Ein Gespräch über deutsche Beschwerdekultur, elektrische Geräte und zu wenig Käsekuchen.

Leben: Susanne Hamann (sur)

Frau Lies, früher galten Stewardessen als Göttinnen der Lüfte. Heute nennt man sie oft despektierlich Saftschubsen. Was ist da passiert?
Zum einen ist Fliegen nicht mehr so exklusiv wie früher. Es ist für wesentlich mehr Gäste erschwinglich und zieht ein breites Publikum an. Zum anderen ist der Flugverkehr und damit der Personalbedarf durch die Globalisierung so stark gestiegen, dass an Mitarbeiter keine utopischen Ansprüche mehr gestellt werden können. Heute muss man nicht mehr Krankenschwester sein und fünf Sprachen sprechen. Woher der Begriff Saftschubse kommt, kann ich leider nicht sagen. Meine Flugbegleiter-Generation hat jedenfalls ein ironisches Selbstverständnis und nimmt das nicht krumm. Ältere Kollegen fühlen sich da eher auf den Schlips getreten.

 

Welche Eigenschaften muss man in Ihrem Beruf unbedingt mitbringen?
Nerven haben wie Drahtseile und eine Engelsgeduld. Als Flugbegleiter muss man Fragen beantworten, die einem vielleicht nicht immer sinnvoll erscheinen. Sich ständig wiederholen. Man muss resistent gegenüber dem Umgang mit fordernden Massen sein. Und man muss eigene Bedürfnisse – essen, trinken, schlafen, zur Toilette müssen – für acht bis zwölf Stunden komplett zurückstellen.

Schöne Seiten gibt es aber auch?
Natürlich. Die Menschen, die morgens mit mir in der U-Bahn sitzen, fahren ins Büro und abends wieder zurück. Ich hingegen fahre zum Flughafen und radle am Abend vielleicht über die Golden Gate Bridge. Das empfinde ich als Privileg. Außerdem mag ich es, mit Menschen zu tun zu haben statt mit Zahlen oder Maschinen.

Menschen streiten mehr als Maschinen.
Streit würde ich es nicht nennen, aber Konflikte gibt es natürlich. Ich habe leider das Gefühl, dass die Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft generell zugenommen hat. Wir bei unserer Airline absolvieren sehr gute Trainings, wie man zum Beispiel Gespräche führen kann und Gäste zufriedenstellt, dennoch sein Selbstwertgefühl wahren und Sicherheitsmaßnahmen durchsetzen kann. Im Laufe der Zeit bekommt man Routine, denn die Konflikte wiederholen sich. Sei es, dass es um Auswahlessen geht, dass nicht mehr da ist, oder die Sorge um Anschlussflüge.

Können Sie auch streng werden?
Sehr ungern, hin und wieder muss ich leider autoritär auftreten. Ich würde mir wünschen, dass mich weniger Leute in diese Situation bringen. Passiert aber nur bei wirklich sicherheitsrelevanten Sachen. Es ist ja nicht unsere Aufgabe, die Leute zu erziehen. Das Tragische ist, dass wir Gefahren erkennen, die andere nicht sehen und sich dann weigern, entsprechend zu reagieren. Zum Beispiel bei elektrischen Geräten an Bord. Manchmal komme ich mir vor wie im Kindergarten, wenn ich Gäste zum dritten Mal bitten muss, den Laptop auszuschalten. Auf der Kurzstrecke hat man bis zu fünf Strecken am Tag, also zehn Starts und Landungen. Bei 120 Leuten pro Flug möchten circa 10 Prozent ihre Handys, iPods und iPads nicht ausmachen. Das ist in der Summe schon extrem anstrengend.

Wie benehmen sich unsere Landsleute im Flieger?
Die Deutschen haben eine relativ starke Beschwerdekultur, bei der ich oft den Eindruck habe, es geht weniger um die Lösung, sondern darum, etwas rauszuschlagen. Und der Ton macht die Musik. Kürzlich hatte ein Vater am Check-in keine Plätze mehr für sich und seine Kinder in einer Reihe bekommen. Er kam auf mich zu und schmiss mir die Bordkarten vor die Füße. Da musste ich schlucken, weil ich mich nicht gerne beleidigen lasse. Dennoch habe ich sein Problem gelöst, denn da sind wir professionell. Einen anderen deutschen Gast wollten wir auf einem Langstreckenflug um 0 Uhr zu seinem Geburtstag überraschen. Die Kabinenchefin hatte es zufällig auf der Passagierliste gesehen. Seine Frau wies uns mit Pralinen und Champagner aus der First Class ab, mit der Begründung, in ihrem Wohnort in Charlotte, North Carolina, sei es jetzt noch gar nicht Mitternacht. Ihr Mann habe noch gar nicht Geburtstag.

