Reportage: Robin Szuttor (szu)
 

Mit seinem Hang zur Esoterik ist er nicht unbedingt der Prototyp eines Bergmanns. „Mein Leben hat mich vom Schwarzen ins Weiße geführt“, sagt er. Zu dem Weißen gehört auch seine Frau, die er in Heilbronn gefunden hat. Beide Steinböcke. Oder aus chinesischer Warte: Hund und Schlange. Oder, wenn man die Zahlenmystik zurate zieht: sie eine 7 – der Liebling der Götter, er eine 4 – der Herrscher. Als solcher kümmert er sich auch um ihren gestrauchelten Sohn. „Ich lasse ihn nicht in Ruhe, er braucht eine harte Hand“, sagt Svab. Da komme ihm der Umstand zugute, dass er in seinem früheren Leben – damals Ende des 19. Jahrhunderts in Afrika – General der Fremdenlegion gewesen sei.

Svab ist einer mit großem Herzen. Einer, der alles investiert, wenn er jemanden väterlich unter seine Fittiche nehmen kann. Der sich an dem eigenen Vater abgearbeitet hat wie an einem Kohlehorizont. „Heute bin ich ihm unendlich dankbar.“

Er ist ein Wettbewerbstyp. Ob es um seine Produktionszahlen unter Tage geht oder früher um den Sport. „Eigentlich habe ich alles immer nur für meinen Vater gemacht“, sagt Svab. Neulich stieg er noch mal aufs Rad. Es sollte eine gemütliche Spazierfahrt durchs Unterland werden. Aber er wurde immer schneller, bald verlor seine Frau ihn aus den Augen und traf ihn erst zu Hause wieder – frisch geduscht. Er hatte einfach nicht anders gekonnt.


Der Konradsberg ist ein 215 Meter langer Schlund. So breit, dass man einen Lkw kopfüber in den Berg abseilen kann. Oben der Abendhimmel als heller Fleck, unten weht es durch den Schacht wie an der bretonischen Atlantikküste. Windstärke 6. Unweit des Schlots liegt der Friedhof des Salzbergs. Unmittelbar dem Wetter ausgesetzt, reihen sich Autoruinen und kaputte Maschinen aneinander. Vom Rost zerfressene Gerippe. Ein Bild wie aus Endzeitfilmen.

„Heilbronn, das ist Salonbergbau“, sagt er. Anfangs machte ihm die Weitläufigkeit richtig Angst. Er war Enge gewohnt, Dunkelheit, Dreck. Im Salz bleibt Svabs weiße Steigerkluft makellos, in der Kohle war nur das Gebiss weiß. Und über ihm immer Gefahr: jeder Meter, der dem Berg abgetrotzt wurde, musste verbaut und gestützt werden. Er hat Hydraulikstempel aus Eisen gesehen, die wie Streichhölzer einknickten. Solange die Mäuse und Ratten herumwuselten, machte er sich keine Sorgen. Aber wehe, die Viecher zogen sich zurück. Die hatten einen siebten Sinn.

Er hat schon einen Gesteinsbruch überlebt. Neben ihm regnete es Brocken, der aus den Spalten rieselnde Staub machte ihn blind. Als alles vorbei war, damals in La Houve, standen er und die anderen wie Kinder aneinandergeklammert auf einer kleinen Insel im Streb, um sie herum alles verschüttet. „Wir haben vor Glück gelacht, geweint und gesungen.“

Vor dem Salzberg hat Svab weniger Respekt. Zwischen den Abbaukammern bleiben zehn bis 20 Meter breite Stützpfeiler stehen. „Das trägt“, sagt er. An was er sich auch gewöhnen musste: im Salzbergwerk gibt es Klos.

Salzschnee unter Heilbronn


Die Aufbereitungsanlage zerkleinert das Salz, das aus der Tiefe des Bergs kommt. Flocken fallen von Förderbändern, liegen auf den Maschinen wie Neuschnee. Das Zeug ist überall, dringt bis in die kleinste Rille. „Am schlimmsten wird es, wenn die Aggregate nicht laufen. Dann härtet das Salz aus und betoniert alles zu“, sagt der Steiger. Wegen der Abwärme der Motoren hat es hier immer 27 Grad, acht Grad mehr als im Rest des Bergs. Kein Winter, kein Sommer, kein Tag, keine Nacht. Nur Salz und Förderbänder. „Nicht jeder kommt damit klar. Aber das merkt man schnell.“

Sein Lebensweg, sagt Svab, sei der von Sisyphos gewesen. „Ich durfte nicht nach oben kommen.“ Als er in La Houve schuftete, bastelte er nebenbei an seiner Sportlerkarriere. Nach der Schicht stieg er auf sein Messina-Rennrad und strampelte mindestens 100 Kilometer runter. An Wochenenden gab’s keinen Tanzball, keine Frauen – „ich wollte ja montags in der Zeitung stehen“. Die Chance, in einen belgischen Profistall zu wechseln, nutzte er nicht. Ging stattdessen zur Steigerschule, arbeitete sich im Berg bis an die Front zur Schrämmaschine vor.

Als er es zum Steiger geschafft hatte, kündigte er, um sich als Kunstblumenhändler selbstständig zu machen. Das Geschäft florierte nicht. Er war Bauleiter eines Hotelprojekts in Tunesien, Berater in einer tschechischen Mine, Manager einer tunesischen Textilfabrik – und landete doch wieder ganz unten, in einer saarländischen Grube. Svabs Arbeitsplatz: ein Loch. Acht Stunden am Tag grub er sich „auf den Knien, auf dem Arsch, auf dem Rücken“ durch den Flöz. „Das war wie im Sarg.“ Einmal fuhr er in den Schacht und merkte, wie ihm immer schummriger wurde, je tiefer er kam. Als ihm aufging, dass da zu wenig Sauerstoff in der Grube war, konnte er schon keinen Alarm mehr geben. Er begann noch zu beten, dann kippte er weg. Irgendwer zog ihn wieder hoch.

