Für Reisende aus den arabischen Golfstaaten ist Zell am See das Sehnsuchtsziel in Österreich. Die dortige Tourismusbehörde hat einen Leitfaden für arabische Gäste verteilt und dann eingestampft. Aber die Urlauber aus dem Orient ficht das nicht an.

Zell am See - Ihre Hochzeitsreise hat Fatima Mohammed al-Rabban nach Südafrika geführt, nach London fliegt sie zweimal im Jahr zum Shoppen, ihr Haus in Beirut empfindet sie zurzeit als nicht sicher genug, dafür hat sie sich neulich Australien angesehen. Aber Zell am See bleibt sie treu: Seit zwanzig Jahren reist die Katarerin mit Wohnsitz in Dubai im Sommer für ein paar Wochen ins Salzburger Land – und mit ihr zwanzig Familienmitglieder und Freunde sowie eine Haushälterin.

 

Ihre Waschmaschine und ihr Kochgeschirr lässt Frau Fatima, wie man sie hier nennt, inzwischen ganzjährig im Hotel Neue Post, mit dem sie derzeit über den Kauf einer 100-Quadratmeter-Suite im obersten Stockwerk verhandelt, mit Blick auf den See. „In Dubai leben wir in einer klimatisierten Welt“, sagt Frau Fatima, „gerade haben wir dort 45 Grad.“ In Zell am See, ihrer „zweiten Heimat“, hingegen sei es immer schön kühl. Eigentlich möge sie alles hier, sagt sie: die Freundlichkeit der Einheimischen, die Sicherheit, die Berge. Nur dass in der Hotellobby inzwischen Wasserpfeifen für die arabischen Gäste herumstehen, gefällt ihr nicht. Die habe sie zu Hause.

Verschleierte Saudi-Araberinnen essen Apfelstrudel

Seit die Touristen aus den arabischen Golfstaaten im Sommer offiziellen Angaben zufolge in Zell am See ein Viertel der Feriengäste ausmachen, wirkt vieles hier im Herzen des Salzburger Landes, als habe sich ein Filmregisseur ikonografische Bilder für die Begegnung der Kulturen ausgedacht: Im Sprühwasser der Krimmler Wasserfälle, einem beliebten Ausflugsziel 50 Kilometer westlich, tragen kleine, noch unverschleierte Mädchen aus Saudi-Arabien ihre zuvor in Zeller Boutiquen erworbenen Dirndl spazieren. Und an der Uferpromenade in Zell am See, mondän Esplanade getauft, wo kurz vor Sonnenuntergang geschätzt drei Viertel der Urlauber aus den Golfstaaten stammen, essen verschleierte Saudi-Araberinnen Apfelstrudel, wobei sie den Niqab leicht lüpfen.

Niqab – so heißt das schwarze Stück Stoff, der traditionelle Gesichtsschleier der Arabischen Halbinsel, auch wenn die internationale Presse vor ein paar Monate, als Zell am See in den Schlagzeilen war, das Stoffstück unbeirrt als Burka bezeichnete, obwohl das die afghanische Verschleierungsvariante ist. „Touristische Apartheid“ lautete die Überschrift in der Londoner „Daily Mail“, als die Tourismusbehörde von Zell am See-Kaprun eine Verhaltensfibel speziell für arabische Touristen unter dem Titel „Where Cultures meet“ drucken ließ, die sie bald darauf wieder einstampfen lassen musste. Die Fibel war gründlich missglückt: „Bei uns symbolisiert die Farbe Schwarz Trauer“, stand da zum Beispiel, und dass man es „in unserer Kultur“ gewohnt sei, „in das lächelnde Gesicht unseres Gegenübers“ zu blicken. Der Kleidungsaufruf: „Feiern Sie mit uns die einzigartig freudige österreichische Mentalität, und zeigen Sie uns Ihre bunten Kleider und Tücher.“ Weitere Empfehlungen: Mülleimer benutzen, anschnallen, auf Elektrokocher im Hotelzimmer verzichten.

Alles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda

„Manche Formulierungen sind missinterpretiert worden“, sagt Renate Ecker, die Geschäftsführerin der Tourismusbehörde Zell am See-Kaprun, „die Irritationen waren in keinster Weise beabsichtigt.“ In ihrem schönen Büro schenkt sie Wasser aus Porsche-Design-Flaschen aus und erklärt, dass es bei der „informativen Broschüre“ eigentlich nur um „Tipps für den besseren Umgang miteinander“ gegangen sei. Gut sei der Umgang eh schon. Die Gäste vom Golf würden die Kombination aus Wasser, Bergen und Gletscher lieben, vor mehr als 15 Jahren habe man diese einzigartige Natur intensiv am Golf beworben. Seit vier Jahren jedoch wirbt der Tourismusverband dort gar nicht mehr, da sich der Markt „so gut entwickelt“ habe. Heute: alles Mund-zu-Mund-Propaganda.

Das bestätigen die arabischen Familien an der Uferpromenade, das bestätigen auch die jungen Männer, die im Konvoi in alten Amischlitten auf dem Landweg aus Kuwait angereist sind. Sie alle schwärmen vom See als solchem, vom Grün der Berge, von der relativen Kühle. Und manche arabischen Touristen sagen, die Beliebtheit von Zell am See am Golf liege auch daran, dass man in Zell arabisch essen kann.

