Der frühere Hohenheimer Uniprofessor hat noch viel vor: Bücher schreiben, reisen, Vorträge halten, die Welt verbessern. Turnen und Disziplin halten ihn fit. Bald feiert er seinen 100. Geburtstag.

Stuttgart - Fernsehen? Dafür hat Theodor Bergmann „keine Zeit“. Schließlich hat der Mann, der nächsten Monat 100 wird, noch viel vor. Bücher schreiben, diskutieren, reisen, Vorträge halten, die Welt verbessern zum Beispiel. „Sie müssen schreiben, dass ich ein kritischer Kommunist bin“, diktiert er der Zeitungsvertreterin in den Block. Na schön. Dabei gibt es noch viele andere Dinge über diesen Mann zu erzählen, der unter anderem acht Jahre als Professor für Internationale Agrarpolitik an der Uni Hohenheim gewirkt hat. Der sich vor allem aber einfach nicht benimmt wie ein normaler Hundertjähriger.

 

Er jammert nicht. Er versucht selber daran mitzuarbeiten, die Gesellschaft zu verändern, sie besser zu machen. Immer noch. „Denn sie ist miserabel“, sagt Bergmann. „Sie hat keinen Platz für Flüchtlinge, aber eine Verteidigungsministerin, die 130 Milliarden Euro für die Bundeswehr fordert.“ Das passt für Bergmann nicht zusammen. Deshalb streite er mit seinen Genossen von der Linkspartei, der er seit 2007 angehört, darüber, wie man eine bessere Welt bauen könne. Der Diskurs ist ihm wichtig.

Gerade noch rechtzeitig vor den Nazis geflohen

Der zierliche, hagere Mann besucht immer noch Schulklassen und erzählt den Jugendlichen, wie es damals war, als Jude im Dritten Reich. Weshalb er das macht? „Weil die Lehrer mich einladen“, kontert er. Als siebtes von acht Kindern eines Rabbiners in Berlin geboren, konnte Bergmann 1933 gerade noch rechtzeitig emigrieren, ins damalige Palästina, wo er in einem Kibbuz arbeitete. Die Landwirtschaft hatte es ihm schon immer angetan, stets hatte und hat er aber auch das große Ganze im Blick: die Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes, den Strukturwandel.

Doch es zog ihn wieder zurück, zunächst in die Tschechoslowakei, wo er 1935 begann, Agrarwissenschaften zu studieren. Dann die Flucht nach Schweden, dort Tätigkeit als Landarbeiter – und nebenher immer die politische Arbeit, immer die Suche nach einem Kommunismus anderer Prägung. 1947 Fortsetzung des Studiums in Bonn, Promotion in Hohenheim, wo er, nach mehreren Zwischenstationen, 1973 als habilitierter Professor berufen wurde. Nach Stuttgart wollte er auch wegen seiner Freundin, die später seine Frau wurde: „keine Jüdin, aber eine Atheistin – wie ich“. Sie war sein Lebensmensch, begleitete ihn auf vielen seiner Reisen ins Ausland, stritt mit ihm über Chruschtschows Chancen, „aber nicht über das Geschirrspülen“, starb aber vor 22 Jahren. Danach blieb er allein. „Auf jeden Mann kommt nur eine Frau“, sagt er und grinst. „Sagt die Statistik.“

Bei Agrarpolitik diskutiert der Hohenheimer Emeritus mit

Von Vereinsamung kann keine Rede sein. „Ich habe viel Kontakt zu meinen Doktoranden und Diplomanden, treffe mich auch noch mit Professoren“, berichtet Bergmann, der es von seiner Wohnung im Asemwald nicht weit hat zum Hohenheimer Campus. „Ich diskutiere noch bei der Agrarpolitik mit, aber ich mische mich in Hohenheim nicht ein“, sagt der Emeritus. „Gewisse Grundfragen beschäftigen mich: Brauchen wir Genforschung? Muss die Menschheit hungern, weil wir zu viele Menschen sind?“ sagt er und schiebt ein „Das glaub ich nicht“ nach. „Sollen wir Getreide zu Benzin verarbeiten? Das halte ich für ein Verbrechen.“ Bergmanns Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen, er erinnert sich mühelos an Jahreszahlen, historische Ereignisse und Zusammenhänge, kann nach einem kurzen Exkurs blitzschnell wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen und rezitiert zwischendurch Gedichte. Wie macht der Mann das nur?

„Ein Mensch muss Disziplin haben“, sagt er. Bei ihm sieht das so aus: „Um sechs steh ich auf, dann turne ich, danach wird gefrühstückt und Zeitung gelesen.“ Anschließend arbeite er am Schreibtisch. Gerade schreibe er ein Buch über China, seine Entwicklungsprozesse und -probleme. „Warten Sie“, sagt Bergmann, „ich zeig Ihnen mal was.“ Aus dem Arbeitszimmer holt er einen kiloschweren Wälzer: Chinas Statistisches Jahrbuch 2015 – auf chinesisch und englisch. „Passen Sie auf, dass der Ihnen nicht auf die Füße fällt.“ Aber Bergmann wertet nicht nur Statistik aus, er kennt China auch aus eigener Anschauung. „2014 war ich das letzte Mal dort.“

Disziplin muss sein: am Schreibtisch und beim Turnen

Zurück zur Disziplin: um halb zwölf kommt eine Genossin zum Kochen vorbei, um zwölf wird Mittag gegessen, danach geruht, anschließend geht’s ein Stündchen in den Wald, auch wenn das linke Bein nicht mehr so recht will. Um drei, halb vier gibt’s eine Tasse Kaffee, danach wird wieder am Schreibtisch gearbeitet. „Um sieben mach ich mir Abendbrot.“ Danach wieder Schreibtischarbeit – „um zehn ist Feierabend“. Zur Entspannung wird noch ein wenig gelesen und geturnt. Um elf macht Bergmann das Licht aus.

Und was ist mit Tabak und Alkohol? „Brauch ich nicht“, sagt er. „In der Arbeiterbewegung war das selbstverständlich, dass man gesund lebt.“ Seinen 100. Geburtstag will er bei seinen Verwandten in Israel verbringen. Kinder hat er nicht – „man weiß nicht, wie das in Deutschland wird als Jude“. Persönliche Wünsche für sich habe er nicht, sagt Bergmann. Nur diese: „Eine bessere Regierung und eine Welt ohne Krieg und ohne KZs. Und Frieden für Israel – auch mit einer besseren Regierung.“ Zur Wahl am 13. März will Bergmann aber wieder zurücksein – „als guter Staatsbürger – jede Stimme zählt“.