Vor acht Jahren kam er als Leiharbeiter nach Heilbronn. Inzwischen ist er Steiger. Auch hier sei er schon angeeckt mit seiner direkten Art und seiner Abneigung gegen festgefahrene Hierarchien, sagt er. Doch seine Wahrsagerin riet ihm: „Lauf nicht weg, kämpfe diesmal.“ Es war gut so. Mit dem neuen Vorstand habe sich viel zum Guten gewendet, sagt Svab.


Von Weitem hört man das Rumoren des Continous Miner. Ein 125 Tonnen schwerer Gigant, der das Salz aus dem Berg schabt. 2500 Tonnen in einer Schicht. Vier Männer bedienen ihn, schreien sich Kommandos zu. Ein paar Kilometer entfernt wird auf traditionelle Weise gearbeitet. Der Berg ist bereits durchlöchert, verkabelt und mit Sprengstoff gefüllt – ein rosafarbenes Pulver, das nur auf elektrische Zündung reagiert. „Man könnte es sogar anzünden, da passiert nichts“, sagt der Sprengmeister. „Nur wenn man’s in die Augen kriegt, brennt’s.“ Im Nordwestfeld sitzt derweil ein einsamer Desperado im Fahrerhaus eines Ungetüms mit mannshohen Rädern und schabt lose Gesteinsplatten von der Höhlendecke. Sicherungsarbeiten. Tag für Tag, Stunde um Stunde eingehüllt in Salznebel, hypnotisches Motorengebrüll und eine surreale Mondwelt: weniger in sich ruhende Naturen könnten bei dem Job auch irre werden. „Im Salz ist man weniger aufeinander angewiesen als in der Kohlegrube. Da geht die Nähe verloren“, sagt Svab.

Der Steiger mit dem großen Herzen

Mit seinem Hang zur Esoterik ist er nicht unbedingt der Prototyp eines Bergmanns. „Mein Leben hat mich vom Schwarzen ins Weiße geführt“, sagt er. Zu dem Weißen gehört auch seine Frau, die er in Heilbronn gefunden hat. Beide Steinböcke. Oder aus chinesischer Warte: Hund und Schlange. Oder, wenn man die Zahlenmystik zurate zieht: sie eine 7 – der Liebling der Götter, er eine 4 – der Herrscher. Als solcher kümmert er sich auch um ihren gestrauchelten Sohn. „Ich lasse ihn nicht in Ruhe, er braucht eine harte Hand“, sagt Svab. Da komme ihm der Umstand zugute, dass er in seinem früheren Leben – damals Ende des 19. Jahrhunderts in Afrika – General der Fremdenlegion gewesen sei.

Svab ist einer mit großem Herzen. Einer, der alles investiert, wenn er jemanden väterlich unter seine Fittiche nehmen kann. Der sich an dem eigenen Vater abgearbeitet hat wie an einem Kohlehorizont. „Heute bin ich ihm unendlich dankbar.“

Er ist ein Wettbewerbstyp. Ob es um seine Produktionszahlen unter Tage geht oder früher um den Sport. „Eigentlich habe ich alles immer nur für meinen Vater gemacht“, sagt Svab. Neulich stieg er noch mal aufs Rad. Es sollte eine gemütliche Spazierfahrt durchs Unterland werden. Aber er wurde immer schneller, bald verlor seine Frau ihn aus den Augen und traf ihn erst zu Hause wieder – frisch geduscht. Er hatte einfach nicht anders gekonnt.


Der Konradsberg ist ein 215 Meter langer Schlund. So breit, dass man einen Lkw kopfüber in den Berg abseilen kann. Oben der Abendhimmel als heller Fleck, unten weht es durch den Schacht wie an der bretonischen Atlantikküste. Windstärke 6. Unweit des Schlots liegt der Friedhof des Salzbergs. Unmittelbar dem Wetter ausgesetzt, reihen sich Autoruinen und kaputte Maschinen aneinander. Vom Rost zerfressene Gerippe. Ein Bild wie aus Endzeitfilmen.

Schwerfällig schließt sich das Schleusentor. Der Aufzug hat prall gefüllte und mit einem Totenkopf markierte Kunststoffsäcke nach unten gebracht. Gabelstapler lupfen sie auf Lastwagen für den Transport zur letzten Ruhestätte. Abfälle von oben werden unten in Hohlräume verfüllt: verunreinigte Böden, die Schlacken aus Verbrennungsanlagen, Gießereireste, Filterkuchen von Industrieanlagen. Im Heilbronner Salzstock landen aber nicht nur Dinge, die man loshaben will. Eine Art unterirdisches Kulturarchiv umfasst Akten, Röntgenbilder, elektronische Datenträger, wertvolle Gemälde oder Materialproben von Weltraumsatelliten.

Zwanzig Sekunden bis nach oben. Den langen Korridor zurück. Helm, Lampe, Atemfilter abgeben. Ein Schluck Wasser nach fünf Stunden Salzberg. Hinter dem Werkstor, im Industriegebiet am Neckar, fahren junge Heilbronner ihre BMW mit Effektlack, Chromfelgen und tiefen Spoilerlippen spazieren, beschallen die Salzstraße mit Melodien von Lady Gaga. Eine unwirkliche Welt.