Die Fußball-Bundesligisten haben die Konsequenzen aus dem Wettbieten um die großen Namen gezogen. Das Spiel mit vielen Talenten ist zu einem erfolgreichen Modell geworden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stutgart - Dass sich ein Junge ungerecht behandelt fühlt, schmollt, trotzig wird, mit niemandem mehr reden will und am Ende mit der Situation überfordert ist, gehört zu den Alltäglichkeiten des Lebens.

 

Wenn dieser Junge aber 20 Jahre alt und ein herausragender Fußballer ist und alle ihm zur Verfügung stehende Hebel in Bewegung setzt, einen Wechsel von Borussia Dortmund zum FC Barcelona zu erzwingen, wird aus der Alltäglichkeit ein ganz großes Ding. Zumal die von Dortmund aufgerufene Ablösesumme, um den Franzosen aus seinem Vertrag herauszukaufen, deutlich über 100 Millionen Euro liegt.

Willkommen in der Fußball-Bundesliga! Die wird immer eigenwilliger – und immer jünger.

Bleiben wir doch gleich in Dortmund. Neben Ousmane Dembélé gibt es dort einige weitere hochkarätige Talente. Gerade einmal 18 Jahre alt ist Christian Pulisic, den man trotzdem schon beinahe als gestandenen Bundesliga-Profi bezeichnen kann. Dem amerikanischen Flügelspieler wird in der an diesem Freitag beginnenden Saison der ganz große Durchbruch zugetraut. Dahinter dürfen bei der Borussia der französische Innenverteidiger Dan-Axel Zagadou (18), der erst 17-jährige schwedische Stürmer Alexander Isak und der deutsche Außenverteidiger Jan-Niklas Beste (ebenfalls 18) zumindest von einigen Teilzeiteinsätzen in der Bundesliga ausgehen.

Auch viele andere Bundesligisten setzen verstärkt und ganz bewusst auf die Jugend. Beinahe jeder deutsche Erstligist hat mittlerweile Juniorenspieler in der Startformation. So scheint zum Beispiel bei RB Leipzig der 18-jährige Franzose Dayot Upamecano in der Innenverteidigung gesetzt zu sein. Für den VfB Stuttgart dürften Dzenis Burnic und Josip Brekalo (beide 19) beim Saisonauftakt am Samstag in Berlin in der Startelf stehen. Während Kai Havertz mit 18 in Leverkusen bereits erster Anwärter auf die Position im zentralen offensiven Mittelfeld ist.

Junge Spieler, wohin man schaut.

Dass die Bundesliga zum großen Planschbecken für U-21-Profis geworden ist, hat seine Gründe. Mit dem Geld hat es natürlich auch zu tun. Selbst der FC Bayern hat mittlerweile Schwierigkeiten, einen arrivierten internationalen Star zu verpflichten. Den Kolumbianer James hat es nur gegeben, weil ihm Real Madrid keine Steine in den Weg gelegt hat, während bei Corentin Tolisso (23) und Niklas Süle (21) viel Entwicklungspotenzial gesehen wird.

Der Neymar-Effekt und die Folgen

Nachdem Neymar für 222 Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, scheinen sich jetzt fast nur noch Clubs mit Scheichs oder Oligarchen an den Schalthebeln die ganz großen Namen leisten zu können. Dazu kommen wahnsinnige Summen aus TV-Verträgen, die England zum Land der unbegrenzten Fußball-Möglichkeiten gemacht haben. Im Spannungsfeld zwischen Premier League, den Neureichenclubs in Paris und China sowie den spanischen Traditionsriesen FC Barcelona und Real Madrid muss die Bundesliga einen Erfolgsweg finden. Und der geht immer mehr in Richtung Jugend.

Das Spiel mit den Talenten ist zum Geschäftsmodell geworden. Die Investition Zukunft lässt sich stellvertretend an Mickael Cuisance aufzeigen. In der Sommerpause ist der 17-jährige Mittelfeldspieler für 250 000 Euro aus der Jugend von AS Nancy zu Borussia Mönchengladbach gewechselt. Der französische Juniorennationalspieler gilt als Mann der Zukunft und schon jetzt als Option für das Bundesliga-Team. Gut möglich, dass Cuisance in ein paar Jahren die Bundesliga für viel Geld verlässt, um irgendwo anders mehr zu verdienen. Das könnten sich die Gladbacher dann gut bezahlen lassen und der Ausbildungsverein AS Nancy auch, der am Weiterverkauf partizipieren würde.

