Die Eskalation im Nahen Osten, die Terrorwarnung von München und die Angriffe von Köln zeigen: Deutschland steht vor einer Bewährungsprobe. Die kann nur mit einer selbstbewussten Staatsmacht bewältigt werden, meint der StZ-Redakteur Michael Maurer.

Stuttgart - Das neue Jahr hat gerade erst begonnen, doch schon ein paar wenige Tage haben genügt, um die gewaltigen Herausforderungen, vor denen dieses Land steht, wie in einer Nussschale zu versammeln. Die Terrorwarnungen in der Silvesternacht von München, die Eskalation im Nahen Osten durch den Konflikt der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran, die in ihrer Dimension bisher unvorstellbaren Angriffe in Köln: es sind Menetekel. In diesem Jahr wird Deutschland dringender als je zuvor Antworten auf zentrale Fragen seiner Außen- und Innenpolitik geben müssen. Alle diese Fragen kreisen um einen Punkt: Wie viel sind diesem Land seine demokratische Idee, seine Überzeugungen, seine Gesellschaftsordnung wert? Mit welchem Einsatz will es diese Überzeugungen nach außen wie nach innen verteidigen?

 

In der Außenpolitik zeigen die Bundeswehreinsätze in Mali, im Nordirak oder die Tornado-Aufklärer, die seit Freitag über Syrien fliegen, dass Deutschland bereit ist, sich weiter zu engagieren. Damit wird es nicht getan sein, die zahllosen ungelösten Konflikte werden auch die Grundlinien bisheriger deutscher Außen- und Sicherheitspolitik auf eine harte Probe stellen.

Verlässlicher Staat ist gefragt

Gleichzeitig wird als Folge der weltweiten Kriege der Druck auf die Gesellschaft im Inneren weiter zunehmen. Sie muss mit der wachsenden Terrorismusgefahr umgehen. Außerdem muss sie den anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen und Zuwanderern verkraften. Das ist zu schaffen, keine Frage. Aber es ist nur dann zu schaffen, wenn es dafür eine festes Fundament gibt: nämlich einen verlässlichen und starken Staat. Die Reaktion auf die Terrorwarnungen von München hat das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden gestärkt. Die Reaktion auf die Übergriffe von Köln hat dagegen das Vertrauen in die Staatsgewalt erschüttert. Darin liegt die große Gefahr der Kölner Ereignisse. Wie groß sie ist, macht auch die schnelle und klare Reaktion der sonst oft abwartenden Bundeskanzlerin deutlich, die eine „harte Antwort des Rechtsstaates“ verlangte und von „widerwärtigen, kriminellen Taten“ sprach.

Angela Merkel weiß nur zu genau, was es für die Umsetzung ihrer Vorstellung von Flüchtlings- und Einwanderungspolitik bedeutet, wenn sich der Eindruck festsetzt, dass die bestehende Ordnung dadurch in Teilen ausgehebelt wird. Deutschland ist zu Recht stolz auf seine weitgehend offene Gesellschaft. Ihre Kraft und ihre Werte kann diese Gesellschaft aber nur in einem Rahmen entfalten, der sowohl den Gedanken des Grundgesetzes als rechtlicher Basis unserer Gesellschaftsordnung sichert als auch die Werte unserer christlich-abendländischen Tradition wie Toleranz, Gleichberechtigung oder Mitmenschlichkeit. Gibt es diesen Rahmen nicht, könnten auch viele, die die Integration von Zuwanderern grundsätzlich befürworten, umschwenken und auf Abschottung oder bloße Verteidigung setzen. Damit wären sämtliche Integrationsbemühungen gefährdet.

Respekt vor dem Wertesystem

Die Bewährungsprobe, der sich Deutschland schon durch den Zustrom von mehr als einer Million Menschen im Jahr 2015 ausgesetzt sah, hat sich durch die Ereignisse der ersten Januartage 2016 nochmals verschärft. Was nicht hilft, ist das übliche Sammelsurium aus Forderungen nach schärferen Gesetzen und populistischen Parolen. Was hilft, ist eine selbstbewusste Staatsmacht, die in ihrer Außenpolitik alles tut, um den Zustrom zu begrenzen, und in ihrer Innenpolitik die Einwanderung mit mehr Organisationskraft als bisher bewältigt sowie ihr Gewaltmonopol durchsetzt. Integration kann nur gelingen, wenn der Respekt vor unserem Wertesystem gesichert ist; eine Gesellschaft ist mehr als nur ein Sozialstaat. Das müssen die Zugewanderten wissen und akzeptieren. Darauf muss sich die etablierte Gesellschaft aber auch verlassen können. Nur so kann sie ihre Integrationsleistung erbringen.