Die Werkrealschule bietet sich für langsamere und vor allem praktisch orientierte Kinder an. Die Schüler erhalten hier mehr Zeit zum Lernen. Außerdem können ihre Schwächen besser aufgefangen werden.

Stuttgart - Welche Kinder in der Werkrealschule am besten aufgehoben sind? Da muss Renate Schlüter nicht lange nachdenken. Vor allen Dingen, sagt die Geschäftsführende Schulleiterin der Stuttgarter Grund- und Werkrealschulen, seien hier Kinder richtig, „die darauf angewiesen sind, dass sie mit Kopf, Herz und Hand lernen können“. In dieser Schulart werde der Lernstoff „in kleineren Portionen serviert“. Dafür erhalten die Kinder hier mehr Zeit zum Lernen, aber auch für Übungen, um den Lernstoff zu festigen.

 

Dass immer weniger Schüler die Werkrealschule wählen, wird aus Schlüters Sicht der Bedeutung, aber auch den Chancen, die diese Schulart ihren Schülern biete, nicht gerecht. So machten, bei entsprechender Förderung, sogar diejenigen Kinder „oft ganz schnell Fortschritte, an denen die Grundschule ziemlich vorbeigegangen ist“. Oft fehlten ihnen die Grundfertigkeiten wie etwa das sichere Lesen und Schreiben.

Doch das bringt eine Pädagogin wie Schlüter nicht aus der Ruhe: „Ich sag immer, Autofahren lernt man durch Autofahren, Lesen durch Lesen und Schreiben durch Schreiben.“ Doch als erstes gehe es darum, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: „Was ich nicht gut kann, vermeide ich – und dann lern ich’s auch nicht.“ In der Werkrealschule könnten die Schwächen der Schüler besser aufgefangen werden, weiß Schlüter – durch praktische Teile, aber auch durch das Mündliche.

Kompetenztraining ist fester Bestandteil der zehnten Klasse

Die Stärke der Werkrealschule liege in ihren Fächerverbünden, wo die praktische Arbeit und lebensnahes Lernen im Vordergrund stehen. „Die Werkrealschule bereitet die Schüler intensiv aufs Berufsleben vor“, sagt Schlüter. Es gebe viele Praktikumstage und ein sehr intensives Bewerbungstraining.

Und diese Schulart biete noch weitere Vorteile: „In keiner anderen kann man einen Mathe-Fünfer mit einer Sport-Zwei ausgleichen“, hebt die Schulleiterin hervor. Zudem sei es „wirklich schwierig, in einer Hauptschule sitzenzubleiben“. Ganz bewusst benutzt Schlüter den alten Namen, denn „von unten rauf“ sei es ja nach wie vor eine Hauptschule samt dem Abschluss namens Hauptschulprüfung, erst im zehnten Schuljahr werde diese dann zur Werkrealschule. Fester Bestandteil der zehnten Klasse sei das Kompetenztraining. Dabei lernen die Schüler neben Kommunikation und Präsentation auch den Umgang mit Erfolg und Misserfolg, absolvieren einen Benimmkurs, trainieren ihr Durchhaltevermögen und Zeitmanagement, aber auch ihre Konzentrations- und Konfliktfähigkeit sowie Medienkompetenz und Ordentlichkeit.

Das wünschen sich sicher viele Eltern für ihre Kinder. Weshalb aber ist die Werkrealschule trotzdem so wenig beliebt? „Es ist die Wertigkeit in der Gesellschaft“, sagt Schlüter. „Unsere Schüler sagen oft: Wir sind ja doch die Verlierer – weshalb sollen wir uns überhaupt anstrengen?“ Und was antwortet ihnen die Pädagogin? „In dir steckt so viel“, sagt Schlüter dann. Und: „Du bist ein wertvolles Mitglied.“

Werkrealschule kann manchem Kind viel Druck nehmen

Auch Schüler aus der Realschule landen immer wieder in der Elise-von-König-Schule. So sei zum Beispiel ein 15-Jähriger gekommen, der in der siebten Klasse der Realschule sitzen geblieben sei – allerdings zum zweiten Mal. Sie habe ihn in die achte Klasse probeversetzt, berichtet Schlüter. Mit guten Erfolgen – „aber er kämpft immer noch gegen die Vermeidungshaltung: Wenn ich was nicht mache, kann ich auch nicht versagen.“ An der Werkrealschule hingegen kann er erfahren: Wenn ich was langsam mache und immer wieder übe, dann kann ich es auch hinkriegen. Und dieser Erfolg bringt ihn weiter. Auch wenn der Schüler das zunächst nicht ahnt.

Für Renate Schlüter steht jedenfalls fest: „Wir brauchen die Werkrealschule – und auch eine Pädagogik für diese Kinder.“ Auch wenn das Wahlverhalten der Eltern zur Folge hat, dass in Stuttgart mehr als die Hälfte der 32 Werkrealschulen in städtischer Trägerschaft auf der Streichliste stehen. Das Stigma, das den Haupt- und Werkrealschulen auch nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung anhaftet, steht allerdings in merkwürdigem Widerspruch zur engagierten Arbeit der Pädagogen dieser Schulart. Doch auch bundesweite Auszeichnungen, wie sie etwa die Filderschule, die Fasanenhofschule und die Rosensteinschule erhalten haben, konnten und können das Ausbluten nicht verhindern.

Dabei scheinen Familien immer wieder zu verkennen, dass gerade die Haupt- oder Werkrealschule manchem Kind viel Druck nehmen könnte. Die Gemeinschaftsschule könnte ein Ausweg sein. Doch das Konzept dafür wird erst noch entwickelt. Und die Resonanz in Stuttgart ist bisher eher verhalten. Eine einzige Schule startet im nächsten Schuljahr.