Österreich wendet mehr Geld für die gesetzliche Alterssicherung auf. Und das schlägt sich in Zahlen beeindruckend nieder.

Berlin/Wien - Es war einst ein Wort mit verheißungsvollem Klang. Stand das Wort „Reform“ früher für Verbesserungen, sind nach diversen Gesundheits- und Rentenreformen viele Bürger eher skeptisch, wenn sie es auch nur hören. Das mag erklären, warum Gewerkschafter, Ökonomen und Politiker der Linkspartei seit einiger Zeit beim Stichwort „Österreich“ ins Schwärmen geraten. Die Alpenrepublik, so der Tenor, habe ein Rentensystem, das sozialer und fairer sei. Wien habe die Fehler vermieden, die Berlin seit den Zeiten der rot-grünen Rentenreform gemacht habe.

 

Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund meint allerdings, dass es schwer sei, die beiden gesetzlichen Rentensysteme zu vergleichen. Man könne nicht sagen, wer es besser mache – die Deutschen oder ihre südöstlichen Nachbarn. Fest steht gleichwohl eines: Österreich wendet mehr Geld für die gesetzliche Alterssicherung auf. Und das schlägt sich in Zahlen beeindruckend nieder.

Die Altersrenten sind wie Erwerbsminderungs- und die Hinterbliebenenrenten höher als in Deutschland. Österreich zahlt die Renten 14 Mal im Jahr, sodass sich im Durchschnitt dort bei den Altersrenten ein monatlicher Zahlbetrag von 1426 Euro ergibt – das sind satte 58 Prozent mehr als hierzulande (909 Euro). Dafür müssen die Versicherten zwar höhere Beiträge zahlen – allerdings liegen sie im Rentensystem nicht krass über dem deutschen Vergleichswert. Zahlt der deutsche Arbeitnehmer 9,35 Prozent von Lohn und Gehalt in die Rentenkasse (die gleiche Summe kommt vom Arbeitgeber), berappt sein Kollege in der Alpenrepublik 10,25 Prozent. Dafür ist es für die Chefs deutlich teurer. Einem Satz von 9,35 Prozent in Deutschland steht ein Wert von 12,55 Prozent in Österreich gegenüber.

Zuwanderung hilft Österreich

Bei den Nachbarn gibt es eben Luft, mehr Geld ins Rentensystem zu geben. Zwar ist der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung mit 6,0 Prozent doppelt so hoch. Dafür fällt beim Obolus für die Krankenkasse dort nur 7,7 Prozent an. Deutschland erhebt dafür einen Satz von 14,6 Prozent, auf den die einzelnen Kassen dann noch einen Zusatzbeitrag (derzeit macht er im Schnitt 1,1 Prozent aus) draufpacken können. Schließlich werden in Deutschland 2,6 Prozent als Abgabe an die Pflegeversicherung fällig. Diese Versicherung kennt Österreich nicht.

Der Unterschied beim monatlichen Zahlbetrag fällt weniger beeindruckend aus, wenn man sich vor Augen hält, dass es in Österreich eine Mindestwartezeit für Renten von 15 Jahren (Deutschland: fünf Jahre) gibt. Sprich: In den deutschen Wert fließen Kleinst-Renten ein, die jemand bekommt, der nur sieben oder acht Jahre einbezahlt hat. Vergleicht man nur Renten, denen mindestens 15 Jahre Beitragszahlung zugrunde liegen, sinkt die Differenz von 58 auf 43 Prozent. Das ist immer noch ein deutliches Plus, über das sich Österreichs Ältere freuen können. Sie profitieren von der günstigeren demografischen Struktur. Auf zehn Rentner kommen dort 34 Personen im Erwerbsalter, in Deutschland sind es 29. Der Grund ist die beachtliche Zuwanderung aus Balkanstaaten sowie aus ost- und mitteleuropäischen Ländern, die Österreich laut Thiede in den vergangenen Jahren verzeichnete.

Die Differenz hat auch damit zu tun, dass Österreich eine echte Volksversicherung hat: Die meisten Erwerbspersonen sind in der gesetzlichen Rentenkasse oder einem System versichert, das dieser entspricht. Deutschland dagegen kennt eigene Alterssicherungssysteme für Beamte und Selbstständige. Schon seit Jahren wird in Deutschland debattiert, ob Beamte, Politiker, Ärzte, Rechtsanwälte und Apotheker in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Bisher ist das völlig folgenlos geblieben. Keine Partei und kein Politiker hat bisher den enormen Kraftakt gewagt, gegen massive Widerstände der betroffenen Berufsgruppen eine Volksversicherung einzuführen.