Die Bundesliga ist eine Zwischenstation für große Talente geworden. Sie kommen im Moment verstärkt aus Frankreich, wo die Jugendarbeit hervorragend, das Leistungsniveau der ersten Liga aber nicht ganz so gut ist. So gilt die technisch anspruchsvolle und zugleich temporeiche Bundesliga als perfekter Zwischenstopp auf dem Weg nach ganz oben. Als Eliteuniversität sozusagen, um danach richtig viel Geld zu verdienen, so wie das aktuell Ousmane Dembélé geplant hat. Doch da spielt Borussia Dortmund nicht wie gewünscht mit.

Das gilt auch für RB Leipzig, der deutsche Vorzeigebetrieb für junge Führungskräfte. RB- Sportchef Ralf Rangnick denkt gar nicht daran, den international stark umworbenen Naby Keita (22) gehen zu lassen. Die Leipziger können es sich dank der Unterstützung aus dem Hause Red Bull leisten. Das Durchschnittsalter im Kader des deutschen Vizemeisters liegt gerade mal bei 23,9 Jahren. Früher sah die Alterststruktur ganz anders aus. So schickte zum Beispiel der Trainer Huub Stevens noch vor 15 Jahren regelmäßig eine Schalker Mannschaft aufs Feld, die im Schnitt über 31 Jahre alt war.

Alter stand im Fußball lange Zeit für Erfahrung und galt als Qualitätsmerkmal. Was einst den damals 22-Jährigen VfB-Torwart Sven Ulreich zu dieser Aussage verleitete, nachdem ihm der deutlich ältere Marc Ziegler vorgezogen wurde: „Jung und erfahren gibt es im Fußball nicht. Das gibt es nur auf dem Straßenstrich.“

Heute haben Nachwuchsprofis einen völlig anderen Stellenwert im Team und müssen sich nicht mehr mit hinten anstellen. Vorneweg marschieren sie und verblüffen nicht nur mit Selbstvertrauen die Kollegen. Der Gladbacher Nationalspieler Christoph Kramer sagt über seinen neuen Mitspieler Mickael Cuisance: „Wenn ich sehe, wie weit der mit 17 ist, so weit war ich mit 22. Es ist Wahnsinn, wie extrem gut die jungen Spieler heutzutage ausgebildet sind.“

Deutsche Spitzenclubs definieren sich auch über die Jugendarbeit

In Frankreich und Deutschland ist die Nachwuchsarbeit besonders erfolgreich, seitdem die Jugendakademien für Erst- und Zweitligisten vorgeschrieben sind. In Zeiten explodierender Ablösesummen sollen die Stars von morgen am besten aus den eigenen Reihen kommen, was auch positive Auswirkungen auf die Nationalmannschaften hat. Im Juni wurde Deutschland U-21-Europameister und holte sich auch noch mit einem Nachwuchsteam den Confed-Cup. Das hat System, nachdem sich deutsche Spitzenmannschaften auch über ihre Jugendarbeit definieren. Zuletzt standen sich Borussia Dortmund und Bayern München im Finale um die U-19-Meisterschaft gegenüber.

Was die Bundesliga immer jünger macht, ist auch die Professionalisierung des Nachwuchsbereichs. In den Jugendakademien der Bundesligisten entwickeln sich die Talente heute unter völlig anderen Bedingungen viel schneller. Trainiert werden sie dort häufig von jungen hervorragend ausgebildeten Trainern. Dazu zählen der heutige VfB-Coach Hannes Wolf und Domenico Tedesco auf Schalke, die selbst den direkten Sprung vom Jugendbereich zu den Profis geschafft haben. Und solche Trainer trauen aus eigener Erfahrung jungen Spielern deutlich mehr zu als die Generation vor ihnen.

Die Verjüngungskur hat auch zur Folge, dass die Jagd nach den Stars von morgen immer früher beginnt und eine immer größere Bedeutung bekommt. Noch vor ein paar Jahren beschäftigte ein Bundesligist bestenfalls einen Scout. Heutzutage sind in den Clubs in der Regel große Abteilungen mit der Talentsuche beschäftigt. Dadurch ist zwischen den Vereinen nicht nur ein Wettstreit um die besten Jugendspieler entstanden, sondern auch einer um die erfolgreichsten Späher. So schaffte es jetzt der Dortmunder Scout Sven Mislintat in die Schlagzeilen, nachdem der FC Bayern Interesse am Talentspäher der Borussia bekundet hatte. Auch beim VfB war Sven Mislintat im Gespräch.

In Stuttgart wird allerdings unmittelbar vor dem Saisonstart gerade verstärkt entgegen dem Trend gearbeitet. Der Sportvorstand Michael Reschke, Nachfolger des entlassenen Jan Schindelmeiser, setzt bei den Last-Minute-Einkäufen auf Routine. Nach der Verpflichtung des zuvor vereinslosen 30 Jahren alten Dennis Aogo werden weitere eher reifere Semester als Neuzugänge gehandelt.