Politische Cartoons sind im arabischen Raum noch beliebter als im Westen. Den Darstellungen der Zeichner bleiben allerdings enge Grenzen gesetzt. Wer sie überschreitet, muss mit Konsequenzen rechnen.

Stuttgart - Als Ali Ferzat im Sommer 2011 seine erste Karikatur des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zeichnete, wusste er genau, dass er eine ungeschriebene Regel brach. Die Reaktion folgte prompt: Vermummte Männer entführten den damals 60-Jährigen. Mit den Worten „die Schuhe des Präsidenten sind mehr wert als du“ brachen sie die Finger des bekannten Karikaturisten.

 

Die Geschichte Ali Ferzats, der heute in Großbritannien lebt und wieder zeichnet, sorgte für internationale Aufmerksamkeit. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass politische Zeichnungen im arabischen Raum äußerst populär sind. „Sie sind in manchen arabischen Ländern beliebter als im Westen“, sagt Jonathan Guyer. Der Amerikaner erforscht die ägyptische Karikaturen-Szene. In Ägypten und Syrien wurden schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts politische Zeichnungen veröffentlicht.

Versteckte Kritik in den Cartoons

„Man findet kaum eine ägyptische Zeitung, die nicht täglich einen politischen Cartoon druckt“, sagt Mohamed Anwar. Der 27-Jährige zeichnet für die ägyptische Tageszeitung „Al-Masri al-Jaum“ – als einer von insgesamt fünf Karikaturisten. „Früher waren wir sogar zu siebt“, ergänzt Anwar. Kein Wunder, denn „Al-Masri al-Jaum“ veröffentlicht täglich zehn Karikaturen aus den Bereichen Politik, Sport und Kultur.

Laut Jonathan Guyer ist die Beliebtheit der Karikaturen wenig überraschend: „Viele Menschen im Westen betrachten den Nahen Osten als düsteren, humorlosen Ort. Dabei lieben die Ägypter Satire in jeglicher Form. Das zeigt sich schon an der riesigen Fülle von Comedy-Sendungen im Fernsehen.“ Außerdem eröffneten politische Zeichnungen die Möglichkeit, versteckte Nachrichten zu transportieren, die man so nicht in Worte fassen dürfte.

Das Militär zu zeichnen ist gefährlich

Nach dem Fall des Mubarak-Regimes im Februar 2011 beobachtete Guyer eine wahre Karikaturen-Renaissance in Ägypten: „Die Zeichner wurden im Fernsehen gezeigt, manche ihrer Bilder oder Slogans wurden als Graffitis an die Wände gesprüht.“ Nach der Wahl Mohammed Mursis wagten viele Zeichner erstmals, ihren Präsidenten zu karikieren: „Die Zeitungen wurden mit Mursi-Cartoons geradezu gepflastert“, schildert Guyer.

Doch das Pendel schlug nach dem Militärputsch 2013 rasch zurück: Den neuen Präsidenten Sisi sehe er nur selten als Karikatur, sagt Guyer. Die Zeichner würden sich auf vagere Themen wie die grassierende Korruption konzentrieren, die in Form dickleibiger Anzugträger dargestellt werde. „Die roten Linien haben sich wieder verschoben“, konstatiert auch Mohamed Anwar. Das Militär aufs Korn zu nehmen sei sehr gefährlich geworden.

Den Propheten wagt niemand zu zeichnen

Vielleicht aufgrund dieser Zwänge blickten junge arabische Karikaturisten mit großem Interesse auf Zeitschriften wie „Charlie Hebdo“. „Wir haben uns immer ihre neuen Karikaturen im Internet angesehen“, sagt Anwar. Umso schlimmer traf ihn die Nachricht aus Paris. „Ich fühlte mich sehr eng mit den Zeichnern verbunden. Wir Karikaturisten kämpfen im selben Krieg.“ Auf die Frage, ob er selbst Karikaturen des Propheten Mohammed zeichnen würde, antwortet Anwar aber ausweichend: „Ich denke, das würde unseren Zielen nicht dienen.“

Auch Khalid Albaih reagiert zurückhaltend auf diese Frage. Der 34-jährige Karikaturist aus Katar wagte nach eigenen Angaben als Erster, den Emir des Golfstaats zu zeichnen – den Propheten abbilden will er lieber nicht. „Was religiöse Themen betrifft, sind die Leute in dieser Region sehr sensibel.“ Die Mohammed-Darstellungen „Charlie Hebdos“ betrachtet Albaih als eher plumpe Provokation. „Mit solchen Bildern setzt man keine Diskussion in Gang, man schafft nur einen Skandal.“

Die Karikaturisten in der Region kennen ihre roten Linien sehr genau. Dass ihre Kollegen in Frankreich ermordet worden sind, dürfte sie in der Einhaltung dieser Grenzen nur bestärkt haben.