Antiquariate verkaufen nicht nur Relikte aus alten Zeiten, sondern sind irgendwie selbst solch alte Überbleibsel aus vermeintlich längst vergangenen Zeiten. Kann man mit besonderen Büchern überhaupt noch Geld verdienen? Auf Besuch bei zwei Stuttgarter Traditionsgeschäften.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Vor ihm liegt ein großes, vergilbtes Buch mit vergoldeten Bildern und altertümlicher Schrift. Alain Haezeleer sitzt in knielangem Frack und Seidenanzugweste und schwarz-weißen Budapestern davor und begutachtet die Schrift mit einer großen Lupe, seine Hände stecken in weißen Handschuhen. Das Schriftstück stamme aus dem Jahr 1776, sagt er. Es ist nicht gedruckt, sondern von Hand geschrieben und gezeichnet, auf Pergamentpapier, eingebunden in die Haut von Lämmern. „Das macht man heute gar nicht mehr“, sagt der Antiquar. Hinter ihm steht ein Schiffssteuerrad aus Holz, umgeben ist er von deckenhohen Bücherregalen in denen sich gesammelte Werke in dicken Einbänden namhafter Schriftsteller finden ebenso wie zum Beispiel das fünfbändige Werk „Geschlechtskunde“ des Sexualforschers Magnus Hirschfeld. Das Antiquariat von Haezeleer und seiner Frau Ursula im Stuttgarter Süden ist kein öffentliches Geschäft, sondern gleichzeitig auch die Wohnung des Paares. „Ein Ladengeschäft wäre unser Untergang gewesen“, sagt er.

 

Echte Antiquariate werden selten

Mit alten Büchern Geld zu verdienen ist heutzutage schwer. Echte Antiquariate werden seltener. Das Internet hat ihnen wie anderen Branchen das Wasser abgegraben. „Viele traditionelle Antiquariate haben alles überlebt – mehrere Jahrhunderte, Kriege, aber das nicht“, sagt der gebürtige Belgier Haezeleer. Sammler finden dort alles, was sie suchen und einfacher. Die Schwemme an Werken drückt die Marktpreise. Etwa 5200 Antiquariate habe es zeitweise in den deutschsprachigen Ländern gegeben, jetzt schätzt er die Anzahl auf 1000. „Und das nimmt weiter rapide ab.“ Die Bedrohung durch das Internet beschreibt er so: „Jeder kann sehen, was selten ist.“

Wie er und seine Frau überleben können? „Wir haben uns auf Bücher spezialisiert, die man nicht im Internet kaufen kann“, sagt er. Zum Besonderen an Antiquariaten und zugleich Kuriosen gehören die Kunden. Die Spezialisten für Altertümliches und Seltenes locken Sammler jedweden Couleurs an. Ob ihre Leidenschaft nun Fingerhüte, Werwölfe oder Keuschheitsgürtel sind. Es gibt nichts, was bei Haezeleer noch nicht nachgefragt worden ist. Hier suchen die Sammler nach Fachliteratur für das besondere Hobby.

An diesem Wochenende kommen in Stuttgart und Ludwigsburg wieder viele Menschen mit außergewöhnlichen Hobbies oder leidenschaftliche Sammler alter Schätze bei der 56. Antiquariatsmesse im Württembergischen Kunstverein sowie bei der etwas kleineren Antiquaria in der Musikhalle in Ludwigsburg zusammen. Die meisten der 72 Aussteller haben sich inzwischen genau wie Haezeleer auf ein einziges Fachgebiet spezialisiert.

Schöne Bücher sind zeitlos

Der Antiquar, der auch als Sachverständiger und Fachgutachter zum Thema Fälschungen tätig ist, glaubt aber an eine Trendwende: „Schöne Bücher kommen wieder.“ Das Buch ist tot – diesen Satz höre er, seit er vor 25 Jahren angefangen habe. Aber Menschen, die Bücher über Orchideen oder Fingerhüte sammeln, gebe es immer. An eine Brüsseler Dame, deren Hobby dies war, kann sich Haezeleer erinnern. Anfangs habe er gedacht „Mein Gott, finde mal Bücher über Fingerhüte“, nun besitze die Dame mehr als 300.

