Der ehemalige Porsche-Sprecher Anton Hunger hält den Journalisten den Spiegel vor. In seinem Buch „Blattkritik“ übt er eine Medienkritik, die zwar in vielen Fällen zutrifft, aber keineswegs neu ist.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Also wieder mal ein medienkritisches Buch. Es hat ja einige gegeben in letzter Zeit. Aber gebongt: dass in einer Gesellschaft, die sich reflexartig als Mediengesellschaft tituliert, dass in Zeiten, in denen die Presselandschaft radikal im Umbruch ist, kritische Auseinandersetzungen mit dem Journalismus gefragt sind – das ist nachvollziehbar, das ist wünschenswert. Und wenn die Kritik dazu von einem Praktiker kommt, einem wie Anton Hunger, der als langjähriger Kommunikationschef von Porsche sowie als Journalist, unter anderem bei der Stuttgarter Zeitung, den Medienbetrieb aus nächster Nähe kennt, dann klingt das vielversprechend. Überraschende Einblicke, Erkenntnisgewinn, Aha-Erlebnisse? Der Leser darf hoffen.

 

Zumal Hunger die „Blattkritik“, so der Titel seines Buchs, gründlich anpackt. Der „Journaille“, wie er die Journalisten leider von vornherein abwertend bezeichnet, will er den Spiegel vorhalten, ihren „Glanz“ wie auch ihr „Elend“ beleuchten. Das Elend ist dem 64-Jährigen aber dann doch wichtiger, und das fängt in seinen Augen bei einem großen Missverständnis an. „Journalisten sollen aufklären, objektiv berichten, vollkommen unabhängig sein“, schreibt er. Aber „sie sind nicht objektiv, weil niemand objektiv ist, und sie sind nicht unabhängig, schon gar nicht von redaktionellen Zwängen“. Sehr oft bögen sie „die Wahrheit, bis die Story passt“, krittelt Hunger; sie neigten zu einem „moralischen Rigorismus“.

Schon bei seiner Prämisse im Vorwort nennt der Autor also nur die halbe Wahrheit. Ja, Objektivität ist eine zentrale Anforderung an Journalisten. Aber was der Blattkritiker Hunger übersieht: sie müssen auch, und zwar mehr denn je, Fakten einordnen, bewerten und eine Meinung dazu haben, wobei sie diese Meinung dann freilich als solche kenntlich machen und belegen müssen, wie sie zu ihr kommen.

Wer im Glashaus sitzt . . .

Was folgt, ist spannend bis mitreißend, wenn auch bisweilen flapsig geschrieben, in knackige Kapitel verpackt, von vielen richtigen, wichtigen Beobachtungen und Analysen durchsetzt. Aber es ist auch weitgehend bekannt. Aha-Erlebnisse? Überraschungen? Fehlanzeige.

Anton Hungers Buch liefert eine Zusammenschau all der Medienskandale und Affären, die in jüngerer Zeit die Republik in Aufruhr versetzt haben: Christian Wulff und „Bild“, Bettina Wulff und Google, Guttenberg und GuttenPlag, Grass und das Gedicht, Ottfried Fischer und nochmals „Bild“. Das Urheberrecht, die Shitstorms, die Schwarmintelligenz im Netz, die Verfehlungen der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, der Henri-Nannen-Preis für „Bild“ et cetera. Aufmerksame Leser der Medienseiten in den Zeitungen bekommen nichts serviert, was sie nicht schon gelesen haben. Zudem verlässt sich Hunger bei seinen Analysen und Betrachtungen allzu oft auf das, was andere Autoren und Experten, allen voran der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, schon vor ihm erarbeitet haben. Auch wenn die Anleihen klar gekennzeichnet sind: je weiter der Leser vordringt, umso stärker wird bei ihm das Gefühl, nur Wiedergekäutes offeriert zu bekommen.

Beim Thema Korruption allerdings sitzt der ehemalige PR-Chef im Glashaus und wirft mit Steinen. Muss ausgerechnet er die Doppelmoral von Journalisten kritisieren, die sich von Rabatten, Upgrades und Gefälligkeiten ihre Wahrnehmungsfähigkeit trüben lassen und gleichzeitig „moralische Fehltritte des Staatsoberhaupts und anderer prominenter Vertreter aus Politik und Wirtschaft in einer kaum zu überbietenden Strenge verurteilen“? Es ist immerhin die PR-Branche, der er einst als einer der führenden Köpfe angehört hat, die mit den von ihm erwähnten Schmiermitteln arbeitet.

Was fehlt: der ganz normale Redaktionsalltag

Immer wieder knöpft sich Anton Hunger den Boulevard vor, prangert die „Bild“ und ihren schmierigen Aufstieg zum Leitmedium an. Das ist verdienstvoll, wenn auch kaum überraschend. Wenigstens bemüht sich der Autor um ausgleichende Gerechtigkeit, wendet sich auch den „Edelfedern“ zu und entblößt die Schwächen eines von „Affärenflüsterern“ getriebenen investigativen Journalismus. An der Wirtschaftspresse, den Nachplapperern vom Dienst, lässt er kein gutes Haar, auch diese Vorwürfe sind nicht neu.

Wirklich interessant hätte Hungers Medienkritik werden können, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, zu beschreiben, was zwischen den Extremen des Journalismus liegt: der ganz normale Betrieb in den Redaktionsbüros. Zwänge, Strukturen, Verflechtungen in den Verlagshäusern anhand von konkreten Beispielen zu durchleuchten, die versteckte Meinungsmache aufzuzeigen, die sich statt der hochgehaltenen Objektivität immer wieder in Zeitungen und Sendebeiträgen findet, die Auswirkungen von Sparauflagen für den Leser nachvollziehbar zu sezieren – fürs Abarbeiten dieser Aufgaben wäre man dem Autor dankbar gewesen.