Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi ist ein liberaler Kopf und scheut auch vor Kritik an den muslimischen Dachverbänden in Deutschland nicht zurück. Das aber gefällt nicht jedem. Jetzt fühlt sich Ourghi von einem Funktionär der türkischen Organisation Ditib bedroht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Prominentestes Opfer einer Fatwa ist der Schriftsteller Salman Rushdie. 1989 hat der iranische Ayatollah Khomeini dessen „Satanische Verse“ als Gotteslästerung verdammt. Rushdie war gezwungen, jahrelang im Untergrund zu leben. Noch heute ist ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt: vier Millionen Dollar.

 

So dramatisch ist der Fall von Abdel-Hakim Ourghi nicht. Der Mann ist nicht so bekannt wie der indische Dichter. Es gibt kein Kopfgeld und bisher auch keinen Ayatollah, der den kritischen Islamwissenschaftler bedroht. Gleichwohl fühlt Ourghi, der an der Pädagogischen Hochschule Freiburg die Abteilung Islamische Religionspädagogik leitet, sich durch eine Art Fatwa (ein muslimisches Rechtsgutachten) eingeschüchtert – und möglicherweise im Visier islamistischer Hitzköpfe.

Ditib fühlt sich „mit großer Leidenschaft attackiert“

Die Bedrohung, der er sich ausgesetzt sieht, ist so verklausuliert, dass nur Kenner der Geschichte dieser Religion und der Debatten im muslimischen Milieu sie verstehen können. Als solcher hat Ourghi sich in den Medien einen Namen gemacht. Und das gefällt vielen seiner Glaubensgenossen nicht. Ourghi ist ein liberaler Kopf, Kritiker der muslimischen Dachverbände in Deutschland, denen er anlastet, sie verträten allesamt einen konservativen Islam und seien „unserem Staat nicht loyal gegenüber“, so rügte er unlängst in der Stuttgarter Zeitung.

Damit hat er sich in einschlägigen Kreisen keine Freunde gemacht. Welcher Ärger zum Beispiel beim mächtigsten der kritisierten Verbänden herrscht, lässt sich in einem Blog von Murat Kayman nachlesen. Kayman ist Koordinator der Landesverbände von Ditib, welche die türkisch-islamische Religionsbehörde in Deutschland vertritt. Für ihn ist Ourghi nur ein Experte in Anführungszeichen. Er spekuliert darüber, weshalb der 48-jährige gebürtige Algerier „mit großer Leidenschaft alle etablierten Verbände des Mainstream-Islam attackiert“, zuletzt am Mittwoch in der StZ. Kayman ordnet den unliebsamen Hochschullehrer einer von Sunniten und Schiiten gleichermaßen geschmähten Strömung des Islam zu. Für ihn „liegt die Vermutung nahe, dass Ourghi der Glaubensgemeinschaft der Ibaditen angehört“. Dadurch sieht sich der Freiburger Dozent „gezielt diffamiert in einer Weise, die mich in Lebensgefahr bringt und bringen soll“. Kaymans Blog-Beitrag sei „praktisch eine Fatwa“ – ausgesprochen mit der „Intention, zu meiner Ermordung zu ermuntern“.

„Anstiftung zur Gewalt“ gegen einen Kritiker?

Abdel-Hakim Ourghi kommt der Ditib in die Quere. Foto: privat

Um das zu verstehen, ist wichtig zu wissen, dass manche muslimischen Gelehrten laut der Bundeszentrale für politische Bildung den Ausdruck Ibaditen gelegentlich abschätzig auf fundamentalistische Terroristen anwendeten. Ibadit sei für einen Teil der sunnitischen Muslime „ein Schimpfwort“, sagt der Tübinger Islamwissenschaftler Johann Büssow in der Zeitschrift „Focus“. „Das kann man als Anstiftung zur Gewalt lesen“, meint dessen Kollege Ralph Ghadban. Für eine Fatwa hält er die versteckte Drohung aber nicht. Dazu mangelt es dem Ditib-Funktionär Murat Kayman auch an der erforderlichen religiösen Autorität.

Die Kritik wegen angeblicher Anstiftung zur Gewalt weist Kayman weit von sich. Er schreibt darüber in seinem Blog unter dem Titel „Der ,Islamkritiker’ auf der Erbse“ und verweist darauf, dass es auch „unzählige Übergriffe und Gewalttaten gegen Ditib-Gemeinden“ gebe. Kayman führt das auf „unseriöse, dämonisierende, skandalisierende“ Anwürfe von „Hasspredigern wie Ourghi und seinen Sekundanten“ zurück. Der Dozent ist ihm und seinesgleichen wohl ein Dorn im Auge. Schließlich ist Ourghi mit der Ausbildung künftiger Lehrer betreut, die islamische Religionslehre unterrichten werden. Er kommt damit der einflussreichen Ditib in die Quere. Das Ibaditen-Gerücht gegen einen unliebsamen Kritiker wirft Fragen nach der Diskussionskultur in dieser Szene auf.