Etwa 30 Berufe hatte Haezeleer bevor er sein Hobby zum Broterwerb machte. Und bei diesem Beruf will er bleiben. Um das Überleben zu sichern, hält er sich an den Spruch von Wilhelm Junk, einem angesehenen Berliner Antiquar, Verleger und Insektenkundler (1866-1942): „Ein Antiquar ist gelehrter als der Kaufmann, kaufmännischer als der Gelehrte.“

Der Antiquar Gunnar Gräff ist nicht auf Umwegen zu seinem Beruf gekommen. Der 52-jährige führt den Traditionsbetrieb „Müller und Gräff“ an der Calwer Straße in der fünften Generation. Seinen Laden betreibt er aus familiärer Verbundenheit und aus Leidenschaft. „Ich bin da reingewachsen“, sagt er. „Ich bin schon mit zehn Jahren hier zwischen den Büchern rumgestromert.“ Dieses Jahr feiert er zwei runde Geburtstage: Vor dreißig Jahren ist er in den Betrieb eingestiegen, zehn Jahre später hat er ihn übernommen.

Revolution durch das Internet

In den deckenhohen Regalen stehen die gesammelten Werke von Honoré de Balzac, in blauem Einband mit roter Inschrift, sowie mehrere Bände der göttlichen Komödie – die Vorzugsausgabe von Stefan George. „Das ist keine Normalausgabe“, betont er. Auch für ihn war in den vergangenen 30 Jahren die revolutionärste Veränderung das Internet. „Alles hat sich verändert“, sagt er. Er sieht aber auch Positives: „Ich habe andere Möglichkeiten, die ich meinen Kunden bieten kann.“ Die außergewöhnlichsten Wünsche könne er mit wenigen Mausklicks erfüllen. Die Kehrseite sei, dass Hinz und Kunz das auch könne. Das meiste sei billige Massenware und keinen Cent wert. Gräff bekommt häufig Anfragen von Erben, die hoffen, den Nachlass gewinnbringend verhökern zu können. Gräff kauft oft, aber nur weil man „Bücher nicht wegwerfen kann. Das tut weh.“ Alternativ empfiehlt er den Kunden, sie an soziale Einrichtungen zu spenden. „Die meisten Bücher nimmt der Markt halt nicht mehr auf.“ Klassiker wie Goethe und Schiller fänden sich in jedem Nachlass.

Die Sammler werden weniger

Doch auch wenn sich der Beruf des Antiquars nicht mehr der sei, den er gelernt habe, „ist es immer noch der schönste“, sagt Gräff. Er sei so vielseitig, vor allem den Umgang mit den Menschen mag er. Während sein Kollege Haezeleer das Ladengeschäft als Todesstoß für einen Antiquar bezeichnet, liebt Gräff genau das. Er mag die interessanten Menschen, die zu ihm kommen. Auch bei ihm sind das Leute mit skurrilen Interessen. „Die haben dann oft ein sehr großes Wissen“, sagt er. „Das wollen sie natürlich weitergeben. Am liebsten an den Antiquar ihrer Wahl.“ Er sei deshalb auch Verkäufer, Seelsorger und Zuhörer.

Längst gibt es in seinem Antiquariat auch neue Bücher, wie in einem normalen Buchhandel. Gräff hat sich auf schwäbische Literatur konzentriert. Die kaufen die Leute. „In ein paar Jahren wird es unsere Läden so nicht mehr geben“, ist er sich sicher. Weil zu wenig junge Sammler nachkommen. „Die jungen Leute legen Wert auf Reisen, nicht auf teure Einrichtung.“ Da habe ein kompletter Kulturwandel stattgefunden. „Da hängt halt ein Kalenderblatt an der Wand und kein alter Stich“, sagt Gräff.