Mit einem Schlag hat der US-Präsident Obama seinen Gegnern einen zentralen Angriffspunkt weggenommen. Aber lange wird er davon nicht profitieren können.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - „Wir werden Osama bin Laden erwischen – tot oder lebendig“. Das hat nach dem 11. September 2001 der republikanische Präsident George W. Bush feierlich geschworen - ein Politiker, der immer das Image des konsequent für Gerechtigkeit sorgenden amerikanischen Sheriffs gepflegt hat. Doch es ist der vermeintlich zaudernde Elitejurist Barack Obama, der nun das Ergebnis einer verbissenen Jagd einfährt, die seit dem 11. September 2001 den US-Sicherheitsapparat dominiert hat.

 

Auch wenn es die Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen hat: Obama hat die Grenzen des amerikanischen Rechtsstaates manchmal noch elastischer interpretiert als sein Vorgänger. Er hat etwa die gezielte Tötung von US-Bürgern im Ausland erlaubt, die als Terrorverdächtige gelten. Er hat dem CIA mit einer Flotte von unbemannten Flugzeugen Präzisionswaffen in die Hand gegeben, wie sie in der Geschichte des Geheimdienstes ihresgleichen suchen. Und der US-Präsident hat jetzt eine hochriskante Aktion genehmigt, bei der amerikanische Soldaten ins Herzland eines Verbündeten vorgedrungen sind, um kurzen Prozess mit dem Mann zu machen, der in den USA so verhasst ist wie Adolf Hitler.

Kein zivilisierter Mensch wird dem brutalen Fanatiker Osama bin Laden eine Träne nachweinen. „Das amerikanische Volk hat sich diesen Kampf nicht ausgesucht“, sagte Obama – zu Recht. Für ihn ist der Tod des amerikanischen Erzfeindes ein persönlicher Triumph. Er hat sicher nicht vergessen, wie gehässig beispielsweise George W. Bush ehemaliger Vize Dick Cheney ihn über Monate als US-Präsidenten geißelte, der schwächliche Moral über die Sicherheit der Amerikaner stelle. Nach jedem Anschlag oder Anschlagsversuch versuchte die politische Rechte, dies Obama anzukreiden. Ein Fehlschlag der Kommandoaktion wäre für ihn genauso zur politischen Katastrophe geworden - wie der unter dem demokratischen Präsidenten Jimmy Carter im Jahr 1980 kläglich gescheiterte Versuch, die damaligen amerikanischen Geiseln in der Teheraner Botschaft zu befreien.

US-Elite musste einen Hubschrauber zurücklassen

Wie knapp die Sache wirklich ausging, wird die Öffentlichkeit nicht so schnell erfahren. Dass die US-Eliteeinheiten einen Hubschrauber brennend zurücklassen mussten, legt nahe, dass der Grat zwischen Erfolg und Scheitern wohl nur schmal war. Eine Entscheidung, wie sie Obama gefällt hat, braucht Mut. Und selbst Republikaner kamen in der Nacht des Triumphs nicht umhin, Obama für diese Courage zu loben. Mit einem Schlag hat der US-Präsident seinen Gegnern einen zentralen Angriffspunkt weggenommen. Selbst wenn es der geschwächten Terrororganisation Al-Qaida gelingen sollte, sich mit Attentaten zu rächen, ist dem Präsidenten dieser Erfolg nicht mehr zu nehmen.

Der Moment der Euphorie wird aber nicht allzu lange andauern. Selbst nach dem Schock des 11. September 2001 ist die nationale Geschlossenheit in den USA schnell wieder zerbrochen. Die Vereinigten Staaten haben mit dem Tod von Osama bin Laden einen enormen psychologischen Sieg errungen – eine Rückkehr zu unschuldigeren, vermeintlich sicheren Zeiten bedeutet das nicht. Osama bin Laden war schon lange nicht mehr der große Drahtzieher, zu dem ihn in den USA unermüdlich stilisierten. Der rücksichtslose Terror, den Al-Qaida etwa im Irak auch gegen Muslime richtete, hat die Organisation mindestens so geschwächt wie die amerikanischen Militärkampagnen.

Ob die USA dennoch die Zielscheibe für frustrierte und zornige Muslime bleiben, entscheidet sich eher daran, ob sie die demokratischen Revolutionen in der arabischen Welt wirksam unterstützen, oder ob Obama seine Passivität bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts überwindet. Der Tod einer Galionsfigur bedeutet nicht, dass die Wurzeln des Terrors trocken liegen. Jenseits von versöhnlichen Reden über den Islam hat Obama hier schon lange keine klaren Akzente mehr gesetzt.

Je mehr ihm offenbar die Last der Verantwortung für die Sicherheit seines Landes bewusst geworden ist, und je mehr Geheimdienstinformationen über potenzielle Bedrohungen auf seinem Tisch landeten, umso mehr setzte er auf die traditionellen Instrumente der amerikanischen Sicherheitspolitik - auf Geheimdienst und Militär. Seine Entscheidung das Gefangenenlager auf Guantanamo weiterzubetreiben, ist für diese Kehrwende das markanteste Beispiel. Doch vor allem außerhalb der USA wird ihm das auf Dauer nur nachgesehen, wenn er nicht nur als knallharter amerikanischer Polizist auftritt. Obama sollte nach dem Triumph über Osama seinen Spielraum nutzen, um nicht nur militärische Risiken einzugehen, sondern auch das Wagnis, das da Rechtsstaat heißt.