Ein 65-Jähriger legt es vor dem Amtsgericht Backnang offenkundig darauf an, ins Gefängnis zu kommen. Der Richter muss sich einiges gefallen lassen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Backnang - Schon im Flur des Backnanger Amtsgerichts ist nicht zu überhören, dass der nächste Fall für den Richter kein unkomplizierter werden wird. „Kennt ihr den Unterschied zwischen Beamtenärschen und Holz?“, schreit ein Mann im rentenfähigen Alter durch die Gänge – und liefert die Antwort gleich mit: „Holz arbeitet!“ Im Verhandlungssaal zeigt er sich zunächst nonchalant, überreicht der Gerichtsschreiberin einen kleinen Rosenzweig – der sich nach einem Blick aus dem Fenster allerdings als nicht ganz legal erworben herausstellt – und rät dem Richter: „Du kannst ein Urteil knacken lassen, Zeugen brauchen wir nicht, ich gestehe alles.“

 

Der Angeklagte tippt auf 2,4 Promille

Doch es sollte noch nicht einmal zur Verlesung der Anklage wegen „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen u. a.“ kommen, denn der 65-jährige gebürtige Kölner, der eigenen Angaben zufolge seit 14 Jahren obdachlos ist und zurzeit in einem Bauwagen hinter dem Backnanger Bauhof wohnt, gebärdete sich in der Folge ähnlich wie zuvor im Flur. Der Richter hegte deshalb große Zweifel an seiner Vernehmungsfähigkeit. Nach Rücksprache mit seinem Vorvorvorgänger Wolfgang Wünsch, der bereits seit mehreren Jahren am Oberlandesgericht Stuttgart tätig ist, den Angeklagten aber offenbar aus mehrfacher eigener Anschauung kennt, beschied Amtsrichter Eike Fesefeldt, eine Polizeistreife anzufordern, um einen Alkoholtest durchführen zu lassen.

Gar kein Problem habe er damit, erwiderte der Angeklagte gönnerhaft, „ich tippe auf 2,4 Promille“. Nicht nur wegen dieser Erkenntnis könne sich das Gericht die Mühe aber sparen. „Ich geb’ doch alles zu. Jetzt schließ die Verhandlung, ich brauch’ ein Winterquartier.“ Der Knast nämlich sei zu der Jahreszeit gar nicht schlecht, man habe es warm, zu Essen und immer jemanden zum Kartenspielen.

Die Überbrückung der Zeit bis zum Eintreffen der Polizeistreife geriet für den Richter, der einräumte, so etwas noch nicht erlebt zu haben, denn zu einer weiteren Herausforderung. „Haben Sie etwas Schönes zu erzählen?“, fragte er den Angeklagten, vielleicht aus dessen Bundeswehrzeit, die der 65-Jährige zuvor immer wieder lautstark erwähnt hatte. Eine Zeit lang ging diese Taktik auf, der Angeklagte plauderte, riss Witze – aber kam dann doch wieder auf das zurück, weswegen er seine Anklage offenkundig angezettelt hatte: „Jetzt verknack mich doch endlich für sechs Monate ohne Bewährung. Einladung zum Haftantritt heißt das – Richter, bist du neu hier?“

Asperg lieber als Stammheim

Der indes beharrte darauf, dass dies nicht ohne einen Prozess möglich sei und er den Angeklagten für einen solchen zurzeit nicht geeignet halte. Die schließlich herbeigeführte Atemalkoholkontrolle bestätigte seinen Verdacht: Umgerechnet 2,8 Promille zeigte das Gerät an. Der Richter erließ einen Haftbefehl, weil er dies für eine ordnungsgemäße Durchführung einer Verhandlung für geboten ansah. Ließe er den Angeklagten jetzt nämlich nach Hause gehen, würde dieser beim nächsten Prozesstermin ganz sicher wieder betrunken erscheinen: „Sie gehen jetzt erst mal nach Stammheim, und wir sehen uns in zwei Wochen wieder.“ Damit war auch der Angeklagte im Prinzip einverstanden. Nur eine Einschränkung hatte er: „Kannst du noch umbuchen? Asperg wäre mir lieber.“