Nach dem Anschlag in Istanbul ist das Entsetzen weltweit groß. Für die Türkei ist es nicht der erste Anschlag. Doch dass die Täter so weitgehen und unbeteiligte Touristen im Herzen der türkischen Metropole ermorden, damit hätte keiner gerechnet.

Istanbul - „Der Boden bebte“, sagt die deutsche Touristin Caroline kurz nach der schweren Explosion, die am Dienstagmorgen die Altstadt der türkischen Metropole Istanbul erschütterte. Ein scharfer Brandgeruch zieht nach dem Selbstmordanschlag über den Platz vor der Blauen Moschee, auf dem viele deutsche Todesopfer und Verletzte liegen. Caroline bringt sich und ihre Tochter in Sicherheit. In einem nahegelegenen Gebäude harren sie eine halbe Stunde aus, bevor sie sich wieder nach draußen wagen. „Es war wirklich Furcht erregend.“

 

In Istanbul, in der ganzen Türkei und auch in Deutschland ist das Entsetzen nach dem Anschlag groß. Eine sichtlich erschütterte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt am Nachmittag in Berlin: „Wir müssen davon ausgehen, dass Deutsche unter den Todesopfern sind.“ Wenig später ist es grausame Gewissheit: Mindestens acht Deutsche sind unter den insgesamt zehn Todesopfern, sagt Merkel am Abend. Auch unter den 15 Verletzten sind viele Deutsche, wie deren Berliner Reiseveranstalter mitteilt.

Türkei an Gewalt und Anschläge gewöhnt

Die Türkei ist an Gewalt und an schwere Anschläge gewöhnt. Seit Monaten wird erbittert in den Kurdengebieten im Südosten des Landes gekämpft. Im vergangenen Jahr tötete die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bei mehreren Anschlägen mehr als 130 Menschen. Dass die Extremisten aber so weit gehen würden, unbeteiligte Touristen im Herzen der größten Stadt des Landes zu ermorden, hätte kaum jemand für möglich gehalten. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt, der Anschlag sei das Werk eines syrischen Selbstmordattentäters gewesen. Der Täter soll 28 Jahre alt gewesen sein, berichtet die Regierung. Niemand zweifelt daran, dass er einer von möglicherweise mehreren Selbstmordattentätern der IS-Organisation war, die in den vergangenen Monaten in die Türkei geschleust worden sein sollen.

Kurz vor dem Jahreswechsel waren in Ankara zwei mutmaßliche IS-Mitglieder festgenommen worden; damit habe man einen schweren Anschlag vereitelt, hieß es damals. Für die IS-Dschihadisten ist die säkulär verfasste Türkei ein erklärtes Angriffsziel; mehrmals wurden Erdogan und sein islamisch-konservativer Ministerpräsident Ahmet Davutoglu von der Miliz als „Teufel“ beschimpft, die gestürzt werden müssten. Zudem hatte der IS angekündigt, nach Vollendung seiner Eroberungen in Syrien und im Irak bis nach Istanbul zu marschieren.

2016 wird schwer für türkische Tourismusbranche

Im vergangenen Januar hatte sich eine mutmaßliche Islamistin aus Tschetschenien in einer Polizeiwache in der Nähe der Blauen Moschee in die Luft gesprengt. Der Attentäter vom Dienstag ging noch einen Schritt weiter. Er suchte sich einen Platz aus, an dem sich fast nur Ausländer aufhalten und der für die milliardenschwere türkische Tourismusindustrie von entscheidender Bedeutung ist. Türkische Medien berichteten bereits wenige Stunden nach der Explosion von zahlreichen Stornierungen. „Das Jahr 2016 können wir wohl vergessen“, wurde ein Fremdenverkehrsunternehmer zitiert. Die große Frage ist nun, wie die Türkei auf die Bedrohung des IS reagieren wird. Erdogan kündigte an, die Dschihadisten würden weiter unbarmherzig bekämpft.

Doch Kritiker meinen, dass Anschläge wie der vom Dienstag auch eine Folge der bisherigen Politik Ankaras ist. Insbesondere in der Anfangsphase des Syrien-Konflikts hatte die türkische Regierung nach Einschätzung westlicher Diplomaten islamistische Gruppen im Nachbarland in der Hoffnung unterstützt, dass diese mit ihren Kämpfern das Ende des verhassten Regimes des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad beschleunigen könnten. „Das rächt sich jetzt“, schrieb der regierungskritische Journalist Abdullah Bozkurt auf Twitter.

Seit dem vergangenen Sommer beteiligt sich die Türkei an der von den USA geführten Anti-IS-Allianz, wenn auch nicht so umfassend wie andere Partner. Nach dem Schock vom Dienstag wird die Türkei möglicherweise jetzt stärker gegen die IS-Miliz vorgehen. Die Angst vor neuen Anschlägen wird dadurch weiter wachsen.