Monika und Ralf Wiese leben seit 20 Jahren in einem kleinen Häuschen, das direkt an die Waiblinger Stadtmauer angebaut ist. Den Hauseingang erreicht man über den mittelalterlichen Wehrgang auf dem Wall.

Waiblingen - Liebe auf den ersten Blick ist es keine gewesen – zumindest nicht für Monika Wiese. „Das mit dem Mauergang war schon unheimlich“, erinnert sich die 51-Jährige an ihren ersten Eindruck, als sie den damals völlig im Dunkel des Waiblinger Wehrgangs liegenden Eingang des Häuschens Bädertörle 5/1 sah. Heute will die Wahl-Waiblingerin aus Nordrhein-Westfalen gar nicht mehr von der Stadtmauer weg. „Wenn wir das Häuschen nicht hätten, wären wir nicht mehr hier.“

 

Der Heimweg wird zum Gang durch die Geschichte

1997 sind die Wieses aus beruflichen Gründen an die Rems gezogen. Während sie heute noch in einem Waiblinger Sanitätsfachhandel arbeitet, nimmt ihr Mann Ralf inzwischen täglich einen sehr langen Arbeitsweg in Kauf, nur um in der Stauferstadt bleiben zu können. Der 56-jährige Produktentwickler ist seit zehn Jahren in Frankfurt am Main tätig. „Wenn ich nach der Arbeit vom Bahnhof nach Hause und den Wehrgang entlang gehe, dann ist das, als durchliefe ich ein Stück weit die Geschichte“, schwärmt er. Seine Frau schmunzelt: „Er wollte immer schon gern auf einer Burg leben.“ Eine Festung ist das Häuschen der Wieses, eingeklemmt zwischen Rems und Stadtmauer, nicht gerade, doch ein gewisses Mittelalterflair durch seine Eingangssituation kann man ihm sicherlich nicht absprechen.

1,40 Meter misst die Stadtmauer im Durchmesser, die ursprünglich zugleich auch eine der Außenseiten des Gebäudes war. Inzwischen haben die Wieses eine zusätzliche Hauswand eingezogen, was aber nur einer von vielen Umbauten ist. „Eigentlich haben wir permanent eine Baustelle im Haus“, meint Monika Wiese. Der wöchentliche Baumarktbesuch sei schon fast obligatorisch. „Ein Handwerker war bei uns aber noch nie im Haus“, betont Ralf Wiese, der lieber selbst Hand anlegt. Davon zeugt der beleuchtete Wasserhahn, der je nach Temperatur die Lichtfarbe wechselt, ebenso wie die in eine Wand eingelassene Vitrine, in welcher der Heimwerker seine Modelleisenbahnsammlung zur Schau stellt, oder die Beleuchtung der Wendeltreppe, die in den Handlauf integriert ist.

Die Wohnfläche umfasst lediglich 100 Quadratmeter

Kreativität ist auch nötig in dem nur 100 Quadratmeter großen Häuschen, in dem auch nach dem Auszug der beiden erwachsenen Kinder platzsparende Lösungen gefragt sind. So wurden die Fahrräder über den Winter kurzerhand mangels anderer Abstellmöglichkeiten im Gewächshaus untergebracht. „Bisher konnten wir sie bei Nachbarn unterbringen“, erzählt Monika Wiese. Aber seit das Nachbarhaus abgerissen sei und die Fläche neu bebaut, gehe das nicht mehr. Eine Dauerlösung könne das aber nicht sein. Schließlich sollten im Frühjahr wieder Tomaten ins Gewächshaus einziehen, erklärt die passionierte Hobbygärtnerin mit Blick auf ihren Mann, der nickt. Der Heimwerker Ralf Wiese hat das Bauprojekt schon auf seiner Agenda.

Doch so klein das Eigenheim der Wieses ist, so gemütlich wirkt es auch. Liebevoll haben sie es eingerichtet. An den Wänden hängen Fotos der sieben Monate alten Enkelin neben historischen Aufnahmen des 1892 errichteten Hauses, das einst eine Gerberei war. Als Besucher merkt man sofort: Da wohnt jemand nicht nur, sondern lebt in und mit seinem Haus. „Für mich ist es wie ein Ruhepol“, sagt Monika Wiese.

Der Fluss ist eine natürliche Grundstücksgrenze

Ralf Wiese findet die Lage direkt an der Rems reizvoll. „Das gefällt mir“, gerät er wiederum ins Schwärmen, während seine Frau pragmatisch feststellt: „Und es gibt auch keine Schnaken, weil es ja ein fließendes Gewässer ist.“ Ein weiterer Pluspunkt der nassen Grundstücksbegrenzung: Sie hielt Jagdhund Charly, der 14 Jahre lang Wieses Hauswächter war, von unerlaubten Ausflügen ab. „Denn er war zum Glück wasserscheu“, erzählt Monika Wiese.

Und dann müssen die beiden ihrem Besuch von der Zeitung noch unbedingt etwas im Garten zeigen: ihre „Bananenplantage“. Vergangenes Jahr sei die Staude bei einem Sturm samt Topf die Uferböschung hinuntergefallen. „Da wir sie nicht mehr rausbekamen, ließen wir sie da unten stehen“, berichten Wieses. Inzwischen hat sie nicht nur den Winter überstanden, sondern sich auch zu einer kräftigen Pflanze entwickelt und sogar Früchte angesetzt. Noch etwas, das ihr Haus besonders mache, finden die beiden: Denn wer habe schon eine eigene Bananenplantage im Garten?