In diesem Jahr geht das Amselsterben weiter: Das Usutu-Virus tötet die Vögel und kann auch auf den Menschen übertragen werden. Naturschützer bitten um Hilfe bei der Suche nach kranken und verendeten Amseln.

Stuttgart - Eine ziemlich junge Amsel saß in den Morgenstunden auf der Friedhofsmauer. Auffallend war das zerrupfte Gefieder rings um den Hals und die fehlende Bereitschaft zum Wegfliegen, schreibt ein Vogelfreund aus dem baden-württembergischen Blieskastel-Webenheim dem Naturschutzbund Nabu. Spaziergängern in Neumalsch fiel eine Amsel tot vor die Füße und im Garten einer älteren Dame lag ein am Tag zuvor noch singendes Amselpärchen verendet in der Wiese.

 

Hunderte derartiger Meldungen sind bereits beim Nabu eingegangen, und täglich werden es mehr. Manche haben die toten Vögel begraben, andere sie beim Nabu abgegeben oder an das zuständige Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg geschickt. Dort werden die Tiere getestet. Denn seit dem letzten Jahr grassiert das Usutu-Virus in der Vogelwelt, das ursprünglich aus Afrika stammt. An diesem Virus sind in diesem Sommer – wie auch 2011 – im Südwesten mehrere Tausend Amseln gestorben, berichtet die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) in Waldsee in der Pfalz. Das Usutu-Virus hatte schon im Sommer 2011 im Dreiländereck Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg Hunderttausende Amseln befallen und getötet. In diesem Jahr ist Rheinland-Pfalz am stärksten betroffen; in Baden-Württemberg tritt das Virus vor allem an der Grenze zu Rheinland-Pfalz auf. Täglich würden bis zu zehn tote Amseln entdeckt, sagt Norbert Becker von der Kabs.

Auch andere Singvögel sind betroffen

Die Viren werden von Stechmücken übertragen und bevorzugen als Wirt vor allem Amseln. Wissenschaftler des BNI fanden die Viren jedoch auch in anderen Vögeln, etwa in Kanarienvögeln, Staren, Eisvögeln und einem Spatz, wie sie kürzlich im Fachmagazin „Plos One“ berichteten. Nun haben die Forscher zudem festgestellt, dass das Virus auch auf den Menschen übertragen werden kann: über Mückenstiche gelangt es vom Vogel zum Menschen.

Das Usutu-Virus wurde bei einem Blutspender aus dem hessischen Groß-Gerau entdeckt, als insgesamt 4200 Blutproben auf Antikörper gegen den Erreger untersucht wurden. Der betroffene Mann hat offenbar keine Symptome gezeigt. Während die Amseln an Organversagen sterben, verläuft die Infektion bei ansonsten gesunden Menschen meist ohne Symptome oder wird höchstens als leichte Grippe mit Fieber, Kopfschmerzen und Hautausschlägen wahrgenommen. Bei älteren oder geschwächten Menschen kann das Virus im schlimmsten Fall eine Gehirnentzündung auslösen. Zuletzt erkrankten im Jahr 2009 zwei immungeschwächte Menschen in Italien an dem Virus. Die Krankheit werde, laut BNI-Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, nur über einen Mückenstich übertragen, das bloße Anfassen eines erkrankten Vogels reiche nicht aus.

Das Immunsystem der Vögel hat sich noch nicht angepasst

Wie sich die Viren weiterverbreiten werden, können Experten nur schwer abschätzen. Die Vermehrung und Verbreitung der Viren ist vor allem von der Witterung abhängig: Je wärmer die Tage und Nächte, desto mehr Stechmücken gibt es, die das Virus an die Singvögel weitergeben. Erstaunlich ist nach Expertenmeinung jedoch, dass das Usutu-Virus in diesem Jahr in Deutschland ebenso heftig grassiert wie im vergangenen Jahr. Wissenschaftler hatten damit gerechnet, dass sich das Immunsystem der Vögel mit dem Virus arrangieren und Resistenzen entwickeln würde. Bislang ist dies jedoch nicht der Fall.

Die Lage ist nach Angaben des Nabu auch deshalb schwer einzuschätzen, weil die Amseln im August und Anfang September über mehrere Wochen ohnehin nur selten zu beobachten sind. In dieser Zeit leben sie zurückgezogen. Das liegt zum einen daran, dass ihre Brutzeit zu Ende gegangen ist und sie ihre Reviere nicht mehr verteidigen müssen. Das Schimpfen und Singen hört man im Hochsommer oft nur noch in der Nähe von Wasser oder nach Regengüssen. Hinzu kommt, dass sich in dieser Zeit nahezu alle Altvögel mausern – und das tun sie am liebsten im Verborgenen. Zum anderen lässt aber auch die Not die Singvögel verstummen. In der Hitze des Sommers gibt es weniger Nahrung für die Vögel. „Bei Trockenheit verschwinden Regenwürmer in tiefere Schichten und sind teilweise so schwer erreichbar, dass Amseln hungern oder gar verhungern“, berichtet der Nabu. Wasser zum Trinken und Baden wird ebenso rar wie die Beeren in den Gärten.

Weil es schwierig sei, sich ein Bild der Lage zu machen, fordert der Naturschutzbund alle Vogelbeobachter auf mitzuforschen. Tote oder kranke Vögel können über ein Online-Meldeformular direkt gemeldet werden. Zudem, sagt der BNI-Forscher Schmidt-Chanasit, sollten wissenschaftlich interessierte Bürger infizierte Vögel möglichst schnell an das BNI, die Kabs oder ein örtliches Veterinäramt schicken (siehe folgende Seite). Mit dem Usutu-Virus infizierte Vögel seien oft zerzaust und würden sich merkwürdig benehmen. Sie seien apathisch und flüchten nicht, wenn man ihnen näher kommt. Aber auch andere Meldungen sind dem Nabu willkommen: „Es lohnt sich, auch auf banale Alltagsarten zu achten und diese zu dokumentieren.“

Wie man tote Vögel sicher meldet und einsendet

Verhaltensregeln:
Tote Vögel sollten nicht vergraben oder mit dem Hausmüll entsorgt werden. Zwar kann das Usutu-Virus nur über einen Mückenstich in den Menschen gelangen, dennoch sollte man tote Vögel nur mit Handschuhen oder umgestülpten Plastikhandschuhen anfassen. Anschließend das Händewaschen nicht vergessen!

Einsenden:
Vögel sollte man gut gepolstert und mit einem Kühlakku verpackt an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin schicken. Die Adresse sowie weitere Informationen sind auf einer Seite des Naturschutzbundes nachzulesen. Die Versandkosten können nicht übernommen werden. Der Einsender wird über das Untersuchungsergebnis unterrichtet.