Unfassbar.
Ja (seufzt). Kurzum. Wir tun alles, um zu helfen, sofern wir können. Aber auch wir möchten respektvoll behandelt werden.
Aber Ihnen fallen doch auch sicher ein paar nette Erlebnisse mit Fluggästen ein?
Die gibt es reichlich. Das können kleine Sachen sein, wie ein Lächeln oder ein paar freundliche Worte. Wenn man Wertschätzung erfährt. Wenn mir ein Kind an Bord ein selbst gemaltes Bild schenkt. Einmal hatten wir einen Gast an Bord, der über starke Rückenschmerzen klagte und nach ABC-Pflastern fragte. So etwas führen wir leider nicht mit, aber wir haben eine dickwandige Sprite-Flasche mit heißem Wasser gefüllt, wie eine Wärmflasche, und regelmäßig ausgetauscht. Eine Woche später bekamen wir einen Dankesbrief. Es stellte sich heraus, dass der Gast Professor für Marketing in Harvard war. Er hat uns ein dickes Lob beschert.

Werden Sie bis an Ihr Rentenalter weiterfliegen?
Es gibt solche und solche Tage, und es kommt immer auf die Flüge an. Hatte man eine tolle Tour, denkt man, es wäre Wahnsinn, das aufzugeben. Manchmal aber sitzt man im Hotelzimmer und heult, weil man furchtbar angefahren wurde. Dann denkt man wieder: Ich kündige. Ich bleibe wohl dabei, denn unser Konzern bietet so viele tolle Benefits, auch eine flexible Teilzeitregelung. Außerdem wird man schon mit 55 Jahren pensioniert – weil es so anstrengend ist.

Wenn Ihr Buch verfilmt werden sollte: Wer soll die Charlotte spielen?
Ich dachte an Nora Tschirner. Sie vereint Comedy-Talent und Schönheit. Oder Gaby Köster. Sie hat die Art von Humor, die man für den Job braucht.

Wie ähnlich ist Ihnen Charlotte?
Schon ähnlich, aber es ist kein autobiografischer Roman. 70 Prozent des Buches sind eigene Erlebnisse, 30 Prozent fiktiv. Doch die meisten Leser setzen mich eins zu eins mit der Romanfigur gleich. Ich werde oft auf das Buch angesprochen, vor allem von Kollegen. Auch Gäste fragen, warum ich noch fliege. Charlotte hätte doch am Ende des Buches ihren Dienst quittiert. Ich habe auch schon böse Beschwerde-Mails von Lesern bekommen, weil es kein Reiseführer sei. Sie hätten sich mehr Insidertipps erhofft. Viele schreiben mir auch von ihren Erlebnissen unterwegs und denken, ich sei die Beschwerdestelle der Fluglinie. Ich wurde schon aufgefordert, Käsekuchen nachzubestellen. Auch die beschriebene Airline gibt es so nicht. Sonst würde ich ja Firmeninterna verraten. Derzeit schreibe ich an Teil zwei, denn da startet Skyline-Engel Charlotte richtig durch.

Annette Lies wurde 1979 in Herne geboren. Nach dem Abitur 1998 absolvierte sie eine Ausbildung zur Werbekauffrau. Von 2001 bis 2003 arbeitete sie als Juniortexterin in der Werbeagentur Jung von Matt in Hamburg. Seit 2004 ist sie Flugbegleiterin, seit 2008 in Teilzeit, parallel dazu studiert sie Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen. Annette Lies lebt in München mit dem einzigen Piloten, der bei ihr landen konnte – einem Nymphensittich –, und einem Hamster namens Jetleg (weil er immer nachts wach ist).

Der Roman „Saftschubse“ ist im Heyne-Verlag erschienen (8,99 Euro).