Es liege kein qualifizierter Dienstunfall vor, weshalb eine ehemalige Lehrerin der Albertville-Realschule keinen Anspruch auf ein erhöhtes Unfallruhegehalt habe. Dagegen klagt die Frau, die durch den Amoklauf schwer traumatisiert ist.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - Die 35-jährige Frau, die an diesem Dienstag vor der 12. Kammer des Stuttgarter Verwaltungsgerichts gegen das Landesamt für Besoldung und Versorgung geklagt hat, ist seit Ende Januar 2013 im vorzeitigen Ruhestand. Der Grund ist eine posttraumatische Belastungsstörung, die Folge ihrer Erlebnisse, die sie als Lehrerin an der Albertville-Realschule am 11. März 2009 durchmachte: Sie unterrichtete eine Klasse, als der 17-jährige Amokläufer Tim K. am Vormittag in dem Gebäude zwölf Menschen erschoss. Elf Menschen wurden zudem schwer verletzt. Die Klägerin konnte ihre Klasse in Sicherheit bringen, ohne dass jemand zu Schaden kam. Mehrere der verängstigten Kinder trug sie sogar zum Sammelplatz am Wunnebad.

 

Die dadurch bedingten psychischen Auswirkungen hat das Stuttgarter Regierungspräsidium anerkannt. In einem Bescheid vom 5. Mai 2009 wurden ihr die Geschehnisse als „Dienstunfall mit der Unfallfolge posttraumatische Belastungsstörung“ bescheinigt. Seitdem bezieht sie ein Unfallruhestandsgehalt von 71 Prozent. Im vergangenen Jahr hat sie ein erhöhtes Unfallruhestandsgehalt von 80 Prozent beantragt, was für Beamte, die durch einen Dienstunfall arbeitsunfähig geworden sind, ein normaler Vorgang ist. Das Landesamt für Besoldung und Versorgung verweigert ihr die Aufstockung jedoch mit der Begründung, es liege „kein qualifizierter Dienstunfall“ vor, der für das erhöhte Unfallruhestandsgehalt Voraussetzung ist. Dazu hätte die Klägerin während des Amoklaufs gezielt einem rechtswidrigen Angriff ausgesetzt werden müssen, argumentiert die Behörde.

„Das ist der entscheidende Punkt in dem Prozess“, erklärte der Vorsitzende Richter Jan Bergmann. Der Gesundheitszustand der Frau war keine Frage mehr. Zu klären war nur noch, ob die „engagierte junge Lehrerin“, die durch den Amoklauf „aus ihrer Berufsbiografie gerissen wurde“, während des Amoklaufs direkt mit einem rechtswidrigen Angriff konfrontiert wurde. Für den Anwalt der Klägerin, die nach dem Winnender Amoklauf an einer Fellbacher Schule weiter unterrichtet hatte und dort ein Jahr später noch einen irrtümlichen Amokalarm miterlebte, ist die Sache klar. „Wenn ein Amoklauf kein Angriff ist, was ist er dann?“, sagte er. „Eine solches Massaker in Einzeltaten aufzuteilen ist nicht möglich“, führte er aus.

Der Anwalt des Amtes sowie ein Vertreter des Kultusministeriums sind jedoch anderer Ansicht. Ein rechtswidriger Angriff hätte ihrer Meinung nach nur vorgelegen, wenn sich die Wege der Lehrerin und des Täters gekreuzt hätten. Das Gericht entschied schließlich zu Gunsten der Klägerin. Sie soll laut dem Urteilsspruch das geforderte erhöhte Unfallruhestandsgehalt beziehen und dazu die nach dem Beamtengesetz festgelegte Entschädigung von 80 000 Euro erhalten. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Der Anwalt des Landesamtes kündigte nach dem Urteilsspruch gegenüber der Presse an, dass Rechtsmittel eingelegt würden. In diesem Fall kann Berufung beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eingelegt werden.

Bisher waren Lehrer, die vom Amoklauf in Winnenden betroffen waren, rasch in den vorzeitigen Ruhestand entlassen worden, wenn sie sich nicht mehr in der Lage sahen, weiter zu unterrichten. Nur wenige Fälle landeten vor Gericht. In einem handelte es sich um einen Lehrer, der zum Zeitpunkt des Amoklaufs gar nicht in der Schule gewesen war. Die 35 Jahre alte Klägerin, die an der Verhandlung nicht persönlich teilnahm, beschrieb der Vorsitzende als eine hochqualifizierte Lehrerin, die am Anfang ihrer Karriere gestanden habe. Sie habe bei dem Amoklauf zudem ihre beste Freundin verloren.