Erstmals ist die Zahl der Bewerber für Gemeinschaftsschulen in Stuttgart rückläufig. Steckt Verunsicherung dahinter? Weiterhin steigende Zahlen melden hingegen Realschulen und Gymnasien. Besonders gefragt sind G9-Schulen.

Stuttgart - Während der Zulauf auf Gymnasien und Realschulen weiter steigt, ist erstmals in Stuttgart das Interesse an der jungen Schulart Gemeinschaftsschule rückläufig – das betrifft fast alle acht Standorte. Und auch landesweit sind die Anmeldungen an den Gemeinschaftsschulen gesunken. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sieht darin noch keinen Trend: „Die Gemeinschaftsschule ist immer noch eine junge Schulart im Aufbau, deshalb sollten wir solche Schwankungen nicht überbewerten.“ Sie versichert: „Die Gemeinschaftsschulen können sich drauf verlassen, dass sie wie alle anderen Schularten von der Landesregierung unterstützt und konstruktiv begleitet werden.“ Erwartbar hingegen setzt sich auch in Stuttgart der Prozess der weiter ausblutenden Werkrealschulen fort. Insgesamt verzeichnet die Landeshauptstadt zum kommenden Schuljahr dennoch steigende Schülerzahlen an den öffentlichen weiterführenden Schulen – entgegen dem landesweiten Trend. Das belegen die vorläufigen Anmeldezahlen des Regierungspräsidiums.

 

Sieben Gymnasien mussten mangels Platz Kinder abweisen

Mit Abstand die beliebteste Schulart sind die Gymnasien. Sieben der 26 Schulen sind so überlaufen, dass sie Kinder abweisen mussten. Besonders schwierig war es, einen Platz in einem der drei G9-Gymnasien zu bekommen. „Ja, es gab Tränen“, berichtet Daniel Krüger, der stellvertretende Leiter des Leibniz-Gymnasiums in Feuerbach, das komplett G9 anbietet. Doch 137 Kinder passen beim besten Willen nicht in drei Klassen, deshalb musste die Schule 50 Bewerber abweisen und ist damit stadtweit Spitzenreiter, wenn auch ungewollt. „Das ist das Allerschlimmste für einen Schulleiter“, sagt Krüger. Dieses Mal habe es nicht einmal geklappt, alle Bewerber aus Feuerbach unterzubekommen. „Jetzt sind alle Klassen bis an den Rand voll. Wir haben auch Wanderklassen“, sagt er. Doch dies scheint der Beliebtheit der Schule keinen Abbruch zu tun. Krüger betont: „Die Eltern haben keinen Rechtsanspruch auf G9.“ Das bedeutet, wer trotzdem aufs Gymnasium will, muss mit G8 und dem schnelleren Weg zum Abi sowie einem anderen Fächerprofil vorlieb nehmen. Oder gleich auf eine andere Schulart umschwenken. Das hätten manche Familien nur sehr schwer akzeptieren können.

Auch bei manchen Realschulen gibt es wegen der großen Nachfrage Engpässe. „Wir mussten 20 Bewerber abweisen“, berichtet Karin Grafmüller, die Leiterin der Fritz-Leonhardt-Realschule in Degerloch. Allerdings hatten die Degerlocher Kinder Priorität – „die kamen alle unter“. „Viele Eltern sagen, die Schule hat einen guten Ruf – das ist die beste Werbung für eine Schule“, sagt Grafmüller. Der große Zulauf zeige auch eine große Akzeptanz der Realschule – „weil sie eine Schulart ist, die auch praktische Fähigkeiten fördert und gute Anschlussmöglichkeiten bietet“. Einen weiteren Vorteil macht die Schulleiterin aus: „Unsere Schule ist nicht zwingend Ganztagsschule, sondern die Eltern können das bei Bedarf buchen.“ Der sei durchaus da, wie beispielsweise die große Nachfrage für Hausaufgabenbetreuung in den Klassenstufen fünf und sechs zeige. „Eltern sehen diese Flexibilität als Vorteil“, sagt Grafmüller.

Auch die Realschulen sind „knackevoll“

Das würde auch Barbara Koterbicki unterschreiben. Die Rektorin der Schlossrealschule ist zugleich geschäftsführende Leiterin der Sekundarstufe eins der Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen. Über die Realschulen sagt sie: „Wir sind überall knackevoll.“ Auch die Gesamtzahl der Fünftklässler steige hier weiter. Und dies, obwohl bereits drei Realschulen zu Gemeinschaftsschulen umgewandelt wurden. Der große Zulauf sei „dem neu entwickelten Konzept zuzuschreiben“, sagt Koterbicki und meint damit auch die Erhöhung der Förderstunden. Vor allem führt sie die Nachfrage auf die veränderte Bildungspolitik zurück: „Die neue Kultusministerin bekennt sich zur Realschule – das der Schulart Aufwind und das ist auch gut so.“

Die Werkrealschulen büßen einen weiteren Standort ein

Für die Werkrealschulen sei es schwierig, meint Koterbicki – „der Elternwille geht in eine andere Richtung“. Für das kommende Schuljahr wurden bisher gerade mal 162 Kinder an diese Schulart angemeldet. Nur noch an sieben Standorten wird sie vertreten sein, und nur an einem einzigen, nämlich der Bismarckschule in Feuerbach, werden noch zwei fünfte Klassen zustande kommen – bei 34 Anmeldungen. Die Wolfbuschschule hatte nur sechs Anmeldungen – dort wird keine fünfte Klasse mehr gebildet, dieser Werkrealschul-Standort läuft aus.

Ulrike Brittinger, die Leiterin des Staatlichen Schulamts, führt die erstmals rückläufigen Anmeldezahlen für die Gemeinschaftsschulen auf eine „gewisse Verunsicherung“ zurück, was die Zukunft dieser Schulart betreffe. „Viele Eltern setzen eher auf das, was sie kennen“, meint Vize-Amtschef Matthias Kaiser. Politisch stehe derzeit nicht mehr die Gemeinschaftsschule im Mittelpunkt, sondern die Realschule, zudem gebe es noch keine Bilanz dieser neuen Schulart, da es noch keine Schulabgänger gebe. Dennoch ist Brittinger davon überzeugt: „Die Gemeinschaftsschule hat ihren Platz in der Schullandschaft.“ Tatsächlich hat die Stadt noch Anträge von drei weiteren Schulen in der Pipeline, die Gemeinschaftsschule werden möchten. Laut Karin Korn, der Leiterin des Schulverwaltungsamts, sind dies die Bismarckschule, die Werkrealschule Ostheim und die Steinenbergschule in Hedelfingen. Bei der letztgenannten wäre allerdings eine Schulneugründung nötig, weshalb die Sache eher unwahrscheinlich wird.

Die Gemeinschaftsschule steht politisch nicht mehr im Mittelpunkt

Doch derzeit sieht Brittinger die rückläufige Bewerberzahl zumindest räumlich eher als eine Entlastung, etwa bei der Anne-Frank-Schule in Möhringen (33 Anmeldungen). Vom Platz her begrenzt sei man auch an der Schickhardt-Schule im Süden (67 Anmeldungen). Kaiser ergänzt, dass bei den vorläufigen Anmeldezahlen noch die der Inklusionskinder fehlten. Das betrifft in besonderem Maß die Gemeinschaftsschulen, aber auch die Werkrealschulen. Der Grund sei, dass die sogenannten Bildungswege-Konferenzen noch nicht abgeschlossen seien. Dabei wird festgelegt, welche Kinder mit Handicap an welchen Schulstandort kommen.