Während Unionspolitiker noch die Grünen loben, empfängt Merkel bereits ihren wahrscheinlichen Koalitionspartner – den SPD-Vorsitzenden.

Berlin - An Schwarz-Grün glauben jetzt offenbar nur noch einige Schwarze. Der letzte Fürsprecher eines solchen Experiments auf grüner Seite, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, äußerte sich nach den Erfahrungen aus der Sondierungsrunde am Donnerstagabend und den internen Gesprächen danach äußerst pessimistisch. „Ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu Schwarz-Grün kommt“, sagte Kretschmann am Freitag in Berlin. Ein Bündnis mit der Union „stößt in unseren Reihen auf außergewöhnlich große Vorbehalte.“ Die Grünen müssten sich nach ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl erst neu sortieren. „Wir sind jetzt nicht gerade gut aufgestellt für ein solches Projekt“, sagte der Regierungschef.

 

Dennoch gab es Komplimente für die Partei der Kanzlerin. Wie freundlich, fair und sachlich die Sondierung verlaufen sei, hatten sämtliche Mitglieder der Grünen-Delegation schon unmittelbar nach dem Treffen betont. Am Morgen danach wurde deutlich, dass diese Bekundungen keineswegs nur Höflichkeitsfloskeln waren.

Im Gegenteil: die Grünen waren schwer beeindruckt, wie professionell und ernsthaft das Gespräch von Seiten der Union geführt worden war – und zwar vor allem von jenen Ministerpräsidenten, denen ihr bisheriger Koalitionspartner FDP entweder schon abhanden gekommen ist oder Gefahr läuft, bei der nächsten Landtagswahl zu verschwinden. So ist im grünen Lager der Eindruck entstanden, dass zwar die bayerische CSU große Vorbehalte gegen Schwarz-Grün pflegt – dass aber die CDU bis hin zur Vorsitzenden Angela Merkel größten Wert auf eine „Brücke zu uns“ legt, wie es in Parteikreisen heißt. Wenn am kommenden Dienstag die zweite Sondierungsrunde vorüber ist, wollen die Grünen entscheiden, ob sie einer Koalition mit der Union eine Chance geben – ob es also zu offiziellen Koalitionsverhandlungen kommt. Und bis dahin, so die interne Verabredung, werde man keine Zwischenbilanz ziehen.

Merkels Stellvertreter zeigen viel Sympathie für die Grünen

Ungeachtet aller Freundlichkeiten ist die Skepsis groß. Auf Bundesebene und im Jahr 2013 werde es aller Voraussicht nach nichts mit einer schwarz-grünen Koalition. Aber an einem anderen Ort und zu einem anderen Zeitpunkt sei die Chance dafür gewachsen. Dafür spreche die gute Atmosphäre der ersten Sondierungsrunde und der ernsthafte Dialog, den es über schwierige und zwischen beiden Parteien umstrittene Sachfragen wie die Energiewende gegeben habe. Auch im Adenauerhaus herrscht Skepsis vor. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verweist auf „erhebliche Unterschiede“ zwischen Union und Grünen. So sei man sich im Ziel der Energiewende zwar einig. „Aber da ist doch die Frage: Wie verbinden wir das mit der Notwendigkeit, wettbewerbsfähiger Industriestandort zu sein?“ Gröhe räumt ein, dass es zur SPD wegen der gemeinsamen Regierungserfahrung eine besondere Nähe gebe. Führende CDU-Politiker wie die stellvertretenden Parteivorsitzenden Julia Klöckner, Thomas Strobl, Armin Laschet und Volker Bouffier halten Schwarz-Grün aber nach wie vor für eine realistische Option. Laschet sieht „gewichtige Argumente“ für ein Bündnis mit den Grünen. Selbst die Flüchtlingspolitik, ein heikles Thema, was den Grünen besonders wichtig ist, sei „nicht ein wirklicher Knackpunkt“. Klöckner sagte, ein schwarz-grünes Regierungsbündnis sei unter Umständen stabiler als eine große Koalition. Die in diesem Punkt gleichgesinnten CDU-Vizes haben allesamt wegen ihrer jeweiligen landespolitischen Machtperspektiven Interesse an einem guten Draht zu den Grünen.

Selbst CSU-Chef Horst Seehofer habe bei dem Sondierungstreffen „nett und ernsthaft“ mit den Grünen gesprochen, berichtet einer, den dies wegen Seehofers Rüpeleien in den Wochen zuvor sehr verwundert hat. Der bayerische Ministerpräsident habe die Verhandlungen, denen er eigentlich fern bleiben wollte, mit „fast schon provozierender Ruhe und Gelassenheit“ überstanden. Komplimente erntete aus Unionskreisen vor allem der gescheiterte grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Er habe sich sehr professionell und sachdienlich verhalten. Einige waren regelrecht beeindruckt von der Souveränität, dem Expertenwissen und der taktischen Klugheit, die Trittin an den Tag gelegt habe. Aus dem Raum „Berlin“ der Parlamentarischen Gesellschaft, wo die schwarz-grüne Tafelrunde sich traf, seien sogar „immer mal wieder Lacher“ zu hören gewesen, so berichtete ein Ohrenzeuge.

Spätestens am 22. Oktober soll Klarheit herrschen

Während führende Unionisten noch die Grünen lobten, empfing ihre Chefin Angela Merkel schon die entscheidenden Herren einer möglichen Großen Koalition im Kanzleramt. Am Freitag um die Mittagszeit fuhren Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Regierungszentrale vor. Gabriels Generalsekretärin Andrea Nahles hatte am Montag noch geleugnet, dass ein solches Treffen stattfinden würde. Dabei hatte ihr Chef es selbst vorgeschlagen. Offiziell verlautete nichts über das Tete-a-Tete bei Merkel. Das Trio bereitete die zweite schwarz-rote Sondierungsrunde am Montag vor. Dann bleibt nämlich nicht viel Zeit, um binnen weniger Stunden die vielen offenen Fragen zu klären, die bisher noch gar nicht angesprochen sind, und Hindernisse auf dem Weg zu einer großen Koalition beiseite zu räumen.

Aus Unionskreisen wurde wiederholt erklärt, dass nach der zweiten Sondierungsrunde eine Entscheidung fallen soll, wer mit Merkel künftig regieren wird. Inzwischen wird aber auch nicht mehr ausgeschlossen, dass es nach dem Termin mit den Grünen am Dienstag noch zu einer weiteren, finalen Runde mit der SPD kommen könnte. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe versicherte aber, dass die Koalitionsfrage spätestens bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestags beantwortet sein werde. Die ist am 22. Oktober. Am Wochenende zuvor tagen bereits die Parteigremien von Grünen und SPD.

Wenn die Wähler entscheiden dürften, wer Deutschland regieren soll, dann wäre die Koalitionsfrage eindeutig geklärt. Das zeigt eine weitere aktuelle Umfrage. Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich demnach ein Bündnis der Volksparteien. Im „ARD-Deutschlandtrend“, dessen Ergebnisse am Freitag veröffentlicht wurden, erklärten 66 Prozent der Befragten, sie fänden eine Regierung aus Union und SPD gut oder sehr gut. Über Schwarz-Grün urteilten lediglich 37 Prozent in diesem Sinne.