Die Krankenkasse warnt ihre Kunden davor, sich in Ruit das Gesicht operieren zu lassen. Sie übernimmt nicht mehr die Kosten dafür.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Ostfildern - Die AOK warnt ihre Kunden: am Paracelsus-Krankenhaus in Ruit würden stationäre Kieferoperationen durchgeführt, obwohl dafür kein Versorgungsauftrag bestehe. Deswegen übernimmt die Kasse dort keine Kosten mehr und schickt ihre Patienten stattdessen in die Versorgungskrankenhäuser nach Ulm, Göppingen, Tübingen oder Stuttgart. Diese Kundeninformation hat die Kieferorthopäden der Region auf den Plan gebracht, die nicht nur dem Sozialministerium, sondern auch unserer Zeitung Briefe schickten, in denen sie fordern, auch in Ruit müssten die Kassenpatienten weiter operiert werden.

 

Der Streit hat eine Vorgeschichte. Der Gesichtschirurg vom Stuttgarter Marienhospital, Konrad Wangerin, war in Rente gegangen. Wangerin ist ein renommierter Arzt, der revolutionäre Behandlungsmethoden erfunden hat und weltweit karitativ tätig war. Sein Nachfolger sollte Winfried Kretschmer werden. Doch das Marienhospital wollte die Abteilung der Hals-Nasen-Ohren-Klinik zuschlagen, worauf Kretschmer mitsamt seinem Team kündigte.

Im Medizinischen Versorgungszentrum Ruit fand das Team eine neue Heimat. Seit August wird dort eine Mund-, Gesichts- und Kieferchirurgie betrieben, und Kretschmer wurde der Chef. Wangerin ging nicht in Rente, sondern wurde Seniordirektor: „Mir macht es Spaß, komplizierte Fälle zu behandeln.“

Wangerin und Kretschmer haben nicht nur das OP-Team des Marienhospitals mitgenommen, sondern auch die Patienten. „Wir haben seit August 225 Patienten stationär behandelt, davon 120 schwere Fehlbisse. Wir hatten eine Warteliste bis März.“ Durch die Intervention der Krankenkassen allerdings sei die Patientenzahl merklich zurückgegangen. „Eine ganz fürchterliche Geschichte“, sagt Wangerin, „unsere Patienten wissen nicht mehr wohin.“

Entgegen der Auffassung der AOK ist er überzeugt, dass es in Deutschland Usus sei, Gesichtschirurgie auch ohne den Versorgungsauftrag des Sozialministeriums zu betreiben. Eine Kieferorthopädin sagt stellvertretend: „Ich habe über viele Jahre hervorragend mit Wangerin zusammengearbeitet. Warum soll ich meine Patienten woanders hinschicken?“

Wangerin erklärt ganz offen, dass er eine Intrige der AOK vermutet. Dem widerspricht Dieter Kress, der Chef der Esslinger Ortskrankenkasse: „Es ist leider so, dass wir keine Kosten übernehmen dürfen. Ich habe den Kliniken ganz deutlich gesagt: ,Ihr könnt so nicht weitermachen.‘“ Auch die beteiligten Ärzte sind mit den Kreiskliniken unzufrieden: „Da hat die Geschäftsleitung offensichtlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht.“

Davon will Franz Winkler, der Kliniken-Geschäftsführer, nichts wissen. „Es ist nur eine Frage der Einschätzung, welche Leistung ich der allgemeinen Chirurgie zurechne und welche der Gesichtschirurgie.“ Im Hinblick auf die Kassen sagt er: „Es ist uns nie darum gegangen, die Fallzahlen zu erhöhen.“

Der Geschäftsführer bemüht sich inzwischen darum, beim Sozialministerium einen Versorgungsauftrag zu bekommen. Dort will man in einem Monat entscheiden. Er ist zuversichtlich, andere Experten rechnen mit einer Absage.