Der Verein Trott-war lädt zur Stadtführung „Die Straße als Wohnzimmer“ auf alternative Routen ein. Doris Walter, Verkäuferin der Straßenzeitung, hat bei der Führung zu Brennpunkten und sozialen Einrichtungen für Obdachlose und Menschen am Rande der Gesellschaft geführt.

S-Süd - Doris Walter ist nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Daraus macht sie bei der alternativen Stadtführung unter dem Titel „Die Straße als Wohnzimmer“ keinen Hehl. Seit mehr als sechs Jahren verkauft Walter die in Stuttgart vom gleichnamigen Trägerverein herausgegebene Straßenzeitung „Trott-war“, seit Oktober 2012 führt sie zudem mit zwei Kollegen Leute auf alternativen Routen durch die Landeshauptstadt und macht den Teilnehmern dabei zweierlei deutlich: Auch in der Schwabenmetropole gibt es zahlreiche Brennpunkte und ohne eine Vielzahl von sozialen Einrichtungen könnten Menschen, die in Not geraten sind, nur schwer wieder in ein normales Leben zurückfinden.

 

Eine Führung entlang der unschönen Seiten des Südens

Die Führung, die vom Marienplatz unter anderem entlang der Hauptstätter und Tübinger Straße bis zur Leonhardskirche führt, lebt dabei vor allem von der großen Authentizität, mit der Walter nicht nur von Stationen aus ihrem eigenen Leben berichtet, die sie unter anderem dazu gezwungen haben, für ein paar Wochen Quartier in einem Frauenwohnheim zu beziehen. Doris Walter richtet den Blick der Teilnehmer auch mit großer Sensibilität und Klarheit sowie ohne jede Übertreibung auf Straßenkinder, Prostituierte, Drogenabhängige oder Menschen, die auf der Flucht vor Misshandlungen ihren Lebensmittelpunkt ganz oder zeitweise auf die Straße verlegt haben.

Die eindrucksvolle Tour mit Doris Walter führt die Teilnehmer unter anderem vorbei an der Hauptstätter Straße 150, einem Winternotquartier der Stadtverwaltung Stuttgart, in die Geschäftsräume der Straßenzeitung Trott-war, zum Schlupfwinkel, einer Anlaufstelle für Straßenkinder, sowie vorbei an Plätzen, wo einst der Drogenhandel blühte.

Unterkünfte für Obdachlose und Drogenabhängige

Beim Passieren der Caritas-Substitutionsambulanz an der Hauptstätter Straße 108 oder mit Blick auf das Sleep Inn nur wenige hundert Meter weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite erzählt Walter von den Problemen Drogenabhängiger. Ihnen falle es nach einem extremen Absturz oft schwer, wieder zurück in ein vermeintlich normales Leben zu finden. Mal macht Walter auf den Preisverfall „von käuflicher Liebe“ aufmerksam, der dazu geführt hat, dass Drogenabhängige auch durch Prostitution kaum mehr schaffen, das für den Drogenkauf nötige Geld zu erwirtschaften; mal verweist Doris Walter auf die Gefährdung des sexuellen Missbrauchs von Frauen, die auf der Straße leben oder verdeutlicht, welche Gründe beispielsweise Kinder und Jugendliche dazu veranlassen, bei der Familie Reißaus zu nehmen und auf der Straße zu leben. Denn: „Oft sind die Kinder, die sich dann meist beim Bahnhof aufhalten, Opfer von Gewalt“, sagt sie.

Die kompetente Sozialstadtführerin, die an diesem Abend mit ihrer Stimme – „ich leide an einer chronische Bronchitis“ – und gegen den permanenten Nieselregen kämpft, weiß dabei ausgewogen über Negatives und Positives zu berichten. Letzteres nicht zuletzt bei der seit vielen Jahren von der Nonne Schwester Margret betriebenen Franziskusstube. „Hier gibt es für Obdachlose täglich ein kostenloses Frühstück“, berichtet Doris Walter und empfiehlt ihren an diesem Abend mehr als 30 Begleitern, einen Blick durch die Fenster der Einrichtung an der Paulinenstraße zu werfen. Denn Schwester Margret, so erzählt es Doris Walter, geht es nicht alleine darum, die Menschen satt zu machen. Sie lege auch großen Wert auf ein ansprechendes Ambiente, wie unschwer an den schön gedeckten Tischen zu erkennen ist.

Ein reales Bild der Menschen am Rande der Gesellschaft

Bei einem Stopp im Trott-war-Verlagshaus erläutert Doris Walter abseits der vielen anderen Orte auf der Strecke das Konzept der Straßenzeitung, die sie ja auch verteilt, und macht auf die vielfältigen Aktivitäten des Trägervereins aufmerksam. Dass sie – vor allem bei Nachfragen zu offiziellen Zahlen, wie zur Anzahl der Unterkunftsplätze für Obdachlose – längst nicht alle Informationen ad hoc parat hat und dies auch mit einem „das kann ich jetzt so nicht sagen“ ohne Umschweife zugibt, wirkt sehr sympathisch.

Denn es wird deutlich: Doris Walter ist keine Auskunftei, bedient keine Klischees und ist vor allem bemüht, ein reales Bild der Situation vieler Menschen am Rande der Gesellschaft in der Stadt Stuttgart zu zeichnen. Ohne jeden Voyeurismus und sehr würdevoll.