Gut vier Jahre ist es her, dass Günther Jauch Anne Will vom Prestigeplatz der Sonntagabend-Talkshow verdrängte. Am Sonntag kehrt die Moderatorin zurück und geht unaufgeregt mit der Rückeroberung des Throns um.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Manchmal gehen Revolutionen im Fernsehen überraschend sang- und klanglos vonstatten. Als 2011 Günther Jauch als Sonntagstalker inthronisiert wurde, war das mediale Getöse laut und schrill. Nicht nur wegen der Person Jauch, der als Showmaster auf den dicksten Polittalk-Stuhl des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gesetzt wurde. Mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht, sollte er nicht weniger als den TV-Talk neu erfinden, das zusammenbringen, was sich nicht zusammenbringen lässt: fundierten Politikdiskurs und unterhaltenden Boulevard.

 

Aufregung gab es zudem wegen der aufgeblähten Talkschiene im Ersten: Jauch, Plasberg, Maischberger, Will, Beckmann, die mit den immer gleichen Gästen die immer gleichen Themen verhandeln, darüber ereiferte sich die Fernsehrepublik – zurecht. Ebenso schrill dann der Aufschrei ein Jahr später, als ein internes ARD-Papier an die Öffentlichkeit gelangte, in dem genau diese Kritikpunkte formuliert wurden, freilich nicht als Selbstdemontage, sondern zur „Qualitätsverbesserung“, wie der verantwortliche Programmbeirat sich beeilte den Ball, flach zu halten.

Drei Jahre später hat sich die ARD beim Wort genommen, und kaum jemand ist es eine Erwähnung wert: Von den fünf Gesprächsrunden sind nur noch drei übrig. Reinhold Beckmann nahm im September 2014 seinen Hut, und es ist keine Gemeinheit, wenn man behauptet, dass ihn und seine Betroffenheitsmiene kaum einer vermisst.

Unaufgeregte Rückeroberung

Und der vermeintliche Talkstar Jauch? Der hatte wohl keine Lust, weder darauf, sich ernsthaft mit den Themen seiner Sendungen zu befassen, noch darauf, deshalb der Buh-Mann der Medienkritik zu sein. Anfang Juni 2015 kündigte er seinen Rückzug an. Nur vier Tage später wurde Jauchs Nachfolgerin, die auch seine Vorgängerin war, bekannt gegeben: Anne Will.

Die Moderatorin ging, wie es ihre Art ist, unaufgeregt mit der Rückeroberung des Throns um, von dem sie Jauch geschubst hatte. In ihrer letzten Sendung 2015 am 16. Dezember kündigte sie ein Wiedersehen am 17. Januar an, „das ist ein Sonntag“, das war alles. Kein Pressetermin, kaum Interviews, lediglich eine dürftige ARD-Pressemitteilung: „Ein bisschen was werden wir verändern, allein schon, weil wir demnächst 60 statt 75 Minuten haben, aber grundsätzlich machen wir so weiter wie bisher“, wird die 49-Jährige zitiert.

Das Studio in Berlin-Adlershof solle „leicht“ überarbeitet werden, hieß es weiter: „Künftig wird Blau, im Ersten die Farbe für Information und Aktualität, das Design der Sendung ,Anne Will‘ dominieren und so ihren Charakter als politisches Gesprächsformat optisch unterstreichen.“

Die Wochenenden gehören dem Job

Die Profi-Talkerin muss nun wieder damit leben, dass ihre Wochenenden dem Job gehören – ein „starker Einschnitt“, wie sie dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier gestand. Man erinnert sich noch an den ironischen Werbespot, mit dem sie seinerzeit für ihren neuen Sendeplatz am Mittwoch warb: Genüsslich faulenzt sie darin in Shorts auf dem Balkon, lümmelt auf der Couch und schaltet den „Tatort“ ein.

Anne Will hat öffentlich lediglich die Art, wie sie vom Sonntagabend vertrieben wurde – sie erfuhr davon aus den Medien – kritisiert und darüber, dass die Umplatzierung einer Degradierung gleichkam, kein Wort verloren. Aber klug, sachlich, zielorientiert, ehrgeizig wie sie ist, hat sie das Beste daraus gemacht. Die deutliche geringere öffentliche Aufmerksamkeit, der reduzierte Quotendruck unter der Woche haben ihr gut getan: In den vergangenen vier Jahren gewann die ehemalige „Tagesthemen“-Moderatorin weiter an Statur, sie talkt gelassener und kompetenter denn je.

Will blieb ihrer Linie treu, harte politische und gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen, während Kollegen wie Frank Plasberg sich immer wieder gern auch dem annehmen, was dem Volk am Herzen liegt: Fleischkonsum, Genderstreit, Esoterik-Trends. Ihren Moderationsstil hat sie am Mittwochabend weiter verfeinert. Will war schon immer eine souveräne Gesprächsleiterin, die ihr Thema durchdringt, mit ihren Gästen auf Augenhöhe und ehrlich an ihnen interessiert ist, was man von Günther Jauch oft nicht sagen konnte. Gepaart mit ihrer kühlen Eleganz, wirkte sie dabei früher oft distanziert, gleichzeitig ließ sie ihr Ehrgeiz, die Debatte zu einem Fazit zusammenzuführen, immer auch ein bisschen angestrengt erscheinen.

Entwaffnendes Strahle-Lächeln

Das hat sich geändert: Sie führt die Diskussionen mit fester Hand, kann aber auch locker lassen; sie ist präzise, hakt an den richtigen Stellen nach, durchaus auch mehrmals, wenn ihre Diskutanten ausweichen. Will kann ebenso bissig wie mitfühlend sein; Schärfe richtig dosieren, mit trockenem Witz parieren und dabei ihre hochgezogene Augenbraue wie ihr entwaffnendes Strahle-Lächeln gezielt einsetzen.

Dass sie aus ihrer Moderatorenrolle punktuell ausschert und selbst Stellung bezieht, mögen ihr manche ankreiden, ist aber eine Stärke, die gerade Günther Jauch so gut wie nie hatte. Zuletzt etwa beim Thema „1 Million Flüchtlinge – wie verändern sie Deutschland?“ zeigt sie im richtigen Moment Haltung: Da fordert der Historiker Jörg Baberowski die Schließung der Grenzen und sie kontert, allein aus rechtsstaatlichen Gründen sei das unmöglich.

Die Herausforderung wird für sie deshalb darin bestehen, so weiterzumachen wie bisher, locker zu bleiben, bei den Gästen wie gehabt nicht nur staatstragend zu sein und angesichts der hohen Erwartungshaltungen am Sonntagabend nicht in alte Muster zurückzufallen. Nur so kann sie ihre bisherigen rund 10 Prozent Marktanteil auf Jauchs durchschnittliche 16,4 Prozent steigern und den Makel überwinden, nur aus Proporzdenken installiert worden zu sein. Der NDR, dem sie entstammt, hat die Hoheit über den Sonntags-Talk, weshalb Wills stärkster Konkurrent Frank Plasberg, ein WDR-Mann, von vornherein keine Chancen hatte, Jauch zu ersetzen, wiewohl er mit seinem plakativen Boulevard besser zum Profil des Sendeplatzes gepasst hätte.

Die ARD setzt auf Bewährtes

Was Anne Will indes nicht anzulasten ist: mit ihr setzt die ARD am Sonntag auf Bewährtes anstatt, etwa mit einem jungen Gesicht, Mut zu zeigen. Das wäre dann wohl zuviel der Revolution gewesen – und garantiert nicht unbemerkt geblieben.