Gibt es Korruption in EnBW-Meilern? Ein anonymer Brief aus Neckarwestheim lässt das vermuten. Ermittlungen sollen die Vorwürfe klären.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Ein anonymes Schreiben, das offenbar aus dem Kernkraftwerk Neckarwestheim (GKN) stammt, hat Untersuchungen der Atomaufsicht im Landesumweltministerium, des Energiekonzerns EnBW und der Staatsanwaltschaft Mosbach ausgelöst. In dem auf GKN-Briefpapier verfassten Schreiben an die Atomaufsicht und die Stuttgarter Zeitung werden angebliche Mängel in der Sicherheitskultur der Reaktoren Neckarwestheim und Philippsburg thematisiert. Das Ressort von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hat daraufhin eine Stellungnahme der EnBW angefordert, die inzwischen vorliege. Man nehme solche Schreiben ernst, sagte ein Sprecher Unterstellers auch im Blick auf einen anonymen Hinweis aus dem Jahr 2011, durch den nicht gemeldete Vorfälle in Philippsburg bekannt geworden waren.

 

Der unbekannte Verfasser moniert zum einen einen zu weit gehenden Einsatz von Mitarbeitern externer Firmen. Diese würde im EDV-gestützten Betriebsführungssystem zunehmend Arbeitsaufträge bearbeiten und koordinieren, ohne dass die Verantwortlichen der EnBW-Kernkraftgesellschaft (EnKK) davon Kenntnis hätten; dies sei „ein unhaltbarer Zustand“. Zum anderen gebe es Bestechung und Vorteilsnahme in der IT-Abteilung der Kernkraftgesellschaft. Auftragsvergaben an externe Dienstleister – vor allem beim Betriebsführungssystem – würden mit Geschenken wie Laptops und Anzeigen in Vereinsheften verbunden. Diese Beauftragungen müssten systematisch überprüft werden, empfiehlt der Anonymus.

Ministerium: keine Auffälligkeiten bei Stichproben

Der Sprecher des Umweltministeriums sagte der StZ, das Betriebsführungssystem und das Verfahren bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen seien „regelmäßig Gegenstand“ der Atomaufsicht. Welche Qualifikationen von Fremdarbeitern verlangt würden, sei „detailliert in den betrieblichen Regelungen der Kernkraftwerke festgeschrieben“. Die Freigabe von Arbeitsaufträgen erfolge immer durch einen EnKK-Mitarbeiter. Bei stichprobenartigen Kontrollen hätten sich bisher „keine Auffälligkeiten in Bezug auf Mitarbeiter von Fremdfirmen“ ergeben. Die Vergabe von Aufträgen ist dem Sprecher zufolge nicht Gegenstand der Atomaufsicht, „solange Sicherheitsfragen nicht berührt sind“. Derzeit sehe das Ministerium hinsichtlich der Korruptionsvorwürfe keinen Anlass, tätig zu werden. Man habe die EnBW aber aufgefordert, die Vorwürfe „in diesem konkreten Fall zu prüfen“.

Eine solche „eingehende Untersuchung“ hat der Energiekonzern inzwischen eingeleitet, wie ein Sprecher mitteilte. Man habe die zuständigen Stellen – damit ist vermutlich unter anderem die Revision gemeint – mit einer „qualifizierten Prüfung“ beauftragt. Die Modalitäten von Auftragsvergaben seien innerhalb der EnBW in schriftlichen „betrieblichen Regelungen“ festgelegt. Auch für den Einsatz von Fremdfirmen und deren Mitarbeitern gebe es genaue Vorschriften, so das Unternehmen. Die entsprechenden Prozesse seien atomrechtlich geprüft und genehmigt. Grundvoraussetzung für die Tätigkeit von externem Personal sei, dass die Qualifikation für die jeweiligen Aufgaben nachgewiesen werde. Für Abweichungen von den Regeln hätten sich bei Stichproben „keinerlei Hinweise ergeben“, betonte die EnBW ebenso wie das Ministerium.

Die Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen

Die Staatsanwaltschaft Mosbach, die wegen des Sitzes der EnBW-Kernkraftgesellschaft in Obrigheim zuständig ist, hat unterdessen einen Prüfvorgang angelegt. Man untersuche die Vorwürfe derzeit auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz, sagte ein Sprecher. Ob ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werde, sei noch nicht entschieden. Wie die Behörde von dem anonymen Schreiben erfahren hat – ob erst durch die StZ-Anfrage oder schon vorher –, sagte der Sprecher nicht.

Bereits vor drei Jahren war die EnBW in die Kritik geraten, weil sie einen Korruptionsfall in Philippsburg nicht der Justiz gemeldet hatte. Erst der betroffene Kleinunternehmer wandte sich an die Staatsanwaltschaft. Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks, der für die Vergabe von Aufträgen Vorteile gefordert und angenommen hatte, wurde später wegen gewerbsmäßiger Korruption verurteilt. Die EnBW begründete die Nichteinschaltung der Justiz damit, man habe keinen Nachweis für Bestechung gefunden. Der damalige Grünen-Fraktionsvize Untersteller hatte dies scharf kritisiert: „Richtig wäre es gewesen, die Informationen unverzüglich an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben“, sagte er; offenbar habe die EnBW im Umgang mit dem Problem Korruption noch erheblichen Nachholbedarf.

Atomexperten sehen in dem anonymen Schreiben derweil eine mögliche Erklärung für die zunächst nicht gemeldeten Vorfälle in Philippsburg. Dort war es jeweils bei geplanten Arbeiten zu Sicherheitsverstößen gekommen. Offenbar gebe es in den EnBW-Reaktoren Probleme im Bereich der sogenannten Arbeitserlaubnisverfahren, sagen Insider. Diese könnten ihre Ursache darin haben, dass nicht ausreichend geschultes Personal mit Arbeiten im Betriebsführungssystem betraut werde.