Anton van Zanten hat bei Bosch das Schleudersystem ESP entwickelt. Dafür könnte er in der nächsten Woche mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet werden.

Ditzingen - Er kann es nicht lassen. Im Dezember vergangenen Jahres hat Anton van Zanten seine bisher letzte Erfindung zum Patent angemeldet. Natürlich dreht es sich um die Bremse. Van Zanten tüftelt gerade an der Zukunftsbremse für Elektro- und Hybridfahrzeuge. Auch eine Bremse für autonom fahrende Autos ist sein Thema: „Da muss man sich hundertprozentig auf die Bremse verlassen können“, erzählt er. Anton van Zanten ist 75 Jahre alt – und seit 13 Jahren Rentner. Den größten Teil seines Berufslebens hat er bei Bosch verbracht. Heute arbeitet er freiberuflich für ein Ingenieurbüro in München. Einen Käufer für seine neue Bremse hat er noch nicht. Bosch hat wohl kein großes Interesse – der Zulieferer habe eine eigene Lösung, sagt ein Sprecher.

 

Van Zanten, der in Indonesien geboren – damals noch eine Kolonie der Niederlande – und in den Niederlanden aufgewachsen ist, ist ein Entwickler aus Leidenschaft. Rund 50 Patente hat er im Laufe seines Berufslebens angemeldet. Für sein Lebenswerk könnte er nun mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet werden, der am 9. Juni in Lissabon vom Europäischen Patentamt verliehen wird. Insgesamt drei Persönlichkeiten sind in dieser Kategorie nominiert. Der europäische Erfinderpreis, der seit 2006 jährlich verliehen wird, gilt als einer der wichtigsten Preise, der für Innovationen in Europa verliehen wird. Die Trophäe hat die Form eines Segels, Symbol dafür, wie unbekannte Ufer durch eine erfinderische Idee für die Menschheit erreichbar wurden.

Mehr Sicherheit auf vier Rädern

Geehrt würde er nicht zuletzt für eine Entwicklung, die das Fahren deutlich sicherer gemacht hat: das elektronische Stabilitätssystem ESP, das auch als Schleuderschutz bekannt ist. Vereinfacht ausgedrückt regelt das ESP-System das Fahrverhalten eines Autos während der Fahrt. Sobald Sensoren erfassen, dass die vom Fahrer gewünschte und die tatsächliche Fahrtrichtung voneinander abweichen, greift das System ein – bremst gezielt einzelne Räder ab und stabilisiert so das Fahrzeug wieder. ESP hat sich zum Erfolgsprodukt entwickelt – nach dem Sicherheitsgurt und noch vor dem Airbag gilt es als das wichtigste Sicherheitssystem im Auto. ESP ist die Basis für alle modernen Fahrerassistenzsysteme. Mehr als 100 Millionen dieser Systeme hat Bosch seit dem Serienstart im Jahr 1995 verkauft. Mittlerweile ist der Absatz quasi garantiert: Seit 2014 ist ESP in allen neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen in der EU verpflichtend. Allein 2011 seien durch ESP innerhalb der EU mehr als 33 000 Unfälle verhindert worden, schreibt Bosch in einer Mitteilung.

Van Zanten war immer überzeugt, dass ESP ein Erfolg werden wird, erzählt der Sohn eines Musikers und einer Lehrerin. Dass sich der Erfolg so schnell und so überzeugend eingestellt hat, hat er nicht zuletzt einem Unfall zu verdanken. Bei einem Ausweichmanöver kippte 1997 die damals neue A-Klasse von Mercedes um – der Unfall hatte schnell einen Namen: Elchtest. Um die Kundenakzeptanz nicht zu gefährden, rüstete Daimler das Modell serienmäßig mit ESP nach. Zu diesem Zeitpunkt war ESP nur für die großen Limousinen vorgesehen. „Der Elchtest war ein Segen für mich“, räumt van Zanten, der selbst eine A-Klasse fährt, unumwunden ein.

Anfang der 1970er Jahre fing es an

ESP war ein langwieriges Projekt. Bereits während seiner Doktorarbeit Anfang der 1970er Jahre beschäftigte sich der Hobby-Flötist mit Schleudervorgängen von Autos, die zu schweren Unfällen führen. Zehn Jahre später – da war er bereits bei Bosch – griff er das Thema wieder auf. Zunächst tüftelte er allein daran, einige Jahre später leitete er ein kleines Team. Doch bis sich die Erfolge einstellten, sollten noch viele Jahre vergehen. So bereitete etwa ein Sensor Probleme. Insgesamt acht Sensoren sammeln beim ESP-System die notwendigen Daten. Doch einen geeigneten Gierratensensor, ein Sensor, der die Drehung des Fahrzeugs um die Achse misst, hatte van Zanten, der in einem Reihenhaus in Ditzingen wohnt, nicht. Also reiste er um die Welt – und wurde fündig. Ein Modellbauer hatte bei einem Modellhubschrauber einen solchen Sensor verbaut, erzählt der Maschinenbauingenieur. Allerdings hatte der nur eine geringe Lebensdauer – und kam deshalb fürs Auto nicht infrage. Fündig wurde er außerdem in der Rüstungsindustrie: Langstreckenraketen verwendeten einen solchen Sensor. Allerdings kostete der stattliche 50 000 Mark (rund 25 000 Euro) pro Stück. Wie gigantisch der Preis war, zeigt ein Vergleich: ein VW-Golf kostete damals 15 000 Mark. Bosch baute den Sensor kurzerhand in Lizenz nach – auch durch hohe Stückzahlen sank der Preis rapide.

Dass das Projekt alle Hürden nahm, hat auch damit zu tun, dass van Zanten die richtigen Persönlichkeiten auf seiner Seite wusste: „Hermann Scholl hat uns immer unterstützt“, lobt er. Der technikaffine Scholl war in dieser Zeit in der Bosch-Geschäftsführung zuständig für den Kfz-Bereich, später stieg er zum obersten Bosch-Chef auf. Dennoch wäre die Entwicklung des ESP, in das Bosch mehr als 50 Millionen Mark investiert hat, fast der Krise der Autoindustrie zu Beginn der 1990er Jahre zum Opfer gefallen. Doch damals sprang Daimler bei und unterstützte das Projekt sowohl personell als auch finanziell.

Die Geschichte mit der Herzklappe

Mit etwas Glück könnte sich am 9. Juni wieder vieles um ESP drehen. Spannend ist für van Zanten sicherlich, ob sein Lebenswerk geehrt wird. Er freut sich mindestens genauso darauf, Alain Carpentier kennenzulernen. Der 82-jährige Franzose hat auch Chancen, mit dem Preis ausgezeichnet zu werden. Er ist Kardiologe und hat weltweit Maßstäbe gesetzt mit den von ihm entwickelten Techniken in der Herzklappenchirurgie, schreibt das Europäische Patenamt. „Ich habe 1968 auch eine neue Herzklappe konstruiert – im Rahmen meiner Diplomarbeit“, erläutert van Zanten sein Interesse. Seine Entwicklung wurde damals an einer Herz-Lungen-Maschine getestet – und „hat funktioniert“, sagt er stolz. Sie ist aber weder in Serie gegangen, noch wurde sie zum Patent angemeldet. „Das macht man an der Hochschule nicht.“ Aber es sei das gleiche Prinzip gewesen, das auch Carpentier benutzt. Medizintechnik spielte für van Zanten im Berufsleben keine Rolle mehr – es drehte sich alles ums Auto.