Anbieter von ambulanten Pflegedienstleistungen befürchten eine Verwahrlosung von Menschen. Die Branche bräuchte 20 Prozent mehr Geld.

Filder - Zitieren lassen mag sich mit solchen Aussagen keiner: Doch die Anbieter von Pflegedienstleistungen auf den Fildern fürchten mittelfristig eine Verwahrlosung vieler Patienten, wenn das Pflegeangebot mit der Nachfrage nicht Schritt hält. Im Kern hänge es am Geld, von dem 20 Prozent zu wenig im System fließt.

 

Für eine qualitätvolle Pflege reichen die getakteten Zeitumfänge, nach denen die Kassen mit den ambulanten Pflegediensten Wundpflege, Medikamentierung oder Einlage wechseln abrechnen, immer seltener. „Wenn eine Person dement ist, brauchen Sie eher noch mehr Zeit, weil Hektik das Gegenteil bewirkt,“ sagt Christine Beilharz. Mit 500 Patienten, je hälftig in Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen, ist die Geschäftsführerin der Diakoniestation größter Anbieter vor Ort, der 100 Pflegekräfte beschäftigt.

Vereine springen finanziell ein

Seit Jahren müssen die neun Krankenpflegevereine mit ihren circa 4000 Mitgliedern immer wieder finanziell einspringen, um Defizite von 15 000 und mehr Euro auszugleichen. „Eine Folge des Kostendrucks“, sagt Jürgen Bantle, der beim 2007 gegründeten privaten Pflegedienst seiner Frau in Filderstadt die Finanzen macht: „Häufig fehlt die Zeit zum Anleiten, was die Selbstständigkeit eines Seniors fördert, so dass die Pflegekraft etwa selbst Kompressionsstrümpfe anlegt, um die hierfür abrechenbaren vier Minuten einzuhalten.“

Verschärft wird die Situation dadurch, dass nahezu alle Bedürftigen zwischen 7 und 9 Uhr versorgt werden wollen. „Es wird immer schwieriger, noch schwarze Zahlen zu schreiben,“ sagt auch Klaus Ziegler von der Wohngemeinschaft für Senioren, die in Bernhausen aus einem privaten ambulanten Pflegedienst heraus entstanden ist. Diesen Sommer war der 1987 gegründete Anbieter dadurch aufgefallen, dass er 20 Pflegeverträge in Leinfelden-Echterdingen gekündigt hatte. Hintergrund waren laut Ziegler letztlich Kostendruck und Qualitätsstandards, die zu Veränderungen führten, die das Personal nicht mittrug. Fünf Mitarbeiterinnen, die zusammen 230 Prozentstellen hatten, kündigten.

Spitzenzeit am Morgen

Denn Pflegekräfte sind längst begehrte Mitarbeiter, die sich vielfach ihre Stelle aussuchen können. Ziegler reagierte im September auf die angespannte Situation: Neun seiner 25 Mitarbeiter, die derzeit 55 Senioren betreuen, sind aktuell 450-Euro-Kräfte, die die morgendliche Spitzenzeit abdecken. Zudem teilen sich nun die sieben täglichen Touren in Hausbesuche von Fachkräften, die Behandlungspflege machen, und von Hilfskräften, die bei Morgentoilette, beim Ankleiden oder Frühstück helfen.

„Das erhöht unseren Aufwand in allen Bereichen, doch wir versuchen es jetzt auf diesem Weg,“ sagt Ziegler. Positiver Nebeneffekt: Viele Kunden empfinden es als willkommene Abwechslung, zweimal pro Tour besucht zu werden. Auch Mitbewerber Bantle sieht eine Lösung in mehr Flexibilität. „Die Hälfte der Patienten sieht ein, dass nicht alle Klienten um 8 Uhr bedient werden können,“ gibt er Einblick in Gespräche, die er mit Betroffenen führt.

Anbieter schreiben rote Zahlen

Nach Angaben der Diakonie Württemberg schreibt mittlerweile die Hälfte aller Anbieter rote Zahlen. Während aber private Anbieter kostendeckend arbeiten müssen, weil ihren Abmangel niemand ausgleicht, springen bei Caritas oder Diakonie immer häufiger Pflegevereine, Kirchengemeinden oder Kommunen ein, die ein Interesse am Fortbestand des Dienstes haben.

Die Lücke wird vor allem deshalb immer größer, weil die Personalkosten durch Tariferhöhungen seit 2003 um 17 Prozent stiegen, während die Verrechnungssätze mit den Kassen nur um acht Prozent angehoben wurden. Weil eine Heimunterbringung deutlich teurer ist, verstehen Beilharz, Ziegler & Co. nicht, weshalb die ambulante Pflege finanziell nicht gestärkt wird.

20 Prozent mehr Geld wäre nötig

Denn zwei Drittel aller Pflegebedürftigen leben zu Hause – und die Zahl der Senioren steigt in Summe. Einig sind sich die Anbieter auf den Fildern, dass 20 Prozent mehr Geld im Pflegemarkt das Problem behebe. Bantle: „Dann würde die Branche für mehr Menschen attraktiv und die Mitarbeiter könnten mehr Zeit auf den einzelnen Klienten verwenden.“