Ankaras Geheimdienst hat den BND bei der Ausspähung von 300 Gülen-Anhängern um Amtshilfe gebeten. Wieviele in Baden-Württemberg lebende Menschen davon betroffen sind, will das Landesinnenministerium aber nicht verraten.

Berlin - Einen offiziellen Beweis gibt es noch nicht, doch die am Dienstag aufgenommenen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe kommen dem ziemlich nahe: Der türkische Geheimdienst soll in Deutschland etwa 300 Vertreter der Gülen-Bewegung ausspioniert haben, die Staatschef Recep Tayyip Erdogan als Drahtzieher hinter dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres vermutet. Niedersachsens sozialdemokratischer Innenminister Boris Pistorius bestätigte einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ sowie des West- und des Norddeutschen Rundfunks: „Es steht fest, dass der türkische Geheimdienst MIT hier in Deutschland lebende Menschen ausforscht.“

 

Um weitere Erkenntnisse über die Unterstützer des in den Vereinigten Staaten lebenden Predigers Fethullah Gülen zu erhalten, bat Ankara die deutsche Seite sogar um Amtshilfe. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar wurden Bruno Kahl, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, entsprechende Listen mit 300 Namen überreicht. Sie sollen zudem Adressen, Telefonnummern und teils heimlich geschossene Fotos enthalten.

Generalkonsul in Stuttgart bat um Hilfe

Der Bundesinnenminister kündigte an, dass diese Listen sorgfältig geprüft würden und das Bundesamt für Verfassungsschutz ohnehin ständig mögliche Verstöße gegen die Regeln für Botschaftsangehörige untersuche. „Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet“, so Thomas de Maizière: „Das gilt für jeden ausländischen Staat und auch für jeden Nachrichtendienst.“

Ein Sprecher seines Ministeriums erläuterte auf Anfrage das genaue Vorgehen in solchen Fällen: „Die Spionageabwehr in Bund und Ländern wertet derartige Listen gleichzeitig auch intensiv dahingehend aus, wie der ausländische Nachrichtendienst die übermittelten Informationen und Fotos von sich in Deutschland aufhaltenden Personen erlangt hat.“ Sollte es einen „Verdacht auf statuswidrige Aktivitäten von Mitarbeitern ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland“ geben, werde „mit Nachdruck und im Hinblick auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit nachgegangen.“ Die Karlsruher Ermittlungen ist offenbar die Konsequenz daraus.

Mit großer Sicherheit betroffen sind auch in Baden-Württemberg lebende Türken. Schon im vergangenen Juli, also kurz nach dem gescheiterten Umsturz in seiner Heimat, hatte der türkische Generalkonsul Ahmet Akinti die Landesregierung in einem Brief gebeten, rund 30 „Institutionen, Vereine und Bildungseinrichtungen und deren Tätigkeit einer erneuten Prüfung zu unterziehen“. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Stellvertreter Thomas Strobl (CDU) hatten dies damals abgelehnt – unter anderem mit Strobls Hinweis, dass „der Verfassungsschutz Baden-Württemberg kein politisches Kampfinstrument ist“.

Niedersachsen warnt Betroffene

Wie viele im Südwesten lebende Türken auf den an den BND übergebenen Listen stehen, wollte das Stuttgarter Innenministerium nicht mitteilen. Dass es entsprechende Informationen hat, geht aus den Angaben des Bundesinnenministeriums hervor. „Werden derartige Listen von ausländischen Nachrichtendiensten den Bundessicherheitsbehörden übergeben, erfolgt auch eine Beteiligung der betroffenen Landesbehörden“, so ein Sprecher: „Zum einen erfolgt eine Prüfung der vom ausländischen Nachrichtendienst erhobenen Vorwürfe, zum anderen wird die Gefährdung der in der Liste aufgeführten Personen bewertet.“ Falls nötig, würden „Maßnahmen zur Sensibilisierung oder auch dem Schutz der betroffenen Personen“ ergriffen.

Pistorius bestätigte, dass dies in Niedersachsen bereits geschehen sei. So habe der Verfassungsschutz die Betroffenen gewarnt, dass ihnen bei einer Einreise in die Türkei Repressalien drohen könnten. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutzchef Elmar May kündigte an, noch diese Woche 13 vom MIT beobachtete Personen zu informieren. Ercan Karakoyun von der in Berlin ansässigen Stiftung Dialog und Bildung, die sich als Sprachrohr der Gülen-Bewegung versteht, berichtete dagegen, dass es nach der Sicherheitskonferenz „zu keiner neuen Ansprache“ durch die deutschen Behörden gekommen sei.