Eine umtriebige Clubkultur steigert die Attraktivität einer Großstadt für junge Menschen. Auch in Stuttgart kommt das immer mehr an. Ninette Sander, Gastronomin und Vertreterin des Club Kollektivs, über die Gründe – und die Eigenheiten der Stuttgarter.

Stuttgart - Die Menschen drängeln sich dicht aneinander, quatschen, tragen Dramen aus und Gin Tonics spazieren, sitzen an den unzähligen Tischen am Platz oder gleich auf dem Boden, an die Häuserwände gelehnt. Das Szenario eines ganz gewöhnlichen Sommerabends am Hans-im-Glück-Brunnen, bei dem einfach jedem Stadtkind das Herz aufgehen muss.

 

Das begehbare Großstadtwimmelbild ist aber noch gar nicht so alt. „Als das Zotti damals am Platz eröffnet hat, war das ein hartes erstes Jahr“, erinnert sich Ninette Sander an den Vorgänger des Kottan, eine der bezaubernden Bars rund um den Brunnen. Sander, die seit zwanzig Jahren als Gastronomin in Stuttgart arbeitet, hat aus dieser Beobachtung eine Faustregel abgeleitet: „Die Stuttgarter brauchen ein Jahr, um sich an etwas Neues zu gewöhnen“, sagt sie. Der Schwabe habe Berührungsängste, müsse sich erst an Veränderungen in seiner Stadt gewöhnen. Wenn man ihm aber genügend Zeit lässt, könnte es eine Freundschaft fürs Leben werden.

Weniger Bürokratie wäre wünschenswert

So mag das auch gewesen sein, als Sander 2003 gemeinsam mit Ralf Bauer den Club Schocken in Stuttgarts Zentrum eröffnet hat. Früher Ort für studentisches Publikum mit Affinität zu britischer Gitarren-Musik, ist der Laden längst zum Selbstläufer geworden. An den Wochenenden platzt er aus allen Nähten. Vor dem Schocken hatte Sander gemeinsam mit Bauer den legendären Travellers Club an der Paulinenstraße betrieben, wo heute das Zwölfzehn zuhause ist.

Vor etwas mehr als einem Jahr haben die beiden die Bar White Noise eröffnet, kürzlich den dazugehörigen und gleichnamigen Club. Dass Letzteres tatsächlich noch geschieht, daran hatte zuletzt kaum noch einer geglaubt. Die Stuttgarter Version von Michael Endes unendlicher Geschichte ging so: Beinahe im Wochentakt mussten Sander und Bauer die Eröffnung ihres neuen Clubs verschieben, schuld war die Bürokratie, das Schallgutachten etwa, das sich länger hingezogen hat, als sich das die Betreiber gewünscht hätten. „Die Anfangszeit war wirklich anstrengend, da hätten wir uns weniger bürokratische Hürden gewünscht.“

Dabei habe sich gerade in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren einiges getan. „Die Zusammenarbeit von Clubbetreibern mit der Stadt ist deutlich besser geworden“, sagt Sander. Das liege zum einen an der Gründung des Club Kollektivs Stuttgart, einem Interessenverband der Club-, Party- und Livemusikszene, zu dessen Vorstand sie gehört. Und zum anderen am Runden Tisch, der Vertreter von Stadt und Gastronomie im Rathaus zusammenbringt. In regelmäßigen Abständen werden Probleme und Sorgen rund um die am stärksten frequentierten Ausgehviertel besprochen.

Die Stimmung ist rauer geworden

Dazu gehören Dauerthemen wie das Müllproblem, derzeit ist es vor allem aber die Sicherheitslage. „Die Stimmung im Nachtleben ist rauer geworden“, sagt Sander. Mit Polizei oder Ordnungsamt im Rathaus an einem Tisch zu sitzen und konkrete Probleme zu besprechen, werde langfristig helfen. Davon ist sie überzeugt. Auch wenn andere Großstädte wie Hamburg oder Berlin schon weiter seien. „Das Bewusstsein, dass zu einer Stadt nicht nur die Hochkultur gehört, sondern auch Nachtleben und Jugendkultur, das kommt auch hier immer mehr an“, sagt Sander.

Seit diesem Jahr fördert das Kulturamt der Stadt Kulturprojekte, die in Stuttgarter Clubs stattfinden. Im Herbst etwa ein Theaterstück im Club Kowalski, im White Noise ist eine Installation mit rund 2000 Euro gefördert worden.

Die Stuttgarter sehnen sich nach Geborgenheit

Die Bar White Noise ist Teil dieser positiven Entwicklung, gemeinsam mit dem Restaurant Breitengrad ist das vormals triste Schwabenzentrum an der Eberhard-straße wieder belebt worden. Mit filigran gestaltetem Interieur, einem Kulturprogramm aus Lesungen, Konzerten und Ausstellungen und einem großen Außenbereich. Die Theke ist eine Art Schrankwand, die Menschen in Stuttgart mögen es kuschelig, auch außerhalb der eigenen vier Wände soll Wohnzimmeratmosphäre herrschen, sagt die gelernte Grafikdesignerin. „Ich glaube die Leute hier brauchen Geborgenheit, eine wärmende Hülle – vielleicht liegt das am Kessel“, sagt sie und lacht.

Im Gegensatz dazu wirkt der neue Club roh, die Elektro-DJs sind häufig noch unbekannt und sie bewegen sich abseits des gängigen Musikgeschmacks. „Ich fände es schön, wenn die Leute ins White Noise wegen des Clubs kommen und nicht wegen des DJs. Sie sollen sich überraschen lassen und dadurch ganz unverhofft in den Genuss guter Musik kommen“, wünscht sich die 46-Jährige.

Irgendwann werden sich die Schwaben auch darauf einlassen – spätestens in einem Jahr.

Neu an der Geißstraße 4

Redaktion

Die Zeitungen sind wieder in der City. Mit einem kleinen Büro am Hans-im-Glück-Brunnen und einem feinen Team. Mittendrin, nah am Puls der Stadt und ihrer Menschen. Erster Ausdruck dieser neuen Präsenz unweit der alten – dem Tagblattturm – sind im Büro an der Geißstraße 4 die Fenstergespräche mit echten Stadtmenschen. Mit Leuten, die etwas zu sagen haben, mit Bewegern aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Gast

Ninette Sander arbeitet seit zwanzig Jahren als Gastronomin in der Stadt. Auf Travellers Club, folgte Schocken und kürzlich der Club White Noise, den sie wie die anderen Läden gemeinsam mit Ralf Bauer betreibt. Sander ist Mitglied des Vorstands des Interessenverbands Club Kollektivs und sitzt im Rathaus mit am Runden Tisch für Gastronomen und Vertreter der Stadt. Eine konstruktive Zusammenarbeit, wie sie sagt.

Interviewer

Ina Schäfer ist neben Nina Ayerle, Jürgen Brand, Martin Braun, Martin Haar, Sven Hahn, Frank Rothfuß und Kathrin Wesely Mitglied der neuen Redaktion Stadtleben. Ina Schäfer leitet das Team des StZ-Blogs Stadtkind Stuttgart. Sie schreibt Geschichten über Nachteulen, kreative Köpfe, junge Kunst, Musik und alles andere, was die Stadt von Heslach bis zum Hallschlag so liebenswert macht.