Bei der Geiselnahme von Sydney starben sie im Durcheinander der Befreiung. Nach Zeugenangaben sollen Tori Johnson und Katrina Dawson im Lindt Chocolate Café ihr Leben für andere geopfert haben.

Stuttgart - Sie kommen in Paaren, kleinen Gruppen oder ganz alleine, junge Menschen, alte Menschen, Familien mit kleinen Kindern, Christen, Muslime, Juden und Atheisten. Sie legen Blumen nieder, Tausende von Sträußen, die die Trauer einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes über den Tod zweier Geiseln bezeugten, die Opfer eines geistig verwirrten Fanatikers geworden waren. In ganz Australien wehten Flaggen auf halbmast, in Sydney besonders gut sichtbar auf der höchsten Stelle der berühmten Hafenbrücke, die sich nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt über das Wasser schwingt.

 

Die dreifache Mutter soll eine Schwangere geschützt haben

Noch ist nicht endgültig geklärt, was genau in nur 34 Sekunden kurz nach zwei Uhr morgens passierte. Das war gut 16 Stunden, nachdem Man Haron Monis alle Gäste und Angestellte des Lindt Chocolate Cafés im Herzen Sydneys als Geiseln genommen hatte. Der 50-jährige aus dem Iran stammende Flüchtling starb im Kugelhagel der Polizei, vermutlich erschoss er vor seinem Tod den Café-Manager Tori Johnson (34) und die Anwältin Katrina Dawson (38). Johnson kam nach bisher nicht bestätigten Augenzeugenberichten ums Leben, als er versuchte, dem Täter sein Gewehr zu entreißen. Dawson, Mutter von drei Kindern, soll mit ihrem Körper eine schwangere Geisel beschützt haben. Dawson galt als zukünftiger Star in der Rechtsanwaltsszene, hatte vor 20 Jahren ihr Abitur mit der Höchstnote von 100 von 100 möglichen Punkten abgelegt und arbeitete seit Jahren auch noch als Freiwillige für Ureinwohner in Rechtsfragen.

Johnson, der seit zwei Jahren Chef des Lindt Cafés war, soll bereits versucht haben, die Waffe an sich zu reißen und dafür heftige Schläge des Geiselnehmers eingesteckt haben. Viele Australier waren am Montagabend in der Hoffnung schlafen gegangen, dass der Geiselnehmer sich von den Verhandlungsführern der Polizei zur Aufgabe überreden lassen könnte.

Hinter den Fenstern des abgedunkelten Cafés sah es aber anders aus. Wie Geiseln berichteten, wurde Man Haron Monis zunehmend wütender, vor allem weil die Medien sich weigerten, seine Botschaften zu publizieren. Er hatte die Geiseln gezwungen, Videobotschaften mit seinen Forderungen zu filmen und zu verschicken, in denen er unter anderem ein öffentliches Telefongespräch mit Premierminister Tony Abbott forderte. Schon am Nachmittag entkamen fünf der 17 Geiseln, die er auf die Toilette gehen ließ. Kurz vor dem gewaltsamen Ende floh mehr als ein halbes Dutzend Geiseln, vermutlich als der Täter mit Johnson rang.

Der Täter war der Polizei als gefährlich bekannt

Am Dienstag begannen die Diskussionen, warum Man Haron Monis überhaupt auf Kaution frei war. Er war der Polizei seit Jahren bekannt und zu 300 Stunden Gemeindearbeit verurteilt worden, weil er Hassbriefe an Witwen von Soldaten geschickt hatte, die im Irak und Afghanistan gefallen sind. Als Prediger soll er 50 bis 60 Frauen sexuell belästigt haben. Die schwerwiegendste Anklage aber stand noch vor ihm: Er soll an der Ermordung seiner Exfrau beteiligt gewesen sein, die erstochen und angezündet worden war.