Zell am See gilt als Synonym für Österreich

Es gibt einen Supermarkt und zwei Restaurants in Zell am See, die Ali Baba heißen, und noch eine Handvoll weitere, die mit arabischer Schrift für islamisch korrekt zubereitete Speisen werben. „Aber insgesamt sind das sieben von achtzig Lokalen“, sagt Renate Ecker, die Tourismusdirektorin, die den Eindruck vermeiden möchte, ihre Stadt, die am Golf mit 72 000 Urlaubern im Jahr so unangefochten als Synonym für Österreich gilt, wie Chinesen und Koreaner in Österreich zielsicher Hallstatt im Salzkammergut ansteuern, sei irgendwie arabisiert.

Den Grund für diese Zurückhaltung findet man in den Kommentaren auf den Hotelportalen im Internet. Der Engländer, der das Grand Hotel Zell am See hasserfüllt bewertet hat, ist kein Einzelfall: „Die Gästestruktur war 50/50 Deutsch/Araber. Die Vielzahl der Araber war eine Zumutung. Alle Frauen waren komplett verschleiert. Ich fühlte mich verunsichert und unwohl. Das ist definitiv kein Urlaub, wie man sich ihn in Österreich vorstellt. Sehr störend.“

Vor wenigen Tagen erst hat sich ein Wiener Urlauber bei Sabine Hörl, der Besitzerin des Romantikhotels, mit ähnlichen Worten beschwert. „Es ist mir widerwärtig, mich für meine Gäste entschuldigen zu müssen“, beschied sie ihm. Hörl, die neulich von einer Prinzessin aus den Emiraten zum Gegenbesuch eingeladen wurde, denkt global: „Wir Europäer nehmen uns das Recht heraus, die Welt zu bereisen. Soll dieses Recht etwa nicht für alle gelten?“

Weiterbildungskurse in Sachen arabische Kultur

Für Norbert Karlsböck, den Direktor der Gletscherbahnen Kaprun, sind die arabischen Gäste, die im Sommer 30 bis 40 Prozent seiner Fahrgäste zur Gipfelstation des Kitzsteinhorns ausmachen, wirtschaftlich überlebenswichtig: „Früher waren unsere Gondeln mit Touristen aus Europa ausgelastet“, sagt er, aber seit die weltweit reisen, braucht er Kunden aus der Ferne.

Die Mund-zu-Mund-Propaganda im digitalen Zeitalter befeuert er mit kostenlosem Internet auf 3029 Meter Seehöhe. Dort rutschen die Touristen vom Golf im August auf Plastikschlitten einen „Ice Arena“ benannten Schneehang hinunter und fotografieren ausgelassen den Nebel, um die Bilder sofort über soziale Netzwerke nach Hause zu schicken. Karlsböck, ein Bergliebhaber, der herumliegenden Müll immer gleich aufklaubt, bietet für seine Mitarbeiter, die ihn alle duzen, Weiterbildungskurse in Sachen arabische Kultur an. Familien sind am Gondeleinstieg nicht zu trennen. Der Mann ist der Ansprechpartner. Gäste im T-Shirt weist man freundlich darauf hin, dass es oben kalt wird.

Die Familie aus Bahrain, bei der die Frau, eine Physiotherapeutin, die ganze Europatour (drei Tage München, fünf Tage Zell, ein Tag Salzburg) im Internet gebucht hat, ist vom Hotel mit warmen Jacken ausstaffiert worden. „Die Österreicher sind so freundlich“, schwärmt die Frau in der Gondel. Sie sieht zum ersten Mal Schnee. Sie ist noch begeistert vom See. „Der Araber fährt dreimal am Tag mit dem Boot raus, die anderen Urlauber ein- bis zweimal in der Woche“, erklärt Rüdiger Berger, der seit 18 Jahren Elektroboote im Kurpark von Zell am See verleiht. 70 Prozent seiner Kunden stammen vom Golf.

Die Gebrauchsanweisung in den Booten ist auf Arabisch

Spätnachmittags rufen seine Mitarbeiter Nummern aus, weil es mit den Namen der geduldig Wartenden zu kompliziert geworden ist. Die Gebrauchsanweisung in den Booten ist auf Arabisch, und Rüdiger Berger hat ein paar Sätze der Sprache gelernt: „Nafi Motor!“ heißt „Motor ausschalten!“ Im Supermarkt hingegen genügt der Kassiererin Englisch, um täglich zu erklären, welches Mineralwasser Kohlensäure hat – und welches nicht.

Ein paar Schritte weiter unterhält sich eine Wiener Reisegesellschaft über ihre arabischen Mittouristen: „Geh bitte – die essen vom Boden!“ Ressentiments anderen Nationen gegenüber sind freilich kein exklusiv österreichisches Phänomen. Abends am Ufer des Zeller Sees begrüßt ein mit Frau und Kind aus Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten angereister freundlicher Ingenieur den Journalisten mit Handschlag. Er schwärmt vom kühlen Wetter, von grünen statt braunen Bergen, von den arabischen Restaurants in Zell am See. „Aber Saudi-Araber mögen wir nicht“, sagt er über die Reisenden aus seinem Nachbarland, „die sind hochnäsig.“ Wenn man ihm erzählt, dass in seinem Heimatland die indischen Gastarbeiter just diesen Vorwurf den Einheimischen gegenüber erheben, lacht er: „Inder machen nur Ärger.“

Der arabische Tourismus in Zell am See stagniert auf hohem Niveau. Die Zeller Tourismusmanager bearbeiten nun verstärkt den indischen Markt.