Das Amtsgericht Böblingen lässt Milde walten und verhängt gegen eine 25jährige Prostituierte eine Bewährungsstrafe.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Die Angeklagte erwartet das Urteil weinend. Ihr Freund steht im polizeilich angeordneten Abstand von einem Meter vor ihr. Dass es für Tränen keinen Grund gibt, eher im Gegenteil, steht schon fest, bevor der Richter Werner Kömpf den Schuldspruch des Schöffengerichts verliest. Die Angeklagte wird den Gerichtssaal als freie Frau verlassen. Sie kam als Gefangene aus Untersuchungshaft. Selbst der Staatsanwalt will die 25-Jährige nicht zurück ins Gefängnis schicken. Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautet sein Antrag. Was für den Vorwurf des Drogenhandels ausgesprochen milde ist. Diese Milde ist verknüpft mit dem Mann, der vor der Angeklagten wartet.

 

Die Frau hat das Verbrechen gestanden. Alles andere wäre ohnehin zwecklos gewesen. Ihre Schuld ist derart zweifelsfrei erwiesen, dass Kömpf auf die Vernehmung von vier der sechs geladenen Zeugen verzichtet. Zu ihnen zählt auch der Lebensgefährte der Angeklagten und einer seiner Freunde. Gegen die beiden ermittelt die Staatsanwaltschaft gesondert, ebenfalls wegen Rauschgiftdelikten.

Eine Nachbarin beschwerte sich über Marihuanageruch

Eine Frau hatte bei der Polizei in Sindelfingen angerufen. In ihrem Hausflur rieche es dauerhaft nach Marihuana. Sie wollte wissen, ob dagegen etwas zu unternehmen sei. So sagte es eine Ermittlerin aus. Der Anruf genügte. Zivilpolizisten beobachteten die Wohnung am östlichen Rand Sindelfingens. Sie verhafteten und durchsuchten zwei Männer, eben den Lebensgefährten der Angeklagten und seinen Freund.

Sie fanden Kokain, allerdings nur wenige Gramm. Der große Fund folgte später beim Blick in die Handtasche der Angeklagten: 63 Gramm Marihuana und 124 Gramm Kokain. Einem gutachterlich gemittelten Durchschnittskokser reichen 124 Gramm für exakt 1384 Drogenkicks. Juristisch gilt damit der Eigenkonsum als ausgeschlossen, die Absicht des Handels als erwiesen. Dies in diesem Fall, obwohl kein Handel nachgewiesen werden konnte. Kömpf wird es in seinem Urteilsspruch nachher so formulieren: „Wir haben hier schon für weniger Kokain höhere Strafen verhängt.“

Die Angeklagte arbeitete als Wochenend-Prostituierte

Vor fünf Jahren kam die Angeklagte aus Rumänien in die Bundesrepublik. In ihrer Heimat hat sie die Schule mit dem Abitur beendet und nach einer Zusatzausbildung gekellnert. Zuerst lebte sie in Ulm, später in Sindelfingen. Seit sie einwanderte „hat sie in Deutschland gearbeitet und Steuern gezahlt“. So macht es der Verteidiger Markus Bessler für seine Mandantin geltend. Gesetzlich ist ihr Beruf anerkannt, gesellschaftlich eher angezweifelt: Die junge Frau arbeitete bis zu ihrer Verhaftung als Prostituierte. Nach ihrem Umzug nach Sindelfingen mietete sie sich jedes Wochenende ein Zimmer im Böblinger Club Sakura. Um die 5000 Euro monatlich habe sie als Teilzeitprostutierte eingenommen, sagt sie. Ein eigenes Bankkonto habe sie nicht gehabt. Der Kokainkonsum ist unter Dirnen weit verbreitet. Auch bei ihr sei „die Arbeit“ der Grund gewesen, dass sie zum Pulver griff, allerdings selten.

Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautet das Urteil, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, plus 100 Stunden gemeinnützige Arbeit, abzuleisten binnen eines Jahres. Der Verteidiger hatte sich ein Jahr und acht Monate erhofft. Nach ihrer Verhaftung hatte die 25-Jährige ausgesagt, das Rauschgift gehöre ihr nicht. Kömpf und den zwei Schöffen scheint diese Aussage glaubhaft. „Man hat das Gefühl, dass die Angeklagte eine untergeordnete Rolle spielt“, sagt der Richter, „aber sie hatte die Drogen in ihrer Tasche und wusste, dass sie nicht zum Eigenkonsum bestimmt waren“.

Die juristische Argumentation für die milde Strafe fußt aber nicht auf Gefühlen. Die Angeklagte ist nicht vorbestraft. Sie hat in vier Monaten Untersuchungshaft das Gefängnisleben kennengelernt. Dass sie in Kursen ihr Deutsch verbessern und sich eine andere Arbeit suchen wolle, scheint dem Gericht glaubhaft. „Diese Chance soll sie bekommen“, sagt Kömpf.