Warum scheitern Therapien neurologischer Erkrankungen so oft beim Menschen, obwohl sie sich zuvor im Tierversuch bewährt haben? Mediziner diskutieren, wie man die Forschung effizienter machen kann.

Stuttgart - Ob im Kampf gegen Alzheimer oder andere neurologische Erkrankungen: Therapien, die an Tieren oft noch viel versprechend wirken, erweisen sich in späteren klinischen Studien am Menschen nicht selten als Enttäuschung. Die Gründe dafür sind vielfältig. Teilweise entsprechen die Tiermodelle schlicht dem Menschen zu wenig. Das legte zum Beispiel vor Kurzem eine Studie in der medizinischen Fachzeitschrift „Stem Cell Reports“ eines Forscherteams um Philipp Koch von der Universität Bonn nahe.

 

Wissenschaftlern schien zuvor ein kleiner Durchbruch im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit gelungen: An genetisch veränderten Tieren und Zelllinien konnten sie mit Hilfe von sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika die Bildung von Beta-Amyloid verringern. Bestimmte Formen dieses Proteins sind als Ablagerungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten zu finden und könnten eine Hauptrolle bei der Erkrankung spielen. In nachfolgenden klinischen Studien am Menschen erwiesen sich die Antirheumatika jedoch weitgehend als wirkungslos.

Philipp Koch und seine Kollegen versuchten den Gründen hierfür auf die Spur zu kommen und testeten die Wirkstoffe direkt an der menschlichen Nervenzelle. Zu diesem Zweck wandelten sie Hautzellen von Patienten mit einer erblichen Form der Alzheimer-Krankheit in so genannte induzierte pluripotente Stammzellen um. Diese können sich zu jedem Zelltyp eines Organismus entwickeln. Anschließend wandelten Koch und seine Kollegen die Stammzellen in menschliche Nervenzellen um.

Nötig sind auch Experimente mit menschlichen Nervenzellen

„Wir konnten zeigen, dass die Wirkstoffe sehr wohl wirken“, sagt Philipp Koch. „Die notwendigen Konzentrationen sind nur ungefähr zehnmal höher als an Tiermodellen vorausgesagt.“ Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Wirkung von Medikamenten abhängig vom Zelltyp und der untersuchten Spezies unterschiedlich sein kann. Daher solle ein Test von Wirkstoffen immer auch an der Zelle durchgeführt werden, bei der sie nachher wirken soll. Im Fall von Alzheimer sei das eben die menschliche Nervenzelle. Keineswegs bedeute das aber, dass man von nun an auf Tiermodelle verzichten solle, betont Philipp Koch. „Zellen in der Kulturschale sind und bleiben ein reduziertes Modell, bei denen wichtige Faktoren nicht berücksichtigt werden, welche man in einem Organismus findet.“

Manche Forscher wie Mathias Jucker sehen denn auch gar nicht das eigentliche Problem in den Tiermodellen selbst, sondern in den Studien, die mit den Modellen arbeiten. Der Neurobiologe vom Tübinger Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen hat schon vor einigen Jahren in einer Übersichtsarbeit für das Fachmagazin „Nature Medicine“ festgestellt, dass die bei Alzheimer beliebten Studien an Mäusen oft mangelhaft sind. So „verblinden“ viele Forscher ihre Versuche nicht. Der Versuchsleiter weiß also, welche Tiere den untersuchten Wirkstoff erhalten haben und welche nur ein Placebo. Er ist dadurch möglicherweise voreingenommen.

Außerdem ist die Anzahl der Versuchstiere oftmals zu gering, was sich negativ auf die statistische Aussagekraft der Studien auswirkt. Die Gefahr besteht in solchen Fällen darin, ein signifikantes Ergebnis zu erhalten, beispielsweise eine Therapie als wirksam zu erweisen, obwohl das Ergebnis nur Zufall ist. „Es ist extrem schwierig und teuer solche Tierstudien durchzuführen“, erklärt Jucker die Gründe. „Finanziell nicht so gut aufgestellte Labors können sich daher eine gute, kontrollierte Studie mit genügend Tieren oft gar nicht leisten.“

Die Ergebnisse sind zu gut, um wahr zu sein

Dass Tiermodellstudien zu neurologischen Erkrankungen tatsächlich vielfach zu Unrecht mit signifikanten Ergebnissen aufwarten, legte 2013 eine Arbeit im Online-Fachmagazin „PLOS Biology“ nahe. Forscher um den Epidemiologen John Ioannidis von der Stanford University nahmen mehrere tausend Tiermodellstudien zu potenziellen Behandlungen von neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson unter die Lupe. Rund 1700 Studien vermeldeten statistisch signifikante Ergebnisse, wiesen also die in Frage stehende Therapie als wirksam aus. Nach den statistischen Berechnungen von Ioannidis und seinen Kollegen hätten es aber eigentlich nur rund 900 sein dürfen. Den Angaben der Forscher nach waren die Ergebnisse schlicht zu gut, um wahr zu sein.

Ein weiteres Problem sind aus Sicht von Mathias Jucker die falschen Erwartungen und Hoffnungen der Öffentlichkeit. „Die Öffentlichkeit denkt bei Tiermodellen neurodegenerativer Erkrankungen, sie spiegelten die Erkrankung wider, wie sie beim Menschen auftritt“, sagt er. Aber eine Maus beispielsweise werde nie eine menschliche Erkrankung wie Alzheimer eins zu eins mit all ihren Symptomen entwickeln. „Das kann man auch nicht erwarten, noch weniger kann man das von einem Wurm oder einer Fruchtfliege.“ Allerdings könnten genetisch gezüchtete Mäuse dabei helfen, grundlegende Teilaspekte der Krankheit zu entwickeln: wie die Bildung von Beta-Amyloid-Ablagerungen im Falle von Alzheimer.

Beispiele für gelungene Übertragungen vom Tiermodell auf den Menschen gibt es durchaus. So konnte etwa die sogenannte Beta-Amyloid-Immuntherapie nicht nur in Studien an Tieren, sondern auch beim Menschen die Bildung von Beta-Amyloid verringern. „Selbst unerwünschte Nebenwirkungen wie Hirn-Mikroblutungen traten nicht erst beim Menschen, sondern schon im Tiermodell auf“, sagt Mathias Jucker. „Anhand der Tiermodelle konnten also die richtigen Voraussagen getroffen werden.“ Eine Enttäuschung sei allerdings gewesen, dass es den Menschen durch die Therapie nicht besser gegangen sei. Aber man müsse eben bedenken, dass die Mäuse eigentlich nur ein Modell für die Bildung von Amyloid im Gehirn darstelle. „Daher kann es eigentlich nur voraussagen, dass die Therapie wirksam ist gegen die Ablagerung von Amyloid im Gehirn.“

Der Neurobiologe Jucker sieht die beteiligten Wissenschaftler und die Medien in der Pflicht, der Öffentlichkeit ein richtiges Bild zu vermitteln. „Die Forscher und Labors sollten darauf hinweisen, wo die Beschränkungen der Studien liegen. Und Journalisten sollten Ergebnisse aus Studien, vor allem mit wenigen Tieren, kritischer hinterfragen.“