Die Volksversicherung – Österreich hat sie längst

Dass dies ein Kraftakt wäre, ist in der Fachwelt völlig unumstritten, weil höchst komplexe Rechtsfragen des Beamtenstatus oder der Versorgungswerke von Ärzten, Anwälten und Apothekern geklärt werden müssten – Fragen, die am Ende mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht landen würden. Auch in Österreich war es umstritten, das Pensionsrecht der Beamten den Regeln der gesetzlichen Rentenkasse gleichzustellen. In Stufen ist dies aber gelungen, sodass nach für Staatsdiener des Bundes, die nach 1976 geboren wurden oder die nach 2005 den Beamtenstatus erlangten, die gleichen Regeln gelten.

Thiede weist aber darauf hin, dass es bei der Erweiterung des Versichertenkreises nur „Einstiegsgewinne“ gebe. Das heißt: Der Beitragszahlung der „Neu-Versicherten“ würden früher oder später Rentenzahlungen folgen, weil die „Neuen“ auch ins Rentenalter kämen. Für viele Selbstständige allerdings wäre es auch aus Thieles Sicht trotzdem geboten, sie in die Rentenversicherung einzubeziehen, weil sie sonst Gefahr laufen, im Alter in der Grundsicherung zu landen.

Dass Wien alle Berufsgruppen einbezieht, stützt gleichwohl das Rentensystem: 71 Prozent aller Bürger im Erwerbsalter zahlen Beiträge ein, in Deutschland sind es 64 Prozent. Obwohl also Wien höhere Rentenbeiträge kennt, ein Drittel der Gesamtausgaben des Systems über Steuern abdeckt (das entspricht etwa dem Anteil, den auch die deutsche Bundesregierung zur gesetzlichen Rentenversicherung zusteuert) und mehr Erwerbspersonen im System versichert, wachsen die Bäume keineswegs in den Himmel. So folgt die jährliche Anhebung der Zahlbeträge allein der Inflationsrate. Von Erhöhungen, wie sie die deutschen Rentner in den letzten Jahren bekamen (in den alten Ländern ergab sich seit 2014 ein Plus von 1,67 / 2,1 / 4,25 und 1,9 Prozent, im Osten betrug die Anhebung 2,53 / 2,5 / 5,95 und 3,59 Prozent) können Ältere in Österreich nur träumen.

System ist grundlegend anders organisiert

Wien koppelt eben – anders als Berlin – den Anstieg der Rentenzahlung nicht an die Lohnentwicklung, was auch heißt, dass die Älteren selbst dann nur den Inflationsausgleich bekommen, wenn sich die Arbeitnehmer über kräftig gestiegene Einkommen freuen können. Auch sind beim Nachbarn Renten ganz steuerpflichtig – und zwar mit einem beachtlich hohen Steuersatz von 25 Prozent oberhalb eines Freibetrags von jährlich 11 000 Euro. In Deutschland unterliegen derzeit 74 Prozent des Rentenzahlbetrags der Steuer, wobei oberhalb eines Freibetrags von jährlich 8800 Euro die Steuer mit einem Satz von 14 Prozent beginnt. Zudem sind in Österreich die Mindestwartezeit länger und die Abschläge höher, wenn jemand vorzeitig in Rente geht. Allerdings ist das Rentenalter niedriger als in Deutschland. Für Männer ist es 65, für Frauen 60, wobei die Grenze der Frauen für alle ab 1964 geborenen Frauen derzeit auf 65 angehoben wird. Das tatsächliche Alter des Renteneintritts lag nach Angaben der OECD im Jahr 2014 bei Männern bei 62,2 Jahren, bei Frauen bei 60,2 Jahren. In Deutschland lag es bei Männern wie Frauen 62,7 Jahren.

Die Anhänger des österreichischen Systems loben vor allem, dass es dort eine Mindestsicherung gibt. Wer nur kleine Rentenansprüche hat, bekommt aus Steuergeld eine Aufstockung auf 872 Euro (Alleinstehende) und knapp 1308 Euro (Ehepaare). Diese Sätze sind nicht viel großzügiger als das, was die deutsche Grundsicherung bedürftigen Älteren bezahlt. Allerdings wickelt Deutschland diese Mindestsicherung nicht über die Rentenkasse, sondern über das Sozialamt ab.

Der Blick nach Österreich zeigt also vor allem, wie grundlegend anders dort die Alterssicherung organisiert ist. Deshalb ist es unmöglich, das Wiener System unbesehen zu übertragen. Eine automatische Blaupause gibt es nicht. Die Bundesbürger müssen vielmehr die zentralen Fragen der Alterssicherung selbst klären: Wer ist versichert? Was zahlt der Staat an Steuerzuschuss? Wie hoch ist der Beitrag? Und was ist das Rentenalter?