Ein privater Pflegedienst aus Filderstadt kündigt etlichen Klienten in Leinfelden und Musberg kurzfristig die laufenden Verträge für ambulante Pflege.

Filderstadt/Leinfelden-Echterdingen - Das Schreiben, das vor wenigen Tagen im Briefkasten gelandet ist, hat den alten Herrn in eine dramatische Situation katapultiert: Der Pflegedienst Amos-Ziegler, der seit viereinhalb Jahren morgens und abends zu ihm ins Haus kommt, hat dem Mann zum 31. August gekündigt. „Innerhalb von drei Wochen“, empört sich der temperamentvolle Patient, der den Brief in seinem ersten Zorn gleich in den Papierkorb befördert hat. Der knappe Inhalt steht ihm allerdings noch deutlich vor Augen: Man habe eine Umstrukturierung vorgenommen, laute die Begründung des Unternehmens; die Pflege sei deshalb nicht mehr zu leisten.

 

Der 84-Jährige lebt in einem Musberger Seniorenappartement und gehört zu jenen Menschen, die der regelmäßigen Unterstützung bedürfen. Er sei in Pflegestufe zwei eingruppiert, sagt der Dialysepatient, er könne sich kaum bewegen und sei nicht nur bei der Körperpflege auf Hilfe angewiesen, sondern vor allem auch in der regelmäßigen Versorgung mit Medikamenten und Spritzen.

Knall auf Fall gekündigt

„Für schwer Pflegebedürftige wird es nicht einfach sein, Ersatz zu finden“, fürchtet der Mann, der seit dem Bescheid seines Hauspflegedienstes „Knall auf Fall“ in der Luft hängt und zudem von weiteren etwa 20 Betroffenen weiß, die in den vergangenen Tagen ebenfalls Kündigungsschreiben erhalten haben. Die Reaktion darauf sei bei manchen gar der verzweifelte Satz gewesen: „Dann kann ich mich auch gleich umbringen“.

Seiner Information zufolge haben in den vergangenen Monaten etliche Pflegefachkräfte des in Filderstadt ansässigen Dienstes ihre Kündigung eingereicht, was die Chefin allenfalls indirekt bestätigt. „Kündigungen gehören dazu“, sagt Rosemarie Amos-Ziegler. „Entweder die Leute ziehen mit oder sie ziehen nicht mit.“ Tatsächlich habe im ambulanten Bereich des Unternehmens eine Umstrukturierung stattgefunden, die firmenintern begründet sei. Bei der konkreten Anzahl der gekündigten Pflegeverträge müsse sie passen. Fakt sei aber, „dass wir unsere Qualität halten wollen und dies mit dem vorhandenen Personal nicht mehr leisten können“. Die Entscheidung betreffe vorwiegend Patienten in Musberg und Leinfelden.

Examinierte Kräfte zu teuer

Nach Informationen der Filder-Zeitung geht es bei dieser Umstrukturierung um die Wirtschaftlichkeit: Mehr kostengünstigere Hilfskräfte sollen zum Einsatz kommen. Examinierte Fachkräfte gelten demnach als zu teuer, um „nur“ beim Duschen behilflich zu sein oder Frühstück vorzubereiten. Ihr Schwerpunkt soll vielmehr auf der sogenannten Behandlungspflege liegen.

Der Pflegedienst hat dazu seine Touren neu eingeteilt: Verbandswechsel, die medikamentöse Behandlung, Wundversorgung oder palliative Betreuung von Schwerkranken obliegen den Fachkräften, während Hilfskräfte für die „leichten Touren“ mit einfacheren Handreichungen zuständig sind.

Am Rand der Belastbarkeit

Was wirtschaftlich einleuchtend klingen mag, hat eine Kehrseite: Die Fachkräfte, die an ihrem Beruf gerade auch die pflegerische Vielfalt schätzen, tragen nun vor allem Verantwortung für die schwer Gebrechlichen; sie geraten an den Rand ihrer Belastbarkeit und schieben zu allem Überfluss einen Berg von Überstunden vor sich her. Die Patienten, die meist ein langes Leben bewältigt haben, sind auf Wertschätzung angewiesen und auf vertraute Helferinnen, die sie auch in ihrer Intimität mit Würde behandeln. Dazu gehören Zeit und Kontinuität, aber auch Deutschkenntnisse und die fachliche Kompetenz. Schließlich verändern sich Symptome wie Wunden oder der Gesamtzustand eines Menschen, wovon sich eine Fachkraft etwa auch beim „bloßen“ Duschen überzeugen kann.

Mit dem gekündigten Pflegevertrag auf dem Tisch bleibt den Betroffenen nun nichts anderes übrig, als sich selbst so schnell wie möglich um neue Unterstützung zu bemühen. Einige der Senioren haben offenbar erfolgreich bei der Diakoniestation auf den Fildern angeklopft. Der 84-Jährige Musberger ist noch auf der Suche.