufwand haben Ursula und Michael Schäfer das denkmalgeschützte Gebäude in der Langen Straße wieder hergerichtet. In den vergangenen Jahren war das Haus, das aus dem Jahr 1750 stammt und zuletzt einen Imbiss mit Bierbar beherbergte, langsam zerbröselt. Bei der Sanierung, die fast zwei Jahre dauerte, entpuppten sich dann rund 60 Prozent der alten Holzbalken als marode (wir berichteten).

 

Kosename für junge Gäste

Der Heimatverein Waiblingen hat die Schäfers nun mit einer Plakette und Urkunde für das „vorbildlich sanierte Gebäude“ mit der Nummer 9 gewürdigt. Dass das Ehepaar dort eine Kunstgalerie mit Café betreibt, schlägt den Bogen zurück in die Nachkriegszeit, als die Bechtolds in ihrem „Café Schatzele“ die Waiblinger mit Backwaren und Kaffee versorgten. Der Name übrigens, so erzählen Alteingesessene, rührte daher, dass das kinderliebe Paar junge Gäste gewöhnlich mit diesem Kosenamen bedachte.

Michael Gunser, bei der Stadt Waiblingen für die Bereiche Hochbau und Gebäudemanagement zuständig, würde sich freuen, wenn die Schäfers Nachahmer fänden. Schräg gegenüber der Nummer 9 beispielsweise versteckt sich hinter einer angegrauten Fassade ein weiteres interessantes Gebäude, das mit neoklassizistischen Schaufassaden aufwarten kann. „Silberner Hecht“, dieser übertünchte Schriftzug ist noch zu erkennen – nebst einer bildlichen Darstellung eines stattlichen Vertreters dieser Art. Das Haus, sagt Gunser, sei noch zu großen Teilen im Originalzustand erhalten – und ähnlich wie das Café Schatzele – eine Bäckerwirtschaft gewesen. Wenige Schritte weiter, in der Langen Straße 3, wartet gleich das nächste Lokal, das heute eine reine Bar ist, im Jahr 1875 aber von einer Metzgerfamilie als Gastwirtschaft betrieben wurde.

Und so geht es weiter, die Straße entlang: An der Fassade des Gebäudes Nummer 6 lockt ein goldener Löwe Gäste in die Kneipe im Erdgeschoss. Bis ins 19. Jahrhundert gehörte zum „Löwen“ eine Brauerei nebst Saal mit Kegelbahn. In der kleinen Wirtschaft „Blümle“, der Nummer 19, fließt hingegen längst kein Bier, Wei oder Most mehr. Und in der Lange Straße 25, dort wo einst der „Hasen“ stand, wird auch längst kein saftiger Gänsebraten mit „Jerusalemer Süßwein“ mehr serviert.

Wie kommt es, dass man in der Langen Straße einst quasi von Gasthaus zu Gasthaus ziehen konnte? „Die Lange Straße war die Reichsstraße R 14 und eine Hauptader der Stadt“, sagt Michael Gunser dazu. Vom Beinsteiner Tor führte sie mitten durch Waiblingen bis zum nicht mehr existierenden Fellbacher Tor im Bereich des Alten Postplatzes. Vor den beiden Toren, sagt Gunser, seien quasi die zwei „Logistikzentren“ der Stadt gewesen, wo Waren verladen und Zugtiere umgespannt wurden und wo Reisende ihr müdes Haupt ablegen konnten. Etwa im Wirtshaus „Schwanen“ auf der gleichnamigen Remsinsel, das heute als Kulturzentrum dient und früher mit einer Kegelbahn nebst Badhäuschen warb.

Das Waldhorn hatte schon um fünf Uhr morgens geöffnet

Jürgen Rieger, der einstige Leiter des Fachbereichs Bauen und Umwelt bei der Stadt Waiblingen, hat unter dem Titel „Alte Waiblinger Wirtschaftsherrlichkeit“ mit viel Aufwand die einst so große Vielfalt der Waiblinger Lokale zusammengetragen. Wer sich durch die – leider nicht im Buchhandel erhältliche – Zusammenstellung blättert, stößt nicht nur auf Beschreibungen und Lagepläne der Wirtschaften, sondern kann auch in Werbeanzeigen von anno dazumal lesen, worauf die Altvorderen Wert legten. Die „Bahnhofsrestauration“ in der Devizesstraße existiert nicht mehr, hatte aber offenbar „ausgezeichneten Bierstoff“ zu bieten. Treffpunkt des „Rauchclubs“ war die Wirtschaft „Zur Brücke“, in welche der „Oberraucher“ per Annonce einlud. In der „Eintracht“ in der Zwerchgasse gründete sich im Jahr 1901 ein Ortsverein des Deutschen Metallarbeiter-Verbands, aus dem später dann die IG Metall hervorging. Und im „Waldhorn“ in der Langen Straße, schreibt Jürgen Rieger, konnte man schon morgens um fünf Uhr einkehren. Manch einer habe dort bereits vor der Arbeit das erste Schnäpsle gekippt, vermutet e. Wobei das Wirtshaus mehr war als ein Ort zum Trinken, meint Michael Gunser: „Es war für viele das Wohnzimmer, ein Kommunikationsort und Treffpunkt für Vereine und Parteien.“