Andreas Dorau ist ein Meister des ironisch vorgetragenen Schlagers. Bei seinem Auftritt im Merlin in Stuttgart bringt er die Menge zum Tanzen – mit seichten Songs und Texten wie „Fli Fli, Fla Fla, Flaschenpfand“.

Stuttgart - Kaum jemand in Deutschland kennt das Geheimnis guter Popmusik besser als Andreas Dorau. Spätestens am Ende des gut eineinhalbstündigen Konzerts im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin zweifelt daran keiner mehr. „Hier geht es um Musik, auch wenn dir das nicht liegt“, singt Dorau mit der durchdringenden Stimme des ewigen Knaben in „So ist das nun mal“, einem seiner bekannteren Songs der 1990er. Er stellt gleich klar, dass er nicht den einfachen Weg geht.

 

Denn statt einer nostalgischen NDW-Revue erwartet die Zuschauer ein mitreißendes Konzert, eines 50-Jährigen, der sich vom lästigen Image des Kinderstars der Achtziger emanzipiert hat und die Avantgarde deutschsprachiger Popmusik bis heute eindrucksvoll verkörpert. Der Verzicht auf den mit 15 in einem Schulprojekt geschriebenen Überhit „Fred vom Jupiter“ erklärt sich dabei von selbst, obwohl Dorau „nichts gegen das Stück“ habe, wie er vor kurzem auf Spiegel Online erklärte. Vielmehr könne er „die Aura des NDW-Teenagerhits“ nicht ausstehen.

Das ist nur verständlich – zumal sich Dorau mit dadaistischer Lyrik und experimentellen Sounds schon 1981 klar vom Zeitgeist abhob. „Dorau war praktisch die Alternative zur Alternative zur Alternative“, bemerkt der einstige Superpunk-Sänger Carsten Friedrichs 2012 in den Liner-Notes der Neuauflage des Debütalbums „Blumen und Narzissen“.

Der Bodensatz der NDW

Friedrichs, der mit seiner aktuellen Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen auch die Musik für die jüngste Veröffentlichung des Hamburgers einspielte, ist die Abgrenzung vom Bodensatz der Neuen Deutschen Welle wichtig. Gerade auf dem Anfang 2014 erschienenen Album „Aus der Bibliothèque“ spielt die Mod-Band vom Northern Soul infizierten Beat. Doraus Album zeigt, dass er nicht nur ein Händchen für unwiderstehliche Melodien hat, sondern auch ein ironischer Texter erster Güte ist.

Auf dem gerade als Single erschienenen „Löwe“ trägt Dorau ein kariertes Hemd und demonstriert nonchalantsein Können. Das Zusammenspiel von Strophe und Refrain ist seit jeher sein Trumpf, der live ausgespielt nicht nur das anwesende Schlagerpublikum, sondern auch den kritischen Indie-Jünger und selbst den Schlagzeuger einer bekannten Stuttgarter Noise-Punk-Band begeistert.

Dorau beschimpft Fotografen

Als nicht ganz einfacher Zeitgenosse und mitunter streitbar gefürchtet, ist Dorau trotz aller Glückseligkeit immer wieder für den ein oder anderen Aussetzer gut. So wird ein Fotograf während des ersten Songs gebeten, „mit dem Scheiß“ aufzuhören, einen anderen knurrt Dorau von der Bühne an. Eine mögliche Begründung lieferte er vor wenigen Monaten selbst in einem Interview. „Der Hass hat mit den Jahren nicht abgenommen. Ich mag Hass. Hass und Neid sind doch schöne, intensive Gefühle. Ich lebe meinen Hass sogar aus.“

Nichtsdestotrotz läuft die Stimmung zu keinem Punkt Gefahr, zu kippen. Das liegt zum einem an der Güte der Stücke, zum anderen aber auch am lausbubenhaften Charisma des Sänger und am Spiel seiner langjährigen Mitstreiter Matthias Strzoda (Schlagzeug) und – für die elektronischen Zwischenspiele und Samples zuständig – Tim Lorenz. Gerade Strzoda, bekannt durch seine Mitwirkung in zahllosen wichtigen Projekten der Hamburger Schule von Bernd Begemanns Band Die Antwort bis hin zu Studio Braun, kann mit einer Soloperformance überzeugen.

Der Hit: „Flaschenpfand“

Dass Dorau in seinem 20 Songs starkem Set auch B-Seiten und wahrlich Unbekanntes spielt, unterstreicht den künstlerischen Anspruch und auch die Bedeutung seines musikalischen Werks. Schließlich sind Nummern wie „Die Schande kommt“ von 1992 oder auch „Stubenmädchen“ aus jener Zeit, als Die Doraus und Die Marinas echte Perlen schrieben. „Das Telefon sagt Du“ zählt dazu und auch der Song „Girls in Love“. Der war gar ein Hit in Frankreich.

Unumstrittenes Highlight des Abends ist der Song „Flaschenpfand“ mit eingängig kindlichem Refrain und Sozialkritik. Die erste Single des aktuellen Albums ist ein starkes Statement und ein wunderschöner Song. Andreas Dorau belegt damit, dass soziale Themen und Pop vereint werden können, ohne pathetisch zu sein. Dorau ist ein progressiver Vordenker geblieben, wie es sie im Pop selten gibt.

Als die Zuschauer nach zwei Zugabenblöcken à zwei Songs inklusive „Nordsee“ den Refrain einfach immer weitersingen („Halleluja, die Blaumeisen sind da“), kehrt Dorau noch einmal auf die Bühne zurück. Zuvor musste er stets die Texte aus einem Aktenordner mitlesen. Jetzt spielt er aus dem Gedächtnis „September“, da er auf „Fred vom Jupiter“ keine Lust habe und der Song „Komm wieder" als Zugabe zu kurz sei. Die gut hundert Zuschauer im Merlin sind zufrieden und Andreas Dorau kann sich seiner Bedeutung auch 2014 noch sicher